Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Im Frühjahr 1981 war ich komplett ins Fandom eingebunden, die
Gemeinschaft der Science-Fiction-Fans bildete in weiten Teilen meinen
Lebensinhalt. Ich publizierte mein Fanzine »Sagittarius« und schrieb an
anderen Fanzines mit, und ich war aktives Mitglied in einer Reihe von
Science-Fiction-Clubs.
Es gab nachvollziehbare Gründe für meine
Entscheidung, mich so stark in die Fan-Szene einzubringen: Weil ich
meine Lehre als Bürokaufmann abgebrochen und auf einer neuen Schule
»angefangen« hatte, war ich mit meinem Leben unzufrieden und schaffte es
nicht so recht, mir einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Die Fan-Szene
bot eine Kontinuität, die es in der Schule nicht mehr gab; in Fanzines
und Clubs konnte ich mich besser »einbringen« als in meinem Nebenjob in
einem Supermarkt oder im Familienkreis.
Einer dieser Clubs war
der Science-Fiction-Korrespondenz-Ring, kurz SFKR, der sich ausdrücklich
als »kritisch« empfand. Als bekennender PERRY RHODAN-Leser zählte ich
in diesem Club zur Minderheit, was mir gelegentlich in Briefen oder
Gesprächen auch klargemacht wurde.
Aber ich war gern Mitglied,
vor allem deshalb, weil die führenden Mitglieder des Clubs zumindest so
taten, als seien sie gegen »das Establishment«. Das klang gut, das fand
ich rebellisch, und deshalb wollte ich in diesem Club aktiver werden als
im ersten Jahr meiner Mitgliedschaft.
Aus diesem Grund freute es
mich sehr, endlich einmal zu einer Versammlung des Clubs fahren zu
können. Die meisten Mitglieder kannte ich nur von den Briefen her, die
wir wechselten, oder aus den internen Zeitschriften, über die
kommuniziert wurde. Nur wenige hatte ich auf dem PERRY RHODAN-WeltCon im
Herbst 1980 getroffen.
Der Verein wollte seine
Jahreshauptversammlung in Bamberg abhalten – das war ein Grund für mich,
auf einen echten Club-Con zu fahren. In Bamberg hatte der Verein eine
besonders aktive Ortsgruppe, also bot sich diese Stadt an. Das
Oster-Wochenende des 12. bis 14. März 1981 war dafür ausgesucht worden.
Am
Freitag ging es für mich los. Es war ein kalter Morgen, nicht untypisch
für den Schwarzwald. Morgens hatten wir Minusgrade, aber ich musste ja
los. Mit meinem Fahrrad, auf dessen Gepäckträger ich meine Tasche
geschnallt hatte, radelte ich von meinem Heimatdorf in die Kreisstadt.
Dort stellte ich mein Rad ab, spazierte zu einer Stelle, wo ich gut den
»Daumen raushalten« konnte, und begann mit meiner Tour.
Per
Anhalter reiste ich nach Stuttgart, das ging stets sehr gut. Dort aber
bekam ich keinen weiteren »Lift«. Nachdem ich lange an der Autobahn
gestanden hatte, fuhr ich per Anhalter in die Innenstadt und nahm ab dem
Bahnhof einen Zug.
So kam ich recht schnell nach Bamberg. Am
dortigen Bahnhof suchte ich eine Telefonzelle, die nicht beschädigt war,
und rief eine der Nummern an, die vorher publiziert worden waren. Einer
der Bamberger Science-Fiction-Fans meldete sich; er holte mich ab und
brachte mich zu sich nach Hause. Dort rollte ich meinen Schlafsack in
einem Zimmer auf dem Boden aus.
Bei Cons dieser Art war es in den
frühen 80er-Jahren durchaus normal, dass der Großteil der Fans in den
Wohnungen anderer Fans übernachtete. Niemand hatte genügend Geld, um
sich ein Hotelzimmer zu leisten. Dass man per Anhalter anreiste, war
ebenfalls nicht außergewöhnlich. Und so fanden sich an diesem Freitag
mehrere Fans ein, die eifrig miteinander kommunizierten.
Gemeinsam
spazierten wir später durch die Innenstadt von Bamberg, um bei einem
anderen Fan auf die weiteren Clubmitglieder zu stoßen. Erst als alle
zusammen waren, steuerten wir gemeinsam ein Gasthaus in der Altstadt an
Dort hatte Hermann, der Veranstalter, den Nebenraum für uns reserviert.
Gut dreißig Science-Fiction-Fans saßen in diesem Raum an Tischen, die zu
einem »U« geformt waren, tranken Bier, aßen und diskutierten.
Immerhin
war das Ganze die offizielle Jahreshauptversammlung des Vereins, es
ging letztlich also um eher langweilige Interna. Spannend fand ich das
trotzdem, schließlich konnte ich hier mitbestimmen und mitdiskutieren.
In der Schule und im Arbeitsleben gab es diese Möglichkeit eher selten
...
Auffallend ist im Nachhinein etwas, das die wenigen Fotos
eindeutig belegen: Wir waren eine Runde männlicher Jugendlicher. Es war
keine einzige junge Frau im Raum. Das war wahrscheinlich der Grund,
warum so viel getrunken wurde. Ich war nicht der einzige, der im Verlauf
der Mitgliederversammlung mehr als genug Bier zu sich nahm. Und als
gegen 21 Uhr die Versammlung abgebrochen wurde, lag das unter anderem
daran, dass sowieso niemand mehr richtig fit war.
Wir gingen in
eine Diskothek, damals nicht unüblich für jugendliche Con-Besucher. Der
Laden hieß »Albatros«; wir tranken Bier, wir tanzten, wir unterhielten
uns – die Science Fiction spielte ab diesem Zeitpunkt ebensowenig eine
Rolle wie der gesamte Verein. Gegen 22 Uhr betraten zwei Polizisten die
Diskothek, erinnerten an das Tanzverbot an Karfreitag, das in ganz
Bayern galt, und unterbanden so den fröhlichen Abend.
Für mich
als jungen Fan hatte sich der Tag trotzdem gelohnt. Ich war aus meinem
Heimatdorf herausgekommen, ich hatte andere Science-Fiction-Fans
getroffen, und ich war in einer Diskothek gewesen. Allein das wäre schon
Grund genug gewesen, ein solches Wochenende in Bamberg zu verbringen.
Die
abenteuerlichen Teile eines solchen Con-Wochenendes, die sich auch in
vielen anderen Berichten nachlesen lassen, machten die Sache erst
spannend: Wir fuhren nach dem Diskotheken-Besuch zu siebt in einem Auto
durch die Stadt. Zwei Leute saßen auf dem Beifahrersitz, vier Leute auf
dem Rücksitz ...
Und es gehörte zu einem Con dieser Art dazu,
dass man noch lange zusammensaß, Bier trank und über alle möglichen
Dinge sprach. Immerhin wohnte mein Gastgeber nicht mehr bei seinen
Eltern, sondern hatte eine »eigene Bude«: da ließ es sich gut aushalten
und später auf dem Fußboden im Schlafsack auch schlafen.
3 Kommentare:
Ich finde es unglaublich schade, dass junge Leute von heute viele der Erfahrungen von früher nicht mehr machen können. Ich sage nur trampen und telefonieren in Telefonzellen, einschließlich des Spaßes bei der Organisation eines Fan-Treffens. Letzteres funktioniert heute einfach per Mausklick und nennt sich Facebook-Party.
Klasse, dieser Bericht! Was SF-Literatur bedeuten kann: raus aus dem Dorf, Leute treffen, diskutieren ... Und wie simpel und mit welcher gegenseitigen Freundlichkeit und Hilfe das funktioniert hat! Erinnert mich daran, dass ich anfangs mit dem Fahrrad eine Dreiviertelstunde durch Berlin fuhr, um die "Federwelt" im preisgünstigsten Copyshop kopieren und tackern zu lassen, damals in einer Auflage von 85 Exemplaren. Anschließend habe ich sie einzeln in meinem Freundeskreis verkauft. Per Mail kam eine Anfrage, ob man bei mir Volontariat machen könne. Haha! In meiner Studentenbude bei einer getackerten Mini-Zeitschrift für angehende Autoren.
Dein Bericht mit Schlafsack-Ausrollen auf dem Boden und dem Erobern der großen weiten Welt macht sehnsüchtig. War doch auch schön damals, oder?
Herzlich,
Titus
Nicht nur heute haben junge Leute es schwer, diese für ihre Entwicklungen nötigen Erfahrungen zu machen.
Auch damals war es manchmal sehr schwer - besonders wenn der Vater Polizist war ...
Aber junge Leute waren schon damals erfinderisch! - Zum Glück!
Und junge Frauen waren zu der Zeit nicht nur in der Minderzahl, sondern eher eine totale Ausnahme! - Kenne ich von mir selbst. Ein junges Mädchen, das SF liest? Was ist denn das?
Tja - "Klein-Angelika" las mit 13 Jahren ihren ersten PR-Roman - und in den Jahren danach stellte es sich heraus, dass sie mit einem unheilbaren Virus infiziert ist ...
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