25 November 2015

Mein erster Tag in Bamberg

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Im Frühjahr 1981 war ich komplett ins Fandom eingebunden, die Gemeinschaft der Science-Fiction-Fans bildete in weiten Teilen meinen Lebensinhalt. Ich publizierte mein Fanzine »Sagittarius« und schrieb an anderen Fanzines mit, und ich war aktives Mitglied in einer Reihe von Science-Fiction-Clubs.

Es gab nachvollziehbare Gründe für meine Entscheidung, mich so stark in die Fan-Szene einzubringen: Weil ich meine Lehre als Bürokaufmann abgebrochen und auf einer neuen Schule »angefangen« hatte, war ich mit meinem Leben unzufrieden und schaffte es nicht so recht, mir einen neuen Freundeskreis aufzubauen. Die Fan-Szene bot eine Kontinuität, die es in der Schule nicht mehr gab; in Fanzines und Clubs konnte ich mich besser »einbringen« als in meinem Nebenjob in einem Supermarkt oder im Familienkreis.

Einer dieser Clubs war der Science-Fiction-Korrespondenz-Ring, kurz SFKR, der sich ausdrücklich als »kritisch« empfand. Als bekennender PERRY RHODAN-Leser zählte ich in diesem Club zur Minderheit, was mir gelegentlich in Briefen oder Gesprächen auch klargemacht wurde.

Aber ich war gern Mitglied, vor allem deshalb, weil die führenden Mitglieder des Clubs zumindest so taten, als seien sie gegen »das Establishment«. Das klang gut, das fand ich rebellisch, und deshalb wollte ich in diesem Club aktiver werden als im ersten Jahr meiner Mitgliedschaft.

Aus diesem Grund freute es mich sehr, endlich einmal zu einer Versammlung des Clubs fahren zu können. Die meisten Mitglieder kannte ich nur von den Briefen her, die wir wechselten, oder aus den internen Zeitschriften, über die kommuniziert wurde. Nur wenige hatte ich auf dem PERRY RHODAN-WeltCon im Herbst 1980 getroffen.

Der Verein wollte seine Jahreshauptversammlung in Bamberg abhalten – das war ein Grund für mich, auf einen echten Club-Con zu fahren. In Bamberg hatte der Verein eine besonders aktive Ortsgruppe, also bot sich diese Stadt an. Das Oster-Wochenende des 12. bis 14. März 1981 war dafür ausgesucht worden.

Am Freitag ging es für mich los. Es war ein kalter Morgen, nicht untypisch für den Schwarzwald. Morgens hatten wir Minusgrade, aber ich musste ja los. Mit meinem Fahrrad, auf dessen Gepäckträger ich meine Tasche geschnallt hatte, radelte ich von meinem Heimatdorf in die Kreisstadt. Dort stellte ich mein Rad ab, spazierte zu einer Stelle, wo ich gut den »Daumen raushalten« konnte, und begann mit meiner Tour.

Per Anhalter reiste ich nach Stuttgart, das ging stets sehr gut. Dort aber bekam ich keinen weiteren »Lift«. Nachdem ich lange an der Autobahn gestanden hatte, fuhr ich per Anhalter in die Innenstadt und nahm ab dem Bahnhof einen Zug.

So kam ich recht schnell nach Bamberg. Am dortigen Bahnhof suchte ich eine Telefonzelle, die nicht beschädigt war, und rief eine der Nummern an, die vorher publiziert worden waren. Einer der Bamberger Science-Fiction-Fans meldete sich; er holte mich ab und brachte mich zu sich nach Hause. Dort rollte ich meinen Schlafsack in einem Zimmer auf dem Boden aus.

Bei Cons dieser Art war es in den frühen 80er-Jahren durchaus normal, dass der Großteil der Fans in den Wohnungen anderer Fans übernachtete. Niemand hatte genügend Geld, um sich ein Hotelzimmer zu leisten. Dass man per Anhalter anreiste, war ebenfalls nicht außergewöhnlich. Und so fanden sich an diesem Freitag mehrere Fans ein, die eifrig miteinander kommunizierten.

Gemeinsam spazierten wir später durch die Innenstadt von Bamberg, um bei einem anderen Fan auf die weiteren Clubmitglieder zu stoßen. Erst als alle zusammen waren, steuerten wir gemeinsam ein Gasthaus in der Altstadt an Dort hatte Hermann, der Veranstalter, den Nebenraum für uns reserviert. Gut dreißig Science-Fiction-Fans saßen in diesem Raum an Tischen, die zu einem »U« geformt waren, tranken Bier, aßen und diskutierten.

Immerhin war das Ganze die offizielle Jahreshauptversammlung des Vereins, es ging letztlich also um eher langweilige Interna. Spannend fand ich das trotzdem, schließlich konnte ich hier mitbestimmen und mitdiskutieren. In der Schule und im Arbeitsleben gab es diese Möglichkeit eher selten ...

Auffallend ist im Nachhinein etwas, das die wenigen Fotos eindeutig belegen: Wir waren eine Runde männlicher Jugendlicher. Es war keine einzige junge Frau im Raum. Das war wahrscheinlich der Grund, warum so viel getrunken wurde. Ich war nicht der einzige, der im Verlauf der Mitgliederversammlung mehr als genug Bier zu sich nahm. Und als gegen 21 Uhr die Versammlung abgebrochen wurde, lag das unter anderem daran, dass sowieso niemand mehr richtig fit war.

Wir gingen in eine Diskothek, damals nicht unüblich für jugendliche Con-Besucher. Der Laden hieß »Albatros«; wir tranken Bier, wir tanzten, wir unterhielten uns – die Science Fiction spielte ab diesem Zeitpunkt ebensowenig eine Rolle wie der gesamte Verein. Gegen 22 Uhr betraten zwei Polizisten die Diskothek, erinnerten an das Tanzverbot an Karfreitag, das in ganz Bayern galt, und unterbanden so den fröhlichen Abend.

Für mich als jungen Fan hatte sich der Tag trotzdem gelohnt. Ich war aus meinem Heimatdorf herausgekommen, ich hatte andere Science-Fiction-Fans getroffen, und ich war in einer Diskothek gewesen. Allein das wäre schon Grund genug gewesen, ein solches Wochenende in Bamberg zu verbringen.

Die abenteuerlichen Teile eines solchen Con-Wochenendes, die sich auch in vielen anderen Berichten nachlesen lassen, machten die Sache erst spannend: Wir fuhren nach dem Diskotheken-Besuch zu siebt in einem Auto durch die Stadt. Zwei Leute saßen auf dem Beifahrersitz, vier Leute auf dem Rücksitz ...

Und es gehörte zu einem Con dieser Art dazu, dass man noch lange zusammensaß, Bier trank und über alle möglichen Dinge sprach. Immerhin wohnte mein Gastgeber nicht mehr bei seinen Eltern, sondern hatte eine »eigene Bude«: da ließ es sich gut aushalten und später auf dem Fußboden im Schlafsack auch schlafen.

3 Kommentare:

Christina hat gesagt…

Ich finde es unglaublich schade, dass junge Leute von heute viele der Erfahrungen von früher nicht mehr machen können. Ich sage nur trampen und telefonieren in Telefonzellen, einschließlich des Spaßes bei der Organisation eines Fan-Treffens. Letzteres funktioniert heute einfach per Mausklick und nennt sich Facebook-Party.

Titus hat gesagt…

Klasse, dieser Bericht! Was SF-Literatur bedeuten kann: raus aus dem Dorf, Leute treffen, diskutieren ... Und wie simpel und mit welcher gegenseitigen Freundlichkeit und Hilfe das funktioniert hat! Erinnert mich daran, dass ich anfangs mit dem Fahrrad eine Dreiviertelstunde durch Berlin fuhr, um die "Federwelt" im preisgünstigsten Copyshop kopieren und tackern zu lassen, damals in einer Auflage von 85 Exemplaren. Anschließend habe ich sie einzeln in meinem Freundeskreis verkauft. Per Mail kam eine Anfrage, ob man bei mir Volontariat machen könne. Haha! In meiner Studentenbude bei einer getackerten Mini-Zeitschrift für angehende Autoren.

Dein Bericht mit Schlafsack-Ausrollen auf dem Boden und dem Erobern der großen weiten Welt macht sehnsüchtig. War doch auch schön damals, oder?

Herzlich,

Titus

Angelika hat gesagt…

Nicht nur heute haben junge Leute es schwer, diese für ihre Entwicklungen nötigen Erfahrungen zu machen.
Auch damals war es manchmal sehr schwer - besonders wenn der Vater Polizist war ...
Aber junge Leute waren schon damals erfinderisch! - Zum Glück!

Und junge Frauen waren zu der Zeit nicht nur in der Minderzahl, sondern eher eine totale Ausnahme! - Kenne ich von mir selbst. Ein junges Mädchen, das SF liest? Was ist denn das?

Tja - "Klein-Angelika" las mit 13 Jahren ihren ersten PR-Roman - und in den Jahren danach stellte es sich heraus, dass sie mit einem unheilbaren Virus infiziert ist ...