Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Ich steckte geradezu in einem Afrika-Blues, als ich am Freitag, 8.
Oktober 1993, mit der Arbeit am vierten Buch der ATLAN-Serie begann.
Hans Kneifel hatte geliefert, während ich vier Wochen lang durch
Südafrika gereist war, und jetzt lag der riesige Berg von Papier auf
meinem Schreibtisch.
Eigentlich wollte ich in Erinnerungen
schwelgen, wollte noch einmal meine Gedanken nach Süden richten. Aber
die Arbeit wollte nicht warten: Es musste sein – ich hatte das Buch noch
einmal durchzuzarbeiten.
»Hans hat das Manuskript ja eigentlich
gründlich redigiert«, sagte mir Dr. Florian F. Marzin, der PERRY
RHODAN-Chefredakteur. »An deiner Stelle würde ich aber noch mal
drübergucken, bevor wir es in die Setzerei geben.«
Geplant war,
dass das Buch im April 1994 erscheinen wollte. Wir waren gut in der
Zeit, aber trödeln sollte ich nicht. Immerhin hatte ich jede Woche einen
Heftroman zu redigieren, dazu kamen die Taschenbücher und diverse
Sonderproduktionen. Damit ich nicht in Termindruck geriet, hatte ich mir
angewöhnt, so weit wie möglich im Voraus zu arbeiten. Das ATLAN-Buch
passte gut in die Reihe. Und dass man alle Texte noch einmal
durcharbeiten musste, wusste ich nach dem ersten Jahr bei PERRY RHODAN
schon sehr gut.
Der
Autor selbst war durchaus selbstkritisch. »Wenn du Zeit hast, guck
rein«, sagte er am Telefon, »und streich nötigenfalls das eine oder
andere unnötige Adjektiv.« Wie er mir versicherte, hatte er intensiv mit
einem jungen Autor aus dem Rheinland zusammengearbeitet. »Was der
Castor alles in meinen Texten findet, ist sagenhaft.« Er meinte Rainer
Castor, der zu dieser Zeit bereits im Hintergrund für Hans Kneifel
wirkte.
Ich blätterte durch das Manuskript und schaute mir sehr
genau an, was Hans alles geschickt hatte. Er hatte vor allem
Taschenbücher verarbeitet, die Ende der 70er-Jahre erschienen waren und
die ich damals sehr gern gelesen hatte. Ich war also sicher, mit dem
Manuskript mehr Freude als Arbeit zu haben.
Darüber hinaus hatte
Hans verschiedene Skizzenblätter beigefügt, die als Grundlage für
Landkarten dienen sollten. Die wiederum wollten wir auf den Vor- und
Nachsatzseiten des Buches veröffentlichen. Ich sah rasch, dass es nicht
einfach für die Kollegen in der Setzerei werden würde, aus den Skizzen
brauchbare Landkarten zu machen.
Dann nahm ich mir das
eigentliche Manuskript vor. Hans hatte nach dem gleichen System
gearbeitet wie zuvor auch; in welchen Phasen ihm Rainer Castor geholfen
hatte, wusste ich nicht. Die Original-Taschenbücher wie »Kämpfer für den
Pharao« oder »Das Goldland« waren Seite für Seite kopiert worden. Diese
Kopien bildeten die Grundlage.
Hans hatte auf jeder Seite seine
Notizen hinterlassen, in einer akkuraten, leicht verschnörkelten
Handschrift. Er hatte unnötige Adjektive gestrichen, neue Halbsätze
eingefügt und viele Begriffe modernisiert. Darüber hinaus hatte er
Textpassagen neu geschrieben, die er ausgeschnitten und aufgeklebt
hatte. Zwischen den einzelnen Kapiteln der ursprünglichen Romane
wiederum hatte er neue Szenen und Kapitel angeordnet.
Was vor mir
lag, war ein Berg von Kopien, Notizen und Einschüben, das völlig
logisch wirkte, das auch sehr strukturiert aussah, aber die Setzerei vor
eine große Arbeit stellen würde. »Die arme Frau, die das alles abtippen
muss«, murmelte ich nicht nur einmal, während ich alles durchblätterte.
Aber mir war klar, dass der Vorgang des Abschreibens dazu beitragen
würde, dass viele Schreibfehler quasi automatisch verschwanden.
Danach
erst würde die Datei, die auf diese Weise entstand, in die eigentliche
Setzerei gehen. Ein Setzer würde die Seiten erstellen, diese würde er
ausdrucken – dann gingen die Seiten in das Korrektorat. Wenn die
Kollegen dort eine erste Korrektur erledigt hatten, würde man das
Konvolut bei Sabine Bretzinger oder mir auf den Tisch packen, damit wir
eine erste Durchsicht vornahmen.
Aber so weit waren wir nicht.
Zuerst musste ich mir den Überblick verschaffen, ob überhaupt alles
Material vorhanden war. Dann würde ich alles noch einmal – hektisch
zumindest – lektorieren, um etwaige Fehler zu streichen und manche
Passage auch zu verändern.
Vor allem die neuen Kapitel und
Szenen mit dem Wissenschaftler Cyr Aescunnar waren neu geschrieben;
darauf sollte ich achten. Hans Kneifel hatte die Rahmenhandlung um
Atlan, der sich in einer persönlichen Krise an seine Vergangenheit
erinnert, umfangreich gestaltet und praktisch eine zweite Handlungsebene
entwickelt. Ich fand die Aescunnar-Szenen nicht so spannend und mochte
lieber die Vergangenheitskapitel; mir leuchtete aber ein, dass Hans eine
Rahmenhandlung benötigte.
Sie bildete die erzählerische Klammer
um die jeweiligen Einzelabenteuer. Immerhin hatten die einzelnen
Abenteuer nur wenig miteinander gemeinsam. Atlan schlägt sich mit
Pharaonen herum und ärgert sich über seinen aufmüpfigen Roboter Rico; er
muss gegen die merkwürdigen Ter-Quaden kämpfen, außeririschen Feinden,
und in Babylon hat er es sogar mit Akonen zu tun.
Betrachtete
man Hans Kneifels »Zeitabenteuer« am Stück – wie ich an diesem Tag –,
kam einem die Erde wie ein Tummelplatz von Außerirdischen vor, die
anscheinend nichts anderes zu tun hatten, als Menschen zu entführen. Mir
war das oft zu viel. Ich mochte die Romane, in denen Atlan mithalf, den
frühen Kulturen technische Hilfe zu leisten; wenn irgendwelche Akonen
oder Ter-Quaden mitspielten, fand ich das übertrieben.
Die neue
Bearbeitung durch Hans Kneifel wirkte beim ersten Durchbättern
durchdacht und spannend. Der Berg Papier, der vor mir lag, konnte also
weiter bearbeitet werden. An diesem Freitag würde ich das nicht mehr
erledigen. Ich packte alle Unterlagen, festgeschnürt mit Gummis, in
einen Ordner und steckte diesen in meine Tasche.
Das war eine
Arbeit fürs Wochenende, nahm ich mir vor. Und ohne es zu bemerken,
begründete ich damit eine Tradition: Meine Wochenenden würden ab diesem
Tag nicht mehr mir selbst gehören, sondern immer öfter den Herren Atlan
und Perry Rhodan ...
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