21 Januar 2017

Hüter des Planeten

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Ich steckte geradezu in einem Afrika-Blues, als ich am Freitag, 8. Oktober 1993, mit der Arbeit am vierten Buch der ATLAN-Serie begann. Hans Kneifel hatte geliefert, während ich vier Wochen lang durch Südafrika gereist war, und jetzt lag der riesige Berg von Papier auf meinem Schreibtisch.

Eigentlich wollte ich in Erinnerungen schwelgen, wollte noch einmal meine Gedanken nach Süden richten. Aber die Arbeit wollte nicht warten: Es musste sein – ich hatte das Buch noch einmal durchzuzarbeiten.

»Hans hat das Manuskript ja eigentlich gründlich redigiert«, sagte mir Dr. Florian F. Marzin, der PERRY RHODAN-Chefredakteur. »An deiner Stelle würde ich aber noch mal drübergucken, bevor wir es in die Setzerei geben.«

Geplant war, dass das Buch im April 1994 erscheinen wollte. Wir waren gut in der Zeit, aber trödeln sollte ich nicht. Immerhin hatte ich jede Woche einen Heftroman zu redigieren, dazu kamen die Taschenbücher und diverse Sonderproduktionen. Damit ich nicht in Termindruck geriet, hatte ich mir angewöhnt, so weit wie möglich im Voraus zu arbeiten. Das ATLAN-Buch passte gut in die Reihe. Und dass man alle Texte noch einmal durcharbeiten musste, wusste ich nach dem ersten Jahr bei PERRY RHODAN schon sehr gut.

tl_files/comic/images/cover/atlanbuecher/AtlanHC04cover.jpgDer Autor selbst war durchaus selbstkritisch. »Wenn du Zeit hast, guck rein«, sagte er am Telefon, »und streich nötigenfalls das eine oder andere unnötige Adjektiv.« Wie er mir versicherte, hatte er intensiv mit einem jungen Autor aus dem Rheinland zusammengearbeitet. »Was der Castor alles in meinen Texten findet, ist sagenhaft.« Er meinte Rainer Castor, der zu dieser Zeit bereits im Hintergrund für Hans Kneifel wirkte.

Ich blätterte durch das Manuskript und schaute mir sehr genau an, was Hans alles geschickt hatte. Er hatte vor allem Taschenbücher verarbeitet, die Ende der 70er-Jahre erschienen waren und die ich damals sehr gern gelesen hatte. Ich war also sicher, mit dem Manuskript mehr Freude als Arbeit zu haben.

Darüber hinaus hatte Hans verschiedene Skizzenblätter beigefügt, die als Grundlage für Landkarten dienen sollten. Die wiederum wollten wir auf den Vor- und Nachsatzseiten des Buches veröffentlichen. Ich sah rasch, dass es nicht einfach für die Kollegen in der Setzerei werden würde, aus den Skizzen brauchbare Landkarten zu machen.

Dann nahm ich mir das eigentliche Manuskript vor. Hans hatte nach dem gleichen System gearbeitet wie zuvor auch; in welchen Phasen ihm Rainer Castor geholfen hatte, wusste ich nicht. Die Original-Taschenbücher wie »Kämpfer für den Pharao« oder »Das Goldland« waren Seite für Seite kopiert worden. Diese Kopien bildeten die Grundlage.

Hans hatte auf jeder Seite seine Notizen hinterlassen, in einer akkuraten, leicht verschnörkelten Handschrift. Er hatte unnötige Adjektive gestrichen, neue Halbsätze eingefügt und viele Begriffe modernisiert. Darüber hinaus hatte er Textpassagen neu geschrieben, die er ausgeschnitten und aufgeklebt hatte. Zwischen den einzelnen Kapiteln der ursprünglichen Romane wiederum hatte er neue Szenen und Kapitel angeordnet.

Was vor mir lag, war ein Berg von Kopien, Notizen und Einschüben, das völlig logisch wirkte, das auch sehr strukturiert aussah, aber die Setzerei vor eine große Arbeit stellen würde. »Die arme Frau, die das alles abtippen muss«, murmelte ich nicht nur einmal, während ich alles durchblätterte. Aber mir war klar, dass der Vorgang des Abschreibens dazu beitragen würde, dass viele Schreibfehler quasi automatisch verschwanden.

Danach erst würde die Datei, die auf diese Weise entstand, in die eigentliche Setzerei gehen. Ein Setzer würde die Seiten erstellen, diese würde er ausdrucken – dann gingen die Seiten in das Korrektorat. Wenn die Kollegen dort eine erste Korrektur erledigt hatten, würde man das Konvolut bei Sabine Bretzinger oder mir auf den Tisch packen, damit wir eine erste Durchsicht vornahmen.

Aber so weit waren wir nicht. Zuerst musste ich mir den Überblick verschaffen, ob überhaupt alles Material vorhanden war. Dann würde ich alles noch einmal – hektisch zumindest – lektorieren, um etwaige Fehler zu streichen und manche Passage auch zu verändern.

Vor allem die neuen Kapitel und Szenen mit dem Wissenschaftler Cyr Aescunnar waren neu geschrieben; darauf sollte ich achten. Hans Kneifel hatte die Rahmenhandlung um Atlan, der sich in einer persönlichen Krise an seine Vergangenheit erinnert, umfangreich gestaltet und praktisch eine zweite Handlungsebene entwickelt. Ich fand die Aescunnar-Szenen nicht so spannend und mochte lieber die Vergangenheitskapitel; mir leuchtete aber ein, dass Hans eine Rahmenhandlung benötigte.

Sie bildete die erzählerische Klammer um die jeweiligen Einzelabenteuer. Immerhin hatten die einzelnen Abenteuer nur wenig miteinander gemeinsam. Atlan schlägt sich mit Pharaonen herum und ärgert sich über seinen aufmüpfigen Roboter Rico; er muss gegen die merkwürdigen Ter-Quaden kämpfen, außeririschen Feinden, und in Babylon hat er es sogar mit Akonen zu tun.

Betrachtete man Hans Kneifels »Zeitabenteuer« am Stück – wie ich an diesem Tag –, kam einem die Erde wie ein Tummelplatz von Außerirdischen vor, die anscheinend nichts anderes zu tun hatten, als Menschen zu entführen. Mir war das oft zu viel. Ich mochte die Romane, in denen Atlan mithalf, den frühen Kulturen technische Hilfe zu leisten; wenn irgendwelche Akonen oder Ter-Quaden mitspielten, fand ich das übertrieben.

Die neue Bearbeitung durch Hans Kneifel wirkte beim ersten Durchbättern durchdacht und spannend. Der Berg Papier, der vor mir lag, konnte also weiter bearbeitet werden. An diesem Freitag würde ich das nicht mehr erledigen. Ich packte alle Unterlagen, festgeschnürt mit Gummis, in einen Ordner und steckte diesen in meine Tasche.

Das war eine Arbeit fürs Wochenende, nahm ich mir vor. Und ohne es zu bemerken, begründete ich damit eine Tradition: Meine Wochenenden würden ab diesem Tag nicht mehr mir selbst gehören, sondern immer öfter den Herren Atlan und Perry Rhodan ...

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