Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Die Exposébesprechung im Herbst 1993 begann am Sonntag, 24. Oktober. Ernst Vlcek
war bereits im Verlauf des Tages angekommen und hatte sich mit Dr.
Florian F. Marzin, dem Chefredakteur der PERRY RHODAN-Serie, im Gasthaus
»Bären« in Rastatt getroffen. Weil ich an diesem Tag noch mit privaten
Dingen beschäftigt war, konnte ich nicht gleich teilnehmen.
Erst
später verließ ich das Dorf in der Nähe von Rastatt, in dem ich zu
dieser Zeit wohnte, und fuhr in die Stadt. Im »Bären« bestellte ich mir
ein Abendessen und beteiligte mich an der bereits laufenden Diskussion.
Noch
später kam Robert Feldhoff, womit unsere Runde vollständig war.
Offiziell war Robert noch kein Exposéautor, aber es war klar, dass er zu
einem werden sollte. Alle schätzten seine Romane ebenso wie die ruhige
und gelassene Art, in der er Ideen präsentierte oder auch Kritik
äußerte.
An diesem Abend redeten wir allerdings kaum über den
Inhalt der PERRY RHODAN-Serie. Ich erzählte Geschichten von meiner
jüngsten Afrika-Reise, die mich nach Südafrika geführt hatte; Florian
und Ernst machten Witze über ihre gemeinsamen Tennisturniere, während
Robert eher ruhig blieb. Wahrscheinlich versuchte er zu diesem Zeitpunkt
noch, genauer herauszufinden, welche Rolle er wohl künftig bei der
Exposéarbeit spielen sollte.
Nur selten sprachen wir über den Zyklus nach Band 1700,
den wir eigentlich planen sollten. Es gab höchstens einige Andeutungen,
zumeist ließen wir das Thema auf der Seite liegen; nicht unüblich für
Besprechungen in jenen Jahren. Florian Marzin verließ uns am späten
Abend und fuhr nach Hause.
Ich begleitete die beiden Autoren noch an
die Bar des »Holiday Inn«, wo sie untergebracht waren. Wir tranken das
eine oder andere Bier – ich nicht so viel, weil ich zu fahren hatte –,
und tauschten unsere Erfahrungen mit den Manuskripten der Kollegen aus.
Es
gab viel zu lachen, vor allem ab dem Zeitpunkt, als Ernst Vlcek anfing,
»Geschichten von früher« zu erzählen. »Wie der Karl-Herbert dann ...«,
so endete mancher Schwank. Er berichtete von Autorenkonferenzen in den
70er-Jahren, die – wenn wir alles glauben sollten – nicht selten in
einem völligen Chaos endeten. In seinen Geschichten karikierte er die
Altautoren, allerdings immer augenzwinkernd und selbstironisch.
Robert
und ich lachten zeitweise schallend. In der vollbesetzten Hotel-Bar
waren wir an diesem Abend sicher die munterste Runde. Spät nach
Mitternacht fuhr ich nach Hause.
Am Montagmorgen ging es erst
einmal ohne Exposés weiter. Ich hatte Besucher in der Redaktion. Schüler
der 13. Klasse eines Gymnasiums trafen ein; ihr Lehrer hatte den Termin
schon vor Wochen vereinbart. Die jungen Leute kamen aus Ettlingen,
einer Kleinstadt in der Nähe, und sie hatten sich im Unterricht gut auf
PERRY RHODAN vorbereitet.
Wie im voraus vereinbart, holte ich die
Jugendlichen und ihren Lehrer an der Pforte ab und lotste sie nicht in
mein Büro – das sah mir dann doch zu chaotisch aus –, sondern in die
Kantine. Einige Kollegen aus anderen Abteilungen hatten gerade Pause,
womit ich nicht gerechnet hatte. Ich bat sie, sich an die Seite zu
setzen, was sie auch machten. Durch ihre Anwesenheit vergrößerte sich
mein Publikum ungeplant ...
Die Schüler ließen sich an den
Tischen nieder, ich packte eine Kiste mit PERRY RHODAN-Materialien aus
und erzählte, was wir veröffentlichten und wie die Produktion ablief.
Darüber hinaus plauderte ich über die Geschichte des Verlages und
stellte die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Autoren dar.
Die
Schüler stellten interessierte Fragen, auf die ich so gut wie möglich
einging. Hinterher gab's Applaus, auch von den Kollegen aus anderen
Abteilungen. Unser Computer-Experte, ein Informatiker mit Doktortitel,
kam sogar zu mir, schüttelte mir die Hand und sagte, er habe noch nie so
viel auf einmal über unsere Serie erfahren. Das schmeichelte mir sehr;
als junger Redakteur, der sich mit Science Fiction beschäftigte, galt
ich im Verlag eher als Sonderling.
Nachdem ich fertig war, konnte ich die Schüler »weitergeben«; ein Kollege aus der Druckerei übernahm. Die
jungen Leute sollten sehen, wie aus einem Manuskript ein fertig
gedruckter Roman wurde. Man zeigte ihnen – so war es vereinbart – die
Setzerei, wo das Manuskript abgetippt und in Form gebracht wurde, sowie
die weiteren Zwischenstufen, bis der Roman die Druckerei verlassen
konnte.
Ich eilte in den Besprechungsraum im oberen Geschoss.
Dort waren mittlerweile die Autoren eingetroffen; Dr. Florian F. Marzin
ließ Kaffee und Gebäck anliefern. Ernst und Florian rauchten im
geschlossenen Besprechungsraum, so dass wir innerhalb kürzester Zeit in
einer Wolke aus Qualm saßen. Da die Inhalte, über die wir zu sprechen
hatten, durchaus komplex waren, hatte ich bald das Gefühl, auch mein
Hirn sei voller Qualm.
Wir diskutierten den weiteren Verlauf des
Abruse-Zyklus, der noch gar keinen Namen hatte. Wie sollte die »andere
Seite des Universums« beschaffen sein, welche Rätsel sollten auf die
Terraner warten? Ernst Vlcek
präsentierte seine Idee, dass es vor allem Wesen aus Kristall sein
sollten, auf die man treffen würde – dies sei ein klarer Gegensatz zu
Menschen aus Fleisch und Blut. Kommunikation sollte schwierig sein, er
wollte alles sehr geheimnisvoll haben.
Robert fand viele
Überlegungen in dieser Richtung nicht richtig. Wir würden uns in die
Enge manövrieren, wenn wir »normale« Gegenspieler wegließen. Perry
Rhodan und seine Gefährten benötigten Kontrahenten, damit wir eine
spannende Handlung haben könnten. Bis zur Mittagspause an diesem Tag
bissen wir uns an solchen Details tatsächlich fest.
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