Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Die Diskussion bei der Exposébesprechung am Montag, 25. Oktober 1993,
wurde sehr stark von Dr. Florian F. Marzin dominiert. Von ihm stammte
die grundlegende Idee für den gesamten Zyklus um das angeblich größte
Rätsel des Universums, und er wollte auch die Kontrolle über die Details
behalten. Das merkte ich immer wieder, während ich mit dem
Chefredakteur sowie den Autoren Robert Feldhoff und Ernst Vlcek im Konferenzraum des Verlages saß.
Ideen
der Autoren wurden recht schnell weggewischt, ebenso meine. Wenn die
andere Seite des Universums, so Florians Überlegung, zu unserer Seite
des Universums gewissermaßen spiegelbildlich funktioniere, dann müsse
man das konsequent durchdenken. Dann dürfte die andere Seite nicht nur
lebensbedrohend sein, sondern müsse in der logischen Folge auch auf
unserer Seite zu Tod und Verderben führen.
Seine bestimmende Art
machte eine Diskussion manchmal echt schwierig. Es war klar, dass er
eine große Sachkenntnis hatte und sich in der Science Fiction
hervorragend auskannte – aber es war nicht einfach, sich darauf
einzustellen. Immer wieder verwies er auf andere Science-Fiction-Werke,
die wir anderen oftmals nicht kannten.
Ein Roman, auf den sich
Florian bei seiner Konzeption berief, war »Die toten Welten des Bolg«
des amerikanischen Autors Philip José Farmer. »Lass uns etwas machen,
das so ähnlich ist wie bei Farmer«, argumentierte er.
Immerhin
gebe es in diesem Roman ein riesengroßes Lebewesen, das auf seinem Weg
durch das Universum alle möglichen Planeten entvölkere. Zu diesem Wesen
sei keine Kommunikation möglich, und es versuche in völlig sinnloser
Manier, intelligente Lebewesen in Massen auszulöschen. So in etwa
stellte er sich die Lebensformen vor, die auf der anderen Seite des
Universums ihren Krieg gegen die Ayindi führten.
Mein vorsichtiger
Einwand, dass in der PERRY RHODAN-Serie mit den Mobys schon einmal
mondgroße Wesen existiert hatten und dass es mit dem Suprahet ebenfalls
bereits ein Wesen gegeben hatte, dass Planeten reihenweise ausgelöscht
hatte, wurde von ihm abgelehnt. Dann sollten wir eben dafür sorgen, dass
unsere Ideen neuer und besser seien – womit er grundsätzlich recht
hatte.
So verlief die Diskussion manchmal recht zäh. Ich war
stets froh, wenn sich Robert mit seiner ruhigen Art einbrachte und
unserem Gespräch eine zielführende Richtung verlieh. Ich ging zu schnell
an die Decke, ärgerte mich zu früh darüber, wenn eine Idee von mir
nicht funktionierte. Ernst blieb gelassen, saß da, schmunzelte und
rauchte.
Immerhin konnten wir einige Einzelheiten festlegen. Wir
bestimmten, dass bei den Ayindi nicht nur Kriegerinnen existieren
sollten, sondern dass es offenbar auch Krieger gegeben hatte. Und wir
machten uns erneut Gedanken darüber, welche Struktur die Abruse haben
sollte. Die Schneeflockenschiffe wurden definiert, die Rolle der
Zellaktivatorträger wurde klarer.
Auch hier erwies sich Robert Feldhoff
immer wieder als ein Ideengeber par excellence. Ohne ihn hätten wir an
diesem Tag keine guten Ergebnisse zustande gebracht. Sehr oft schaffte
er es mit seinen kritischen Bemerkungen und Rückfragen, ganz neue
Impulse zu geben.
Ich war dennoch froh, als der Nachmittag
vorüber war. Ich fuhr nach Hause, wo ich mich frisch machte; später fuhr
ich nach Gaggenau weiter, einer kleinen Stadt im Murgtal. Dort hatte
Florian einen Tisch im Gasthaus »Alte Schule« reservieren lassen. Das
Restaurant bot gutbürgerliche Küche und war – wie der Name nahelegte –
wie eine alte Dorfschule eingerichtet. Auch die Speisekarte sah eher aus
wie ein Schulheft, mit verkritzelten Notizen der Schüler und kritischen
Anmerkungen der Lehrer.
Wir aßen und tranken gut; dabei
sprachen wir über alles mögliche. Robert und ich stellten verwirrt fest,
dass am Abend gar nicht so sehr über Inhalte diskutiert wurde, sondern
es vor allem um Reisen und Tennis ging, ein wenig um Politik und die
»alten Zeiten«. Gelegentlich thematisierten wir die aktuelle Entwicklung
der PERRY RHODAN-Serie, die Leistungen der einzelnen Autoren, die
Kritik in den Fanzines. Über grundlegende neue Handlungsideen sprachen
wir nur am Rand.
Erst am Dienstagmorgen, 26. Oktober, ging es noch einmal zwei Stunden um den weiteren Verlauf des Ayindi-Zyklus.
Wir definierten, wie die Handlung auf der anderen Seite des Universums
mit der Handlung im Sonnensystem verbunden wurde – ich hatte gefordert,
es müsse eine »konkrete Bedrohung für die Menschen« geben –, und legten
fest, welche Rolle die Vandemar-Zwillinge einnehmen sollten. Es sollte
Verbindungen zwischen der Vergangenheit der Erde und den Ayindi geben,
ebenso fanden wir einen Weg, den Mythos um die Ritter der Tiefe mit der
gesamten Thematik zu verbinden.
Als sich Ernst Vlcek und Robert Feldhoff
auf den Weg zum Bahnhof machten, um die Reise nach Norden anzutreten –
Ernst zum Flughafen in Frankfurt, Robert nach Oldenburg –, hatte ich das
Gefühl, dass wir mit der Zyklusplanung einen großen Schritt
zurückgelegt hatten. Darauf konnten wir aufbauen: Wir hatten bis zum
Band 1715 alles sehr klar definiert, jetzt ging es daran, die Exposés zu
schreiben. Diese Aufgabe würde Ernst übernehmen, während Robert weitere
Einzelheiten hinzufügen sollte ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen