22 Februar 2013

Phalanx, Exodus und die anderen

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Meine fannische Zeit begann im Sommer 1979, und im Frühjahr 1980 hatte ich das Gefühl, mich bereits richtig gut auszukennen. Ich jobbte zu der Zeit auf dem nahe gelegenen Bauernhof, im Wald und auf einer Baustelle, und das Geld, das ich dabei verdiente, investierte ich in Romanhefte, in Kassetten obskurer Bands und in Fanzines.

Bei den Fanzines ging ich mit einer klaren Absicht vor: Ich wollte wissen, wie die anderen Hefte aussahen, um mich davon inspirieren zu lassen. Im Idealfall konnte ich Ideen der anderen Fanzine-Herausgeber für mein eigenes Heft namens SAGITTARIUS übernehmen – von diesem Heft kam im Februar 1980 die erste Ausgabe heraus. Und im zweiten Idealfall bot sich vielleicht eine Gelegenheit für mich, meine Texte zu veröffentlichen.

Ich bestellte Fanzines, las sie durch und notierte mir die darin enthaltenen Adressen. Potentielle freie Mitarbeiter schrieb ich an, interessante Fanzines bestellte ich. So sammelte sich rasch ein wachsender Berg an Fanzines an, die ich anfangs in meinem Bücherregal im Jugendzimmer unter dem Dach des elterlichen Hauses unterbrachte. Bereits Ende des Jahres sollte dieses Regal nicht mehr ausreichen ...

Zu den altgedienten Fanzines jener Tage zählte »Phalanx«, das als bestes Heft überhaupt galt. Einer der Herausgeber war Manfred Borchard, dessen Namen ich von der PERRY RHODAN-Leserkontaktseite her kannte, wo er oft mit Geschichten vertreten war. Der andere Herausgeber war ein gewisser Helmut Ehls – heute redigiert er unter anderem PERRY RHODAN NEO.

Ich bestellte mir die aktuelle Ausgabe und erhielt sie zugeschickt; mit ihr kam ein Brief von Manfred Borchard höchstpersönlich. Er informierte mich darüber, dass »Phalanx« eingestellt würde, und bot mir an, einige der noch erhältlichen Exemplare zu einem Sonderpreis zu erstehen.

Ich willigte ein, und dann hatte ich einen Packen von Heften im Format DIN A 5 vor mir, die – ernsthaft! – mein Weltbild erweiterten. Die Hefte waren astrein gedruckt, sie enthielten zahlreiche Schwarzweiß-Grafiken des in der DDR lebenden Künstlers Thomas Franke, und die Kurzgeschichten sprengten den Rahmen herkömmlicher Science Fiction. Vor allem Borchards Texte beeindruckten mich, wenngleich ich nicht immer verstand, was er mit seinen Geschichten ausdrücken wollte. Dazu kamen sogar Gedichte ... unglaublich!

Ein anderes Fanzine, das mich schwer beeindruckte und das in den späten 70er-Jahren eingestellt worden war, von dem ich mir aber noch Ausgaben besorgen konnte, hieß »Solaris«. Hier vermischten sich Kurzgeschichten und Artikel; ein knallhart geschriebener Artikel informierte mich beispielsweise über den »faschistischen« Inhalt mancher Fantasy-Romane. Der damalige Chefredakteur dieses Fanzines wurde übrigens später zum ersten Chefredakteur der Zeitschrift »TV Spielfilm« und noch später zum Verlagsleiter.

Das Heft, das mich aber am stärksten beeindruckte, nannte sich »Exodus« – und es stellte ebenfalls zu jener Zeit sein Erscheinen ein. Auf den Leserseiten von »Exodus« lieferten sich ältere Fan-Autoren wie Wolfgang Kehl und Rainer Zubeil heftige Scharmützel; wenige Jahren später waren sie unter den Namen Arndt Ellmer und Thomas Ziegler gemeinsam PERRY RHODAN-Autoren. Von Rainer Zubeil stammten politische Science-Fiction-Geschichten und Gedichte; er griff die aktuelle Politik der Bundesregierung und der Nato an.

Im »Exodus« gab es aber auch Beiträge, die nicht das geringste mit Science Fiction zu tun hatten: So gab es einen aufsehenerregenden Beitrag von Peter-Paul Zahn, der zu jener Zeit im Gefängnis saß und über seine Erfahrungen berichtete; später wurde er ein bekannter Autor von Kriminalromanen. »Exodus« war ein Heft, das mit seiner gesellschaftskritischen Ausrichtung weit über die Science-Fiction-Szene hinauswirkte und dessen einzelnen Ausgaben ich mehrfach las. Als es eingestellt wurde, machte mich das tatsächlich betroffen.

Die Fanzine-Landschaft veränderte sich Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre mit rasanter Geschwindigkeit. Einige der »literarischen« Fanzines gaben auf, ebenso einige PERRY RHODAN-Fanzines. Autoren, die vorher für Hefte wie die »Science-Fiction-Baustelle« gearbeitet hatten, wurden jetzt zu Profi-Schriftstellern – darunter ein gewisser Wolfgang Hohlbein. In die entstehende Lücke wuchsen die neuen Fanzines hinein, darunter mein eigenes Heft.

Ein Heft versuchte ab 1980 eine Art Zentralstelle des Fandoms zu sein, Informationsblatt und Rezensions-Fanzine in einem, vergleichbar mit Blättern wie dem »Fandom Observer« heutzutage. Das im A5-Format erscheinende Heft hieß »Orion« und wurde von Uwe Draber herausgegeben. Der Mann war durchaus geschäftstüchtig: Er vermittelte Druckaufträge für Fanzines – darunter für mein Heft –, und er verkaufte sie auch weiter, trat also als Händler auf. In »Orion« wurden Fanzine-Besprechungen veröffentlicht, und als Uwe Draber mich fragte, ob ich nicht diese Besprechungen übernehmen wollte, sagte ich freudig zu.

In der Folge bekam ich regelmäßig neue Hefte zugeschickt und schrieb über diese. Schnell bekam ich einen Einblick in die sich entwickelnde Szene, las Dutzende von Fanzines, gewann Dutzende von weiteren Kontakten und wuchs immer weiter in die Fan-Szene hinein. Die Trennung in »ernsthafte« Fans allgemeiner Science Fiction und PERRY RHODAN-Fans fand ich albern, die Zersplitterung der Szene empfand ich als unnötig.

Dummerweise bewahrte ich nur jene Fanzines auf, die ich selbst gut fand. Was mir nicht gefiel, wanderte in die Papiertonne und wurde verbrannt. Heute könnte ich mich darüber richtig ärgern ...

Keine Kommentare: