Wir schrieben das Frühjahr 1979; meine schulischen Leistungen waren schlecht, und ich hatte praktisch nur Flausen im Kopf. Zu diesen Flausen gehörten die bunten PERRY RHODAN-Hefte, die ich seit zwei Jahren voller Begeisterung las. Ich holte sie mir regelmäßig am Kiosk oder im Bahnhofsbuchhandel, alle vier Auflagen gleichzeitig, um möglichst nichts zu verpassen.
In den Schulpausen und im Bus diskutierte ich mit Thomas, dem eineinhalb Jahre älteren Bruder eines Klassenkameraden, oft über die Handlung und die sich daraus ergebenden Perspektiven. Bei solchen Diskussionen vergasen wir für Minuten oder gar Stunden die normale Welt um uns; stattdessen tauchten wir in ein völlig fremdes Universum ein, das für uns mittlerweile ein hohes Maß an Normalität gewonnen hatte.
Die Geschichten waren in unseren Augen unglaublich spannend: Würde die BASIS, Perry Rhodans gigantisches Raumschiff, in Band 1000 durch die Materiequelle fliegen und auf der anderen Seite auf die Kosmokraten treffen? Wie würden die Kosmokraten aussehen, und würde man sich überhaupt mit ihnen verständigen können? Was war mit den Konzepten, jenen geheimnisvollen Wesen, in deren menschlichen Körpern sieben menschliche Bewusstseine zusammenwohnen mussten, und welches Ziel wartete auf Ernst Ellert, den Menschen, dessen Bewusstsein durch Zeit und Raum reisen konnte, als gäbe es keine Grenzen für ihn?
Und wann würde Karl-Herbert Scheer, der bei allen politischen Problemen, die wir mit seinen Ansichten hatten, einer unserer Lieblingsautoren war, wieder aktiv in der Serie mitschreiben? Zwar bevorzugte ich William Voltz, während Thomas eher H.G. Ewers mochte, auf Scheers Rückkehr warteten wir aber beide.
Bekamen unsere Mitschüler mit, über was wir in den Pausen oder im Bus sprachen, hielten sie uns teilweise für bescheuert. Mich störte das nicht; die meisten von denen konnte ich ohnehin nicht leiden. Und anstatt im Unterricht aufzupassen oder zuhause verstärkt zu lernen, zeichnete ich lieber Raumschiffe ins Mathematik-Heft und las unter der Bank – immer donnerstags, wenn ich zuvor am Bahnhof gewesen war! – die neuesten Romanhefte.
Und mittags arbeitete ich entweder daheim im Haus oder im Garten meiner Eltern, oder ich jobbte in der Nachbarschaft, wo ich dem Bauern half, Kühe auf die Weide zu treiben und von dort wieder zu holen, wo ich einmal im strömenden Regen dabei war, als ein Kalb auf die Welt kam, im Schlamm und mitten auf der Weide, und wo ich Stützmauern im Neubau hochzog oder zwischendurch dafür sorgte, dass das Getreide auf dem Speicher genügend belüftet wurde.
Und irgendwann kam Thomas mit einem genialen Vorschlag an: »Lass uns einen PERRY RHODAN-Club gründen«, meinte er. Wir waren beide Feuer und Flamme! Einen ganzen Nachmittag lang diskutierten wir darüber, wie der Club heißen würde und welche Aktivitäten wir starten wollten. Glühende Ohren vor Begeisterung bekamen wir, denn aus dem PERRY RHODAN-Magazin und aus den PERRY RHODAN-Clubnachrichten, die alle vier Wochen in den Heften erschienen, wussten wir, dass es zahlreiche Clubs gab, die alle sehr aktiv waren.
Ein Fanzine würden wir starten, das war selbstverständlich: unsere eigene Fan-Zeitschrift, in der wir gute Geschichten und Zeichnungen abdrucken könnten. Einen Con wollten wir veranstalten, ein Treffen von Science-Fiction-Fans: Während ich das Jugendzentrum »Murgtäler Hof« in Freudenstadt als Treffpunkt vorschlug, wollte Thomas auf einer großen Wiese mit Grillfeuer ein Wochenende lang zelten, weil das viel »uriger« sei.
Meine ersten Science-Fiction-Geschichten und meinen ersten Roman hatte ich im Frühjahr 1979 in Schulhefte geschrieben, doch jetzt wurde ich richtig fleißig. Kein Wunder, in den Romanheften wurden schließlich die Stories von Fans veröffentlicht. Mein Wunsch war klar: So gut wie diese Fan-Autoren wollte ich auch einmal werden! Und ganz heimlich träumte ich davon, einmal selbst einer der Autoren dieser Science-Fiction-Serie zu sein, einer jener Menschen, die Woche für Woche die fantastischen Abenteuer dieses Universums schrieben.
Wir nannten unseren Club »PRC Gys Voolbeerah«. Wir folgten dabei Thomas’ Vorschlag. Er war der festen Ansicht, dass man mit »einem so komplizierten Namen« eher auffallen würde als mit einem der üblichen Namen wie »Solar System« oder »Imperium Alpha«. Zudem faszinierten uns die Molekülverformer, auf die unsere terranischen Helden immer wieder stießen und hinter deren Aktivitäten in der Serie wir große Geheimnisse vermuteten. Für Thomas war klar, dass die Molekülverformer und ihre Suche nach dem Tba ganz eng mit den mysteriösen Kosmokraten zusammenhingen, während ich der festen Ansicht war, das habe nichts miteinander zu tun. Aber somit hatten wir neuen Diskussionsstoff, ausgelöst durch den Namen unseres Clubs.
Gemeinsam verfassten wir einen Brief an das Zentralsekretariat der PERRY RHODAN-Clubs nach Rastatt. Wir gaben uns sogar besondere Mühe, den Brief nach einem speziellen System in das Kuvert zu stopfen. Thomas meinte: »Das wird unser Markenzeichen, daran wird man künftig unseren Club erkennen.«
Es dauerte nicht lange, und die Antwort aus Rastatt kam. Ein gewisser Walter A. Fuchs schrieb uns. Dieser war zu jener Zeit der Leiter des Generalsekretariats der PERRY RHODAN-Clubs, er betreute aber auch das PERRY RHODAN-Magazin und war in unseren Augen ein sehr wichtiger Mann im Pabel-Verlag. Was in solchen Verlagen wer zu tun hatte, ahnten wir natürlich nicht einmal. In seinem kurzen, aber freundlichen Brief informierte uns Walter A. Fuchs darüber, dass er unseren Club demnächst im PERRY RHODAN-Magazin vorstellen würde.
Wir waren komplett euphorisiert: wir im PERRY RHODAN-Magazin, zwei Jugendliche aus einem Dorf im Schwarzwald, und dann gehörten wir genauso zur großen Fan-Welt wie die großen Clubs aus München und Berlin, die immer wieder im Magazin oder in den PERRY RHODAN-Clubnachrichten präsentiert wurden.
Dieser Brief war, ohne dass wir es uns zu dieser Zeit vorstellen konnten, der Startschuss zu meiner eigenen »Laufbahn« innerhalb des Pabel-Moewig Verlages. Und dass Walter A. Fuchs rund ein Vierteljahrhundert später als Geschäftsleiter eben dieses Verlages mein Vorgesetzter sein würde, konnten wir beide zu diesem Zeitpunkt natürlich ebensowenig ahnen ...
Für mich war in diesem Frühjahr 1979 nur eines wichtig: Es gab den »PRC Gys Voolbeerah«, und wir hatten beide nichts anderes vor, als fannische Karriere zu machen, mit Kurzgeschichten und Zeitschriften, mit selbstgeschriebenen Romanen und selbstgezeichneten Risszeichnungen.
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