09 Juli 2020

Walter Ernsting, Hans Dominik und Karl May – Teil 1

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Ich saß auf einem unbequemen Stuhl in einer kleinen Wohnung in Salzburg. Wenn ich zum Fenster hinausblickte, sah ich schneebedeckte Berge, über denen die Sonne strahlte. Doch mein Interesse lag auf dem Mann, der vor mir auf dem Sofa saß, sich manchmal aber auch hinlegen musste.

An diesem Tag im März 1999 führte ich ein langes Interview mit Walter Ernsting. Es sollte die Basis für eine Biografie über den PERRY RHODAN-Gründungsautor liefern, die ich schreiben wollte. (Später konnte Heiko Langhans es als Grundlage für sein Sachbuch über Ernsting benutzen.)

Gemeinsam hatten der Autor und ich die frühen Jahre der PERRY RHODAN-Serie durchgearbeitet. Wir hatten seine Erlebnisse im Krieg gestreift, waren an die familiären Verhältnisse gegangen und hatten viel über die frühe Fan-Szene gesprochen. Einige Dinge wusste ich schon, weil ich sie im Verlauf der Jahre immer mal wieder gelesen hatte – doch nun kam ich an einen Punkt, der mich auch privat interessierte: Was waren eigentlich die Einflüsse und Vorbilder für den Autor, der mich in meiner Jugend sehr stark beeinflusst hatte?

Walter erzählte mir von seiner Begeisterung für das Kino. Als Jugendlicher hatte er sich Krimis, Abenteuer- und ganz selten auch mal Zukunftsfilme angesehen. Für »King Kong« lief er 1933 insgesamt sieben Kilometer weit zum nächsten Lichtspielhaus. Den Film fand er gar nicht so toll; sein trockener Kommentar dazu: »Aber es gab ja sonst kaum etwas.« Mit dem filmischen Kunstwerk »Metropolis« konnte er noch weniger anfangen. »Zu viel Arbeiterbewegung – das hat mich nicht interessiert«, meinte er lakonisch.

Bereits als Kind war Walter Ernsting eine Leseratte gewesen. Er schmökerte im eigenen Zimmer in Büchern, aber auch auf dem Dachboden oder im Garten. »Mit neun Jahren las ich die Story von der Hochzeitsreise ins Weltall, die erste Etappe zum Mond. Das hat mich so fasziniert, da bin ich angesteckt worden, und danach hab ich Dominik und all die Sachen gelesen, die mir in die Finger kamen.«

Wobei er mit Hans Dominik durchaus seine Schwierigkeiten hatte: »Der war mir zu deutsch. Gelesen habe ich ihn jedenfalls, weil er für mich damals interessant war.« Auch später griff er zu den Romanen des bekannten Schriftstellers. »Sogar im Krieg habe ich Dominik gelesen, an der Ostfront.«

Ich fragte ihn, welche dieser Geschichten er trotz aller Kritik am stärksten gefunden hätte. »Eigentlich alles, was mit der Zukunft zusammenhing«, antwortete er. »Auch so Ideen wie die, den Golfstrom umzuleiten, um Energie zu gewinnen, oder wenn es um dem Mond ging.« Ansonsten habe er vieles schon vor dem Krieg als antiquiert empfunden.

»Aber Jules Verne«, wandte ich ein, »der ist um so einiges älter, und dessen Romane werden immer noch gelesen.«

Das sei aber immer etwas anderes gewesen, argumentierte er. »Diese Romane habe ich ganz gerne gelesen – auch die Abenteuergeschichten von ihm.« Irgendwann in den 1960er- oder 1970er-Jahren habe er sich eine Jules-Verne-Sammlung zugelegt. »… um die hundert, oder sind es zweihundert Taschenbücher, ich weiß es nicht. Der Bingenheimer hat die mal angeboten«. Auch beim zweiten Lesen fand er sie immer noch interessant. Jules Verne habe die Zeit besser überstanden als Hans Dominik. »Obwohl manche seiner Romane ganz schön langgezogen waren.«

Aber wie war das während der Nazi-Diktatur? Welche Literatur hatte welchen Stellenwert für ihn? »War Karl May gleichberechtigt mit ›Sun Koh‹ und Dominik bei dir?«, fragte ich.

»Nein, auf keinen Fall. Es war doch ein Unterschied zwischen alledem. Sun Koh ist ja gegen Karl May nun wirklich Fluchtliteratur und fast unglaublich in der Nazizeit. Während Karl May genau reinpasste, das merke ich heute mehr als damals.« Auf meine Rückfrage, was er damit meinte, sagte er sehr betont: »Es war immer sehr deutsch. Grauenhaft. Denn jeder Gute war ein Deutscher.«

Wir erinnerten uns gemeinsam daran, dass die Bösen bei Karl May meist Franzosen gewesen seien, noch fieser aber die sogenannten Mischlinge. Das habe man als junger Leser aber nicht so bemerkt. Aber als Erwachsener und nach dem Krieg habe er festgestellt, wie wenig ihm das noch gefalle.

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