Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Unser erstes gemeinsames Seminar zur Science-Fiction-Kurzgeschichte bestritten Uwe Anton
und ich im Dezember 1997. Wie so oft war auch diesmal die
Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel der Schauplatz
unseres »Auftritts«. Und nachdem wir viele allgemeine Dinge behandelt
oder vorher eingereichte Geschichten besprochen hatten, ging es endlich
an die Details ...
Uwe
Anton und ich hatten festgestellt, dass die meisten Kurzgeschichten an
einem Punkt krankten: am Anfang. Häufig besaßen sie eine gute Idee, die
konsequent umgesetzt wurde, meist aber holperte es beim Einstieg.
Unserer Ansicht nach sollte ein Leser bereits vom ersten Satz einer
Kurzgeschichte gefesselt sein, denn nur dann würde er dabei bleiben.
»Wir
müssen denen eine Schreibaufgabe stellen«, argumentierte Uwe. »Dann
kann man an Beispielen klarmachen, was funktioniert.« Weil wir in punkto
Seminaren noch recht unerfahren waren, griffen wir tief in die
Trickkiste und stellten gleich drei Schreibaufgaben.
»Wählt
jeweils einen humoristischen, einen spannenden und einen stimmungsvollen
Anfang für eine fiktive Kurzgeschichte« – das waren die Aufgaben. Wir
teilten uns in zwei Gruppen, in jeder Gruppe wurde geschrieben, und
gleich hinterher wurden die Anfänge vorgelesen und diskutiert.
Das
war vor allem für den Samstagmorgen ein sehr dichtes Programm. Überall
saßen schreibende und über ihren Blocks schwitzende Autorinnen und
Autoren. Notebooks hatte zu dieser Zeit noch niemand dabei, alle
schrieben von Hand. Manche konnten hinterher auch nicht lesen, was sie
zu Papier gebracht hatten – das gab den einen oder anderen Lacher.
Nach
der Mittagspause wurden beide Gruppen zusammengeführt. Wir diskutierten
die Ergebnisse im Plenum. Alle beteiligten sich rege an den
Diskussionen. Einige Teilnehmer hatten Anfänge gefunden, die wir so
faszinierend fanden, dass ich mir eine Fortsetzung der jeweiligen
Geschichte wünschte. Teilweise wurden die Geschichten später zu Ende
gebracht und auch in Fan-Zeitschriften sowie Anthologien veröffentlicht.
Nach
der Mittagspause ging es um ein Thema, das in vielen
Science-Fiction-Romanen zu kurz kommt: Wie vermittle ich meinen Lesern
Informationen, ohne dass ich sie langweile? Typisches Beispiel: der
Anflug auf einen Planeten. »Vermeidet Info-Ballungen«, argumentierte
ich. »Vermittelt die Fakten mithilfe von Szenen und Dialogen, bringt
keine langen Beschreibungen.«
Uwe entwickelte eine Reihe von
Klein-Aufgaben. Die erste davon: »Schreibt einen Dialog, in dem sich der
Bordcomputer und der Held eurer Geschichte unterhalten – vermittelt
dabei die Information.« Die zweite war kniffliger: »Und jetzt schreiben
wir einen Informationsblock – aber der muss lesbar und unterhaltsam
sein.«
Beide Aufgaben hatten jeweils ihre eigene Schwierigkeit,
die konnte aber stets gemeistert werden. Uwe gab zahlreiche Beispiele
dafür, was man wie und wo verbessern konnte. Die Autorinnen und Autoren
schrieben eifrig mit, ihre Manuskripte bedeckten sich mit Anmerkungen.
Danach
kam das schwierigste: Wir eerarbeiteten gemeinsam ein Ideen-Exposé,
nach dem alle eine Kurzgeschichte zu schreiben hatten. Wir diskutierten
im Plenum recht lange, hangelten uns von Idee zu Idee, bis wir uns
endlich auf eine Ausgangsbasis geeinigt hatten: 200 Jahre in der Zukunft
gibt es so gut wie keine katholische Kirche mehr, die Welt wird von
chinesischen und japanischen Kulturbegriffen beherrscht. In diesem Jahr
landet ausgerechnet ein außerirdisches Raumschiff, und der Kapitän
verlangt in lateinischer Sprache den Kaiser von Rom zu sprechen – die
Außerirdischen waren zuletzt im Jahr 200 nach Christus auf der Erde.
Eigentlich
empfand ich das als eine gute Idee, vor allem deshalb, weil nur ein
völlig einflussloser Papst die Kommunikation mit den Aliens aufnehmen
könnte ... leider kamen wir damit nicht zurecht, wir diskutierten
jegliche Idee zu Tode.
Uwe Anton sprach irgendwann ein Machtwort.
»Wir machen’s jetzt ganz einfach. Wir nehmen wieder die Raumstation von
vorhin. Auf dieser gibt es einen Bereich für Nicht-Sauerstoffatmer. Und
in diesem Bereich wird eine Leiche gefunden, die ist an einer
Sauerstoffvergiftung gestorben. In der Kabine werden aber sonst keine
Sauerstoffreste gefunden. Und jetzt muss ein Detektiv den Fall lösen.«
Alles schluckte, alles starrte das Dozenten-Team voller Entsetzen an –
aber wir blieben hart.
In zwei Arbeitsgruppen wurden mögliche
Stories zu diesem Grundkonzept diskutiert. Das dauerte Stunden, vor
allem deshalb, weil beide Gruppen zu verschiedenartigen Konzepten
neigten. Gegen 22.30 Uhr abends wurden die zwei Konzepte diskutiert,
danach waren aber auch alle erschöpft. Den Abend ließen wir bei
reichlich Bier und Rotwein ausklingen. Kein Wunder, dass am Sonntag alle
leicht übermüdet aussahen.
Am Sonntag ging es darum, aufgrund
der diskutierten Exposés eigene Story-Anfänge zu schreiben, die
hinterher diskutiert wurden. Zuletzt gab es für jeden Teilnehmer eine
Hausaufgabe: Sie sollten die Geschichte zuhause fertigschreiben, daraus
wollten wir später eine kleine Publikation zimmern. Mit dieser
Hausaufgabe entließen wir die Autorinnen und Autoren in ihr
Rest-Wochenende.
Uwe Anton und ich hatten noch eine letzte
Besprechung, bevor wir auch abreisten. Wir waren beide reichlich
erschöpft und nahmen uns vor, bei späteren Seminaren in Wolfenbüttel
nicht zu viel Inhalt in ein Seminar zu packen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen