08 Dezember 2020

Walter Ernsting in Mannheim – Teil zwei

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«


Es geschah, was ich erhofft hatte: Wegen meiner selbstgebastelten Anstecker, in denen ich Walter Ernsting kritisierte und Gucky ablehnte, fand ich nicht nur Freunde. An diesem Oktober-Wochenende im Jahr 1980 erkannte ich, wie grundlegend und wichtig für manche Fans die PERRY RHODAN-Serie war. Sie mochten keine ernsthafte Kritik, und sie wollten vor allem keine albernen Scherze darüber.

Immer wieder wurde ich von Fans angesprochen und in Diskussionen verwickelt. »Meinst du das mit den Buttons wirklich ernst?«, fragte der eine. »Was bezweckst du eigentlich mit solchen Sprüchen?«, erkundigte sich der andere. Sogar Prügel wurden mir angedroht, weil ich wagte, die aktuellen Gucky-Romane albern zu finden. Ich war mir allerdings nicht sicher, wie ich diese Drohungen einzuschätzen hatte. Vielleicht wollte mich da jemand nur ein wenig provozieren.

Dann aber lief ich irgendwann einer Gruppe von Männern über den Weg. Einer von ihnen war Hans Kneifel, der andere Clark Darlton. Wer sonst noch dazu gehörte, vergaß ich praktisch gleich danach. Die beiden Autoren waren auf jeden Fall in Begleitung von Lesern unterwegs.

Walter fand meinen Anblick höchst komisch und ärgerte sich keine Sekunde lang über die Buttons. Wahrscheinlich nahm er mich nicht ernst. Ich war ein Jugendlicher mit zersausten Haaren, verwaschener Jeansjacke und ausgetretenen Turnschuhen, einer von Tausenden, die im Rosengarten unterwegs waren.

Er steckte sich den »Stoppt Gucky«-Button selbst an die Brust und ließ sich von Hans Kneifel fotografieren. Beide Autoren lachten laut, sie schienen das lustig zu finden. Leider erhielt ich selbst nie einen Abzug von Fotos dieser Szene.

In diesem Augenblick beeindruckte mich Walter mehr, als ich erwartet hatte. Was für eine überlegene Reaktion!

Als ich mit PERRY RHODAN angefangen hatte, war er bereits einer »der Alten«, einfach deshalb, weil er noch älter war als mein Vater. Ich fand anfangs die Gucky-Romane großartig: Meine ersten PERRY RHODAN-Romane hatten Gucky als Hauptperson, und der kleine Mausbiber trug somit eine Mitschuld an meinem weiteren Lebensweg.

Aber als ich mich in die Science-Fiction-Szene bewegte, wurde es in meinem sozialen Umfeld immer wichtiger, die PERRY RHODAN-Serie kritisch zu beleuchten. Ich blieb der Serie treu, hinterfragte aber Figuren wie Gucky. Auf einmal fand ich ihn nicht mehr lustig, sondern albern – und erst als Walter Ernsting vor mir stand, auf diesem PERRY RHODAN-WeltCon, und sich fast ausschütten wollte vor Lachen wegen des Ansteckers, brach in mir das Eis.

Nach dem WeltCon wurde vieles anders für mich. Ich wurde ein kritischer Leser, der sich mit den aktuellen Gucky-Geschichten kaum noch anfreunden wollte. Aber wer mich fragte, dem sagte ich, dass ich den Menschen Walter Ernsting sehr schätze, mit den Romanen des Autors Clark Darlton aber nicht mehr viel anfangen könne. Walter Ernsting hinterließ in Mannheim einen nachhaltigen Eindruck bei mir.

Als ich ihn viele Jahre später auf diese Begegnung ansprach, erinnerte er sich nicht mehr daran. Kein Wunder: Er war 1980 ein bekannter und beliebter Autor, ein Mann, dessen Romane von Hunderttausenden von Lesern begeistert gelesen worden waren und immer noch wurden, und ich war einer von Tausenden von Fans, die auf diesem PERRY RHODAN-WeltCon unterwegs waren, um Autogramme zu sammeln, mit Autoren zu reden, den Vorträgen zu lauschen oder sich lustige Schlachten mit selbstgebastelten Papierfliegern zu liefern.

Im Verlauf der Jahre erlebte ich einige Begegnungen mit Walter Ernsting. Nachdem ich Redakteur für die PERRY RHODAN-Serie geworden war, gab es immer wieder Gründe, mit ihm zu telefonieren. Und als er von Irland – der Gesundheit wegen – ins österreichische Salzburg zog, hatte ich endlich die Gelegenheit, ihn persönlich zu besuchen.

Unsere Telefonate waren sporadisch, und ich bekam über die Telefonleitung mit, wie sich Walters Gesundheitszustand verschlechterte und – eher selten! – verbesserte. Es war, wie er es einmal formulierte, eine »Auf-und-Ab-Kurve mit Tendenz nach unten«, und er machte sogar Witze darüber. Als er starb, war ich sehr traurig.

Ich behielt ihn vor allem als einen warmherzigen, sympathischen Menschen voller Witz und Energie in Erinnerung, als einen Schriftsteller, der viel Spaß am Leben und stets den Schalk im Nacken hatte. Und ich vergaß nie diese erste Begegnung in Mannheim, als er auf die Provokation eines jungen Fans mit fröhlichem Gelächter und zupackender Lebensfreude reagierte.

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