Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«Der Sonntag auf der Frankfurter Buchmesse 1993 wurde zäh. Ich führte meine Gespräche mit Lesern, und so verstrich der Nachmittag. Dabei wurde ich recht müde; die Nächte waren stets zu kurz gewesen.
Auf einmal stand eine Kollegin des Buchverlages neben mir. Ich solle mit ihr kommen, ich hätte ein Interview. »Ich?«, fragte ich verblüfft zurück.
Tatsächlich war es so. Florian F. Marzin war nicht am Stand, von den Vertriebsleuten konnte oder wollte niemand etwas über PERRY RHODAN sagen, also blieb nur ich übrig. Mit einer jungen Frau, die für den Bayerischen Rundfunk arbeitete, setzte ich mich an den Rand des Messestandes.
Sie baute ihr Aufnahmegerät und ein Mikrofon auf, und nach einer kurzen Tonprobe legte sie gleich mit der ersten Frage los: »Wie stehen Sie zu den Vorwürfen, PERRY RHODAN verbreite faschistische Inhalte und Ideen?«
Ich starrte sie an und überlegte mir noch, ob mir jemand einen Streich spielen wolle. Das war die erste Frage eines Interviews? Die Reporterin war jünger als ich; vielleicht wollte sie zeigen, dass sie besonders kritische Interviews führen konnte.
»Können Sie das Ding kurz ausmachen?«, fragte ich sie und wies auf das Aufnahmegerät.
Sie nickte und schaltete ab. Dann hielt ich ihr einen etwa drei bis fünf Minuten andauernden Vortrag über meine politische Einstellung, mein Engagement gegen Neonazis und andere Themen. Als ich damit fertig war, bat ich sie, das Interview weiterzuführen.
Sie lächelte. »Woher kommt der große Erfolg der PERRY RHODAN-Serie?«, fragte sie dann. Der Rest des Interviews verlief in angenehmer Stimmung.
Nachdem die Reporterin des Bayerischen Rundfunks gegangen war, wurde mir ein Reporter der BILD-Zeitung geschickt, der eine allgemeine Reportage über die Buchmesse schrieb. Ich mochte die Zeitung nicht, wusste aber, wie wichtig sie war, und gab deshalb ein sehr höfliches und braves Interview.
Kaum hatte ich dieses Gespräch beendet, stand eine blonde Frau in dunkelblauem Kostüm vor mir, vielleicht anfangs fünfzig und mit einer voluminösen Frisur, die durch viel Haarspray in Form gehalten wurde. Ich hatte sie am vorigen Tag gelegentlich aus der Ferne gesehen, wusste aber nicht, wer sie war.
Sie stellte sich als die freiberufliche Pressebeauftragte des Verlages vor, und sie schien nicht sehr angetan zu sein, dass ich »einfach so« mit Journalisten sprach. »Man muss da sehr genau darauf achten, was man diesen Leuten sagt«, belehrte sie mich. »Sonst schreiben die, was sie wollen.«
Ich versuchte, ihr klarzumachen, dass ich einige Jahre in der Öffentlichkeitsarbeit tätig gewesen war, aber das schien sie nicht zu interessieren. »Es wäre hilfreich, wenn ich eine Pressemappe hätte«, schlug ich vor, »die könnte man den Journalisten in die Hände drücken, und sie wüssten die offiziellen Zahlen, Daten und Fakten.«
Es gab tatsächlich einen offiziellen Pressetext des Verlags, in dem PERRY RHODAN am Rand erwähnt wurde, aber nur die Bücher. Die Heftromane wurden buchstäblich totgeschwiegen, als seien sie mit dem Buchverlag nicht in Einklang zu bringen. Zwar formulierte sie es sehr zurückhaltend, aber im Prinzip sagte mir die Pressedame genau das: Bei PERRY RHODAN brauche man keine Presse-Unterlagen, normalerweise interessierten sich keine Journalisten für uns. Sie ließ mich dann stehen, weil ein wichtiger Besucher an den Messestand kam, mit dem sie sprechen musste.
Ich war nach diesem Gespräch etwas frustriert. Soweit ich wusste, trug unsere Serie erheblich zu den Umsätzen des Buchverlags bei. Trotzdem nahm man sie nicht richtig ernst. Das wollte ich künftig ändern, so durfte es nicht weitergehen.
Irgendwann war dieser Messetag auch vorüber. Ich fühlte mich ziemlich erledigt: Den ganzen Tag über hatte ich mich in der überhitzten Messehalle aufgehalten, immer mit Anzug und Krawatte. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, mich auf der Buchmesse angesteckt zu haben: Der Hals kratzte bereits, die Nase juckte.
Ich verabschiedete mich von den Leuten, die noch am Stand zu tun hatten – es waren nicht mehr viele –, bevor ich mit Hermann Ritter das Messegelände verließ. Wir fuhren noch einmal nach Weiterstadt, wo wir mit seiner Freundin zu Abend aßen und wo ich mich umziehen konnte. Spät reiste ich mit der Bahn nach Rastatt zurück, von dort aus mit dem Auto in das Dorf, in dem ich wohnte. Nach Mitternacht war ich endlich daheim.
Am Montag ging ich übrigens wieder ins Büro. Ich wunderte mich, dass die anderen Verlagsangestellten, die auf der Buchmesse gewesen waren, allesamt fehlten. Die hätten »messefrei«, informierte man mich; im Vorfeld hatte mir das niemand gesagt.
Ich hatte ohnehin zu tun und beschäftigte mich gleich wieder mit Hans Kneifels aktuellem ATLAN-Manuskript …