08 April 2021

Eine Grabrede für Johnny Bruck

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Ein kalter Wind ging, es war feucht und kühl. Ich stand am offenen Grab, hielt zwei doppelseitig bedruckte A4-Blätter in der Hand und ließ meinen Blick über die Versammlung schweifen. Drei Dutzend Menschen hatten sich eingefunden, die meisten davon kannte ich nicht. Und hier sollte ich also eine Grabrede halten?

Neben mir stand Sabine Bretzinger – nach ihrer Hochzeit hieß sie Sabine Kropp –, daneben noch ein Kollege aus der Herstellung. Wir waren von Rastatt aus angereist, um Johnny Bruck die letzte Ehre zu erweisen. Sabine und ich vertraten die PERRY RHODAN-Redaktion, der Kollege aus der Herstellung hatte ebenfalls jahrelang mit Johnny zusammengearbeitet und die PERRY RHODAN-Romane durch die Produktion begleitet.

Es war typisches Oktoberwetter, und mir war kalt. Für die Jahreszeit war ich zu leicht bekleidet: Ich trug keinen Mantel über dem Anzug. Der Anlass war sowieso höchst ungemütlich. Zum ersten Mal in meinem Leben stand ich als Vertreter des Verlages an einem Grab und war für eine würdevolle Rede verantwortlich.

Dieser Text dokumentiert meine Rede, die ich buchstäblich – weil es kein Mikrofon und keinen Lautsprecher gab und weil ein feuchter Wind ging – in den Wind schreien musste. Ich hatte die Rede daheim sogar einmal geübt, allerdings nur sprechend, nicht schreiend, und bewusst einige Wortwiederholungen eingebaut, um sie plastischer zu gestalten:

»Meine sehr geehrten Damen und Herren,

liebe Frau Bruck,

wir haben uns hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von einem Mann, der ein Freund für uns war, ein Wegbegleiter über viele Jahre hinweg, ein Kollege, ein Künstler, ein Familienmitglied – und ein Ehemann. Johnny Bruck weilt nicht mehr unter uns, wir werden ihn vermissen. Erlauben Sie mir als Vertreter der Verlagsunion Pabel-Moewig und des PERRY RHODAN-Teams, einige wenige Worte über den Künstler und den Menschen Johnny Bruck zu verlieren.

Über Jahre und Jahrzehnte hinweg hat Johnny Bruck das Gesicht der deutschen Science-Fiction geprägt, vor allem natürlich das Gesicht einer Serie, der PERRY RHODAN-Serie. Es ist auch ein Verdienst seiner fast 1800 Titelbilder, dass die Serie zu dem Welterfolg geworden ist, als der sie unbestritten gilt.

Johnny Bruck, Jahrgang 1921, ist gelernter Fotolitograph, der seinen Beruf wegen des Zweiten Weltkriegs so gut wie nicht ausüben konnte. Nach Krieg und Gefangenschaft begann Bruck, damals noch wohnhaft in Hamburg, für Zeitungen wie »Die Welt«, die Hannoversche Presse und andere zu schreiben; gleichzeitig entstanden die ersten Titelbilder und Illustrationen für Bücher verschiedener Verlage.

Nach dem Umzug nach München Ende der 50er Jahre begann der Journalist und Künstler, sich verstärkt auf das Zeichnen und Malen zu verlegen. Es entstanden Covers für Kriminalromane, Abenteuergeschichten und Kriegsbücher – aber auch Illustrationen für Jagdzeitschriften. Irgendwann folgte die Science Fiction, und dann war der Einstieg bei PERRY RHODAN im Jahr 1961 fast eine ganz klare Folge dieser Vorgeschichte.

Mit seinem einzigartigen Einfühlungsvermögen setzte der Künstler, der sich nie als Künstler, sondern stets als Handwerker verstand, die Phantasien der Autoren in bildliche Realität um – und oft beeinflussten seine Zeichnungen wiederum die Arbeiten der Autoren.

Seine Liebe zur Natur und zur Kreatur, die ihn ebenso zum Jäger, Heger und Tierfotografen machte, hat wohl dazu beigetragen, dass Johnny Bruck auch den bizarrsten Figuren und Lebewesen der PERRY RHODAN-Serie ein Leben einhauchen konnte. Seine Darstellungen sind niemals hölzern, sie scheinen stets zu leben; selbst die Gesichter von Außerirdischen besitzen Ausdrucksstärke – die sie wiederum menschlich macht. In den Bildern Brucks wohnte und wohnt eine tiefe Menschlichkeit, ein Bekenntnis zur Humanität und ein klare Absage an das Herrenmenschentum.

Seine bizarren Lebewesen kommen uns vor wie Erinnerungen an vergessene Träume oder elfenhafte Wesen aus einer anderen Wirklichkeit. Für unzählige Figuren, die auf der Leinwand und dem Zeichenkarton Johnny Brucks entstanden sind, gibt es keine Vorbilder in der Wirklichkeit. Der Künstler erschuf sie aus seinen Gedanken und gab ihnen Gesicht, Charakter – und manches Mal sogar so etwas wie eine Persönlichkeit, einen ganz speziellen Ausdruck.

Wenn Johnny Bruck die Wunder und die Schrecken des Universums darstellte, dann wirkten diese Bilder aus der Zukunft stets so echt und lebendig, als blickten wir durch ein Fenster ins Übermorgen. Welten am Rande des Universums, explodierende Sterne, kreisende Galaxien und Schwarze Löcher; für ihn schienen diese kosmischen Objekte, deren Geheimnisse sich unseren Astronomen trotz aller Technik immer noch verschließen, nicht fremd zu sein. Er konnte Menschen und Roboter, Raumschiffe und fremde Planeten so realistisch darstellen, als habe er sie selbst gesehen. Vielleicht hat er es sogar, und sei es nur in seinen Träumen und Gedanken gewesen?

Seine Liebe zur Science Fiction lässt sich in profanen Zahlen ausdrücken: Weit über 3000 Titelbilder und Tausende von Innenillustrationen entstanden in einer Arbeit, die im Falle der PERRY RHODAN-Serie über 34 Jahre andauerte, die aber im Falle der »allgemeinen« Science Fiction rund 40 Jahre währte. Nicht ausdrücken lässt sich aber das, was Johnny Brucks Arbeit für Millionen von Lesern bedeutete: Ihnen wies sie den Blick in die Zukunft, ihnen schuf sie fantastische Welten, ihnen bescherte er ein Stück Wirklichkeit jenseits der Fenster aus Raum und Zeit.

Kein Wunder, dass es so schwer fällt, den Künstler und Menschen Johnny Bruck angemessen zu würdigen. Nicht vergessen will ich seine Jagdleidenschaft, nicht unterdrücken seinen manchmal polternden, oft direkten, aber nie beleidigenden Humor, nicht ignorieren seine Freude am Leben, am Whisky und am intensiven Gespräch.

Überhaupt nicht vergessen wollen wir ihn. Behalten Sie ihn stets in Erinnerung, so wie wir ihn auch in Erinnerung behalten wollen: als unersetzlichen Gestalter unserer Phantasien, als Mensch, als Freund. Johnny Bruck lebt nicht mehr, und der Abschied fällt schwer.

Ich danke Ihnen.«

An den Rest des Tages erinnere ich mich kaum noch. Mit der Witwe, der Familie und den engsten Freunden des Künstlers gingen wir noch einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen. Danach fuhren wir zurück nach Rastatt, wir waren bei dieser Fahrt sehr schweigsam. Johnny Bruck würde uns allen fehlen, das war uns zu diesem Zeitpunkt bewusst.

1 Kommentar:

Karin hat gesagt…

Vielen Dank, sehr wahr und sehr schön.

Zu den Sternen
Karin