Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Die Erfahrungen mit den E-Books zeigten uns im Verlauf des Jahres 2004,
dass wir einen »kleinen Markt« hatten, den wir langsam aufbauen konnten.
Vor allem Frank Borsch als Redakteur und Miriam Hofheinz
vom Marketing trieben die Überlegungen weiter voran – die beiden hatten
einen Weitblick, der zu dieser Zeit in der Verlagsbranche noch nicht
sehr verbreitet war.
Im Dezember 2004 arbeitete Frank Borsch an
einer Gesamtkonzeption für die E-Books, die seiner Ansicht nach weit in
die Zukunft reichen sollte. Seine These war damals revolutionär: Wir
sollten langfristig alle PERRY RHODAN-Romane als E-Books anbieten – das
war ein Bruch zu unseren früheren Überlegungen, die davon ausgingen,
dass E-Books ein »Randprodukt« waren.
Das langfristige Ziel,
argumentierte Frank in mehreren Besprechungen, müsse sein, die E-Books
»zu einem regulären Vertriebsweg neben den Print-Editionen« zu
entwickeln. Jedes neue Produkt der PERRY RHODAN-Redaktion solle parallel
als E-Book erscheinen, und die Produktion der E-Books solle »ohne
nennenswerten Aufwand« nebenher betrieben werden.
Ende 2004
wurden die E-Books vor allem über zwei verschiedene Anbieter angeboten.
Der eine Anbieter war die Firma Dibi, die beispielsweise stark auf einen
Kopierschutz setzte und bei der die Kunden alle Romane einzeln kaufen
konnten. Die andere Firma war readersplanet, und dort war die
Philosophie eine andere: Man bot Abonnements an und lehnte einen
Kopierschutz ab.
Wir hatten festgestellt, dass readersplanet
erfolgreich war, obwohl die Kollegen aus Passau vor allem »alte«
ATLAN-Heftromane vertrieben und nicht die interessanteren PERRY
RHODAN-Romane. Frank Borsch argumentierte: »Die Leser fühlen sich durch
den fehlenden Kopierschutz nicht eingeengt.« Darüber hinaus seien viele
Leser vom Abo-System angetan und schätzten es sehr, sich nicht jeden
Roman einzeln bestellen zu müssen. Zudem bot readersplanet zu diesem
Zeitpunkt unterschiedliche Formate an – und wer wollte, konnte sich die
Romane sogar ausdrucken.
Wem das seltsam vorkommt, muss sich
klarmachen, dass es zu diesem Zeitpunkt noch keine Smartphones gab, wie
sie ab 2008 aufkamen, und Lesegeräte wie der Kindle oder der Tolino in
weiter Ferne lagen. Wer E-Books las, machte dies üblicherweise
schlichtweg am heimischen Computer; nur manche Leser nutzten bereits
ihre Mobiltelefone.
Frank zog eine Reihe von klaren
Schlussfolgerungen: Er wollte die Zusammenarbeit mit readersplanet
fortsetzen, allerdings »konsequent mit Altmaterialien«. Gemeint waren
damit Romane, die für eine Print-Verwertung nicht mehr in Frage kamen,
von denen wir ausgehen konnten, dass es dafür nicht mehr genügend Käufer
für Bücher geben würde. Wir dachten dabei an die ATLAN-Serie, aber auch
an die Fantasy-Serien MYTHOR und DRAGON – die waren allerdings stets
»nachgeordnet«, weil niemand wusste, ob diese überhaupt noch jemanden
interessieren würden.
Der entscheidende Punkt aber war, dass wir
händeringend nach einem System suchten, das die Ansätze von dibi und
readersplanet vereinte. »Unsere Kunden kaufen eine Serie, also müssen
wir ihnen ein preisgünstiges Abonnement-System anbieten«, argumentierte
Frank. »Einzelhefte können in einem solchen Fall teurer sein.« Wir
sollten zu neuen Wegen aufbrechen, so seine Schlussfolgerung.
Letztlich
dachte er langfristig. Irgendwann, so kalkulierte er ein, gäbe es einen
ausreichenden Käuferkreis für die wöchentlichen PERRY RHODAN-Hefte,
vielleicht sogar für die PERRY RHODAN-Silberbände. Er hatte eine Vision,
die bei Gesprächen in der Kantine oder auf den Fluren beispielsweise
von den Kollegen aus dem Buchverlag nicht verstanden wurde.
Miriam
Hofheinz und Frank Borsch steckten mich mit ihrer Begeisterung an. Ich
konnte mir Ende 2004 noch nicht so richtig vorstellen, dass einmal
Millionen von Menschen mit großer Freude E-Books lesen würden – aber ich
ließ mich gern auf die Vision eines wachsenden »digitalen Buchmarktes«
ein.
Wenn ich aber in der Chefredakteurs-Besprechung davon
erzählte, welche »Experimente« wir mit PERRY RHODAN machten, wurde ich
belächelt. »Sie glauben also, dass sich die Leute irgendwann die Inhalte
von Zeitschriften und Büchern aufs Handy schicken lassen werden?«,
fragte mich der Chefredakteur einer unserer Frauenzeitschriften
verwundert. Als ich ein »ja« als Antwort gab, war er noch mehr
verwundert.
Zumindest Frank Borsch war davon völlig überzeugt. Er
entwickelte Preismodelle für die E-Books. Langfristig müssten wir
»näher an den Kioskpreis« heran, argumentierte er – weil die Kosten für
die E-Books vorhanden seien. Aber wir sollten deutlich unter dem
Kioskpreis bleiben; das wäre ein interessantes Modell. Und wir sollten
einheitliche Preise haben, nicht unterschiedliche Modelle, wie sie zu
dieser Zeit bei dibi und readersplanet existierten.
Bei all
diesen Gedanken blieb aber eine Frage offen. Welche Verkaufsstelle gab
es denn, wenn wir unser neues Modell anstrebten? Blieb uns vielleicht
nichts anderes übrig, als eine eigene E-Book-Produktion zu entwickeln
und die E-Books über einen PERRY RHODAN-Shop selbst zu vertreiben?
An
diesem Punkt endeten im Dezember 2004 alle Überlegungen. Uns war klar,
dass wir komplett anders vorgehen mussten. Die digitale Revolution würde
bei den Romanen bald kommen, davon waren wir überzeugt – jetzt
benötigten wir eine vernünftige Vertriebsmethode.
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