05 August 2021

Ein Vater und seine Taschenbücher

Aus der Reihe »Der Redakteur erinnert sich«

Die neue Mitschülerin und ich vertrugen uns nicht sonderlich gut: Sie kam aus dem Ruhrgebiet, sprach hochdeutsch und war zu Tode gelangweilt, weil ihre Eltern sie – auf der Suche nach Arbeit – aus der quirligen Großstadt in unser ruhiges Dorf im Schwarzwald verfrachtet hatten. Ich fand sie arrogant, allein schon deswegen, weil sie hochdeutsch sprach und ich mit meinem Schwäbisch nicht mithalten konnte, und sie wiederum hielt mich für einen Bauerntrottel.

Beste Voraussetzungen also für eine Schulfreundschaft in diesem Herbst 1978 …

Weil ihre Eltern in einer Neubausiedlung wohnten, die man unweit unseres Hauses errichtet hatte, stieg sie an derselben Haltestelle wie ich in den Schulbus, und wir gingen in die gleiche Klasse. Es blieb also nicht aus, dass wir zwar keine Freunde wurden, aber von Tag zu Tag besser miteinander auskamen.

Sie bemerkte irgendwann, dass ich seltsamer war als die anderen Jugendlichen im Dorf: Ich las Science Fiction. Oft saß ich im Unterricht in der letzten Bank und las einen aktuellen PERRY RHODAN-Roman.

In einer Pause sprach sie mich an. Ob ich denn auch die Taschenbücher lesen würde, fragte sie mich. Ich musste verneinen. Ich wusste, dass es die PERRY RHODAN-Planetenromane gab, aber die konnte ich mir bisher nicht leisten. Mein bisschen Geld reichte gerade für den wöchentlichen aktuellen Roman und den Nachdruck der vierten Auflage; meine Kumpels, bei denen ich immer noch Hefte auslieh, besaßen erst gar keine Taschenbücher.

»Mein Vater hat die auch einmal gelesen«, erzählte die Klassenkameraden. »Er hat einen ganzen Schrank voll mit diesen alten dünnen Taschenbüchern.«

Das fand ich höchst interessant. Sie lieh mir einen Stapel unsortierter Taschenbücher aus, allesamt Planetenromane aus den späten 60er-Jahren. Man sah den Bänden an, dass sie schon einmal gelesen worden waren, aber sie waren ansonsten in einem sehr guten Zustand. Und was für Perlen erhielt ich gleich mit dem ersten Stapel!

»Baumeister des Kosmos« von Kurt Mahr war recht anspruchsvoll; es ging um ein anderes Universum und die Begegnung damit. Doch ich fand es faszinierend, selbst wenn ich nicht alles verstand. Ich versank geradezu in diesem Blick auf die Unendlichkeit, den ich zu diesem Zeitpunkt in den PERRY RHODAN-Heftromanen so noch nicht wahrgenommen hatte.

Beeindruckt war ich von »Der Einsame von Terra« – bis heute einer meiner liebsten Planetenromane aus dieser Phase –, der von Hans Kneifel stammte und in dem ich mich in gewisser Weise wiederfand: ein Mensch, der allein auf einer fremden Welt sitzt und sich mit einer Umgebung anfreunden muss, mit der er nicht so richtig klarkommt. Als Jugendlicher in einem Schwarzwalddorf, der vom Weltall träumte und seltsame Musik hörte, fühlte ich mich mit diesem Helden sehr verbunden.

Und so ging es weiter. Der spektakuläre »Ich, Rhodans Mörder« von William Voltz, der immer stärker zu meinem Lieblingsautor wurde – ich liebte die Abenteuer von Don Redhorse im »MdI«-Zyklus, den ich in der dritten Auflage gelesen hatte – oder »Der Geisteragent aus dem All« von H. G. Ewers begeisterten mich. Vor meinen staunenden Augen entfaltete sich ein Universum, das eindeutig zu PERRY RHODAN gehörte, die Serie aber um Dimensionen erweiterte, die mir vorher unbekannt gewesen waren.

Wie sich bald herausstellte, mochte der Vater der Schulkameradin vor allem die Romane von Hans Kneifel und H. G. Ewers. Zumindest hatte er von diesen mehr anzubieten als von anderen Autoren. Mit wachsender Begeisterung las ich die Ewers’schen Schilderungen des Planeten Oxtorne und die spannenden Planetenabenteuer von Hans Kneifel, in denen oft einsame Männer einen Kampf mit feindlichen Mächten auszutragen hatten.

In diesem Herbst kaufte ich sogar mein erstes PERRY RHODAN-Taschenbuch, dazu reichte mein Geld einmal aus. Es war »Rückkehr der Toten«, verfasst von Horst Hoffmann, und mich zog schon das Titelbild in seinen Bann. Es zeigte einen liegenden Mann, einen gefährlich aussehenden Außerirdischen und vor allem eine faszinierende Frau mit auffallend wenig Kleidung – zu diesem Zeitpunkt war mir klar, dass ich ein solches Buch vor meinen christlichen Eltern zu verstecken hatte, noch mehr als die »Schundhefte«.

Ich verstand die Handlung des Romans zwar einigermaßen, war aber verwirrt. Wie hing das mit der bisherigen Serie zusammen? Ich kannte die Vorgeschichte nicht. Aber da half mir meine Klassenkameradin aus der Klemme. Ich lieh mir – mehr aus Zufall – die zwei Taschenbücher »Am Rand des Blauen Nebels« und »Die Goldenen Menschen« aus, die in dem Schrank ihres Vaters lagen. Staunend erkannte ich die Zusammenhänge mit den Goldenen Menschen, der fremden Welt Chromund und der unheimlichen Veränderung für manche Terraner.

Die zwei Brüder, von denen ich seit 1977 viele PERRY RHODAN-Hefte ausgeliehen hatte, fanden mein Interesse an den Taschenbüchern verwunderlich. »Das sind keine Fortsetzungsgeschichten«, sagte mir der jüngere der beiden. Der ältere fand zu dieser Zeit ohnehin immer weniger Interesse an Science Fiction – er hatte sich vom ersparten Geld ein kleines Moped gekauft und verbrachte damit viel Zeit.

Ich erkannte, dass die Taschenbücher das Serienuniversum erweiterten. PERRY RHODAN war weitaus umfangreicher als die wöchentlichen Heftromane, die in vier Auflagen veröffentlicht wurden. Durch die Taschenbücher erfuhr ich mehr über die Machenschaften der Meister der Insel, die Bewohner fremder Kolonien oder die Vergangenheit von Atlan, dem Arkoniden. Dass sie ein wenig länger waren als ein Heft, empfand ich als Bereicherung.

Die Klassenkameradin und ich wurden nie Freunde, wir gewöhnten uns aneinander. Als ich im Sommer 1980 die Schule verließ, verloren wir uns bald aus den Augen. Heute weiß ich nicht einmal mehr ihren Nachnamen.

1 Kommentar:

Aarn Munro hat gesagt…

Meine regelmäßigen Rezensionen der Planetenromane auf Zauberspiegel.Vor kurzem habe ich auch "Der Einsame von Terra" rezensiert. auch eines meiner Lieblingsbücher von HK.
Galaktische Grüße Aarn