Aus der Serie: »Der Redakteur erinnert sich«
Zu Exposé-Besprechungen in den 90er Jahren trafen wir uns in den unterschiedlichsten Städten – meist war es Rastatt als Verlagssitz, gelegentlich wurde es aber auch Karlsruhe. Mein Wohnort war Schauplatz der ersten Exposé-Besprechung des Jahres 1998 – in diesem Fall am Sonntag, 8. März 1998. Es war ein kühler Abend, kein sommerlich-frischer, und wir saßen die meiste Zeit in geschlossenen Räumen, um uns zu besprechen.
An diesem Abend holte ich Ernst Vlcek mit dem Auto am Hauptbahnhof in Karlsruhe ab. Wir fuhren zur »Alten Münze«, dem Gästehaus des Hotels »Ambassador«, wo Ernst erst einmal einchecken konnte, während ich nach einem Parkplatz suchte. Zu jener Zeit wohnte ich in der Innenstadt, und Parkplätze waren stets Mangelware. Eine Viertelstunde später trafen wir uns wieder, buchstäblich auf der Straße, weil sich Ernst ein wenig die Füße vertreten wollte.
In der Bar des »Ambassador«, in den 90er Jahren die angeblich beste Cocktailbar der Stadt, setzten wir uns erneut zusammen. Es ging anfangs um ein Thema außerhalb der eigentlichen PERRY RHODAN-Serie, um den aktuell laufenden Kurzgeschichten-Wettbewerb nämlich, der den Titel »William-Voltz-Gedächtnispreis« trug. Immerhin hatten meine Kollegin Sabine Bretzinger (heute: Sabine Kropp) und ich in wochenlanger Kleinarbeit eine Vorab-Auswahl getroffen, in dem wir schätzungsweise 150 Einsendungen durchgelesen hatten. Rund fünfzig Geschichten nahmen wir in die engere Wahl, und die bekam nun Ernst Vlcek – er sollte sich darum kümmern, und wir hofften, bis zum Sommer die Preisträger küren zu können.
Irgendwann tauchte Robert Feldhoff auf, der mit einem späteren Zug gereist war, und wir konnten an die eigentliche Exposé-Besprechung gehen. Es ging darum, die weiteren Abläufe des Zyklus »Der Sechste Bote« festzulegen und für den kommenden MATERIA-Zyklus »erste Pflöcke einzuschlagen« - konkret arbeiteten wir an den Bänden 1940 bis 1999 ...
Unter anderem ging es uns um Michael Rhodan und die weiteren Absichten, die wir mit dieser wichtigen Figur hatten. Wir überlegten allen Ernstes, den Sohn Perry Rhodans »dauerhaft böse« werden zu lassen.
Ziel war, die Handlung um eine moralische Diskussion zu ergänzen: Dürfen Icho Tolot, Julian Tifflor und Gucky eigentlich Michael Rhodan, der als Torric eine brutale Diktatur in einer fernen Galaxis errichtet hat, gegen seinen Willen in die Milchstraße zurückschleppen? Geplant war ein Roman Ernst Vlceks, in dem er über diese Entführung, die Einlieferung Michael Rhodans in ein Gefängnis auf dem Saturnmond Mimas und sein endgültiges »Kippen« schreiben sollte.
Ein weiteres Thema, über das wir uns lange den Kopf zerbrachen, war das eines siebten Thoregon-Volkes. Horst Hoffmann hatte es in die Diskussion gebracht, von ihm stammte ein entsprechendes Arbeitspapier: Atlan könnte auf die Angehörigen des mysteriösen Volkes treffen und eine Zeitreise unternehmen. Meine ergänzende Überlegung: Die sogenannten Erbauer sollten allerdings nicht in einer fremden Galaxis leben, sondern in der Vergangenheit – man erreicht sie nur über eine Zeitschleuse. Diese Erbauer waren die Schöpfer der Brücke in die Unendlichkeit, und in ihrer Zeit »hatte die Brücke noch Zigtausende von Toren«, um aus dem Arbeitspapier zu zitieren. Das alles wäre allerdings ein Thema für die Handlung nach Band 2000 – so das Ergebnis unserer Runde. Später wurde die Idee komplett »gekippt«.
Darüber hinaus redeten wir über den geheimnisvollen Hintermann, der hinter den Aktionen gegen die THOREGON-Völkern steht, und diskutierten sein wahres Aussehen: Bis zu diesem Zeitpunkten wussten wir nur, dass er Shabazza oder Sha Bassa heißen sollte; die wahren Hintergründe wurden erst später in der eigentlichen Exposé-Arbeit entworfen.
Und wir redeten über einen Mutanten, den wir als neuen Handlungsträger einführen wollten. Als Arbeitsnamen wählten wir »Steve Barron«, im späteren Verlauf der Planung taufte ihn Ernst Vlcek dann auf Vincent Garron – und so hieß er dann auch in der PERRY RHODAN-Serie. Wir überlegten uns einen optischen Effekt: »Generell sieht Barron die Welt nur in Schwarzweiß. Während seines selbst ausgelösten Komas sieht er im schwarzweißen Hyperraum, den er wahrnehmen kann, ständig farbige Klumpen.« Vincent Garron wurde damit zum Vorläufer der Idee, die sogenannten Monochrom-Mutanten in die Handlung zu bringen.
Mit Ernst und Robert diskutierte ich sehr lang. Zwischendurch gingen wir in ein Restaurant, wo wir etwas aßen; später saßen wir wieder in der Bar des »Ambassador« und stellten fest, dass es dort wirklich sehr gute Cocktails gab. Zu vorgerückter Stunde kamen wir noch auf die SOL zu sprechen: Wie sollten wir das Hantelraumschiff sinnvoll in die Handlung bringen, welche Veränderungen sollte es durchlaufen?
Es wurde allerdings kein überaus langer Abend – immerhin wollten wir am nächsten Tag mit der Exposé-Besprechung fortfahren und vor allem noch eine Autorenkonferenz absolvieren. Aber wir hatten einiges gearbeitet, hatten uns grundsätzlich zu altbekannten und zu neuen Figuren geeinigt, und wir waren uns sicher, dass wir für das Zusammentreffen mit den Kollegen bestens gerüstet waren ...
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