02 August 2007

Pflichtlektüre für alle SF-Interessierten


Eine Empfehlung der Redaktion

Es gibt eine Handvoll Romane und Erzählungen, die zum »Kanon« der Science Fiction gehören, die also Texte sind, die man kennen sollte, wenn man sich einigermaßen mit dem Genre beschäftigt hat. Dazu zählt die Novelle »Behold The Man« des britischen Schriftstellers Michael Moorcock, die 1966 erstmals erschien; später wurde sie zu einem Roman verlängert, der jetzt endlich in einer kompletten Neuübersetzung als Taschenbuch vorliegt.

Somit kommen nun auch jüngere SF-Fans in den Genuss, dieses Meisterwerk lesen zu können - wer die Novelle aus früheren Publikationen kennt, sollte sich das Komplettwerk trotzdem nicht entgehen lassen. Zudem wird ein kenntnisreiches Nachwort des Lektors Carsten Polzin mitgeliefert, das man sich aber erst nach der Lektüre des Romans zu Gemüte führen sollte: Es verrät sehr viel von der Handlung und legt zudem einen interessanten Gedankengang vor, der mir beispielsweise nie in den Sinn gekommen ist.

Zur Handlung nur so viel: Karl Glogauer ist ein junger Brite jüdischer Herkunft, der in den 60er Jahren massive Probleme mit seiner Identität hat; Grund dafür sind seine jüdisch-spießige Erziehung und alle Probleme, die er dachte, hinter sich gebracht zu haben. Als er die Chance bekommt, eine Zeitreise anzutreten, zögert er nicht und reist in die Vergangenheit - konkret in die Zeit, in der Jesus Christus nach der christlichen Überlieferung im heutigen Israel aktiv war. Glogauer trifft auf Johannes den Täufer und auch auf Jesus selbst, und er erkennt, dass er seine wahre Bestimmung tatsächlich in dieser fernen Vergangenheit gefunden hat ...

Die Geschichte des Romans wird von Michael Moorcock nicht chronologisch erzählt: Während es eine Vergangenheitshandlung gibt, in der sich der halb wahnsinnige Karl Glogauer durch das Palästina des Jahres 29 nach Christi Geburt schleppt, gibt es immer wieder Rückblenden auf seine eigene Vergangenheit in den 50er und 60er Jahren, auf philosophische Gedanken und sexuelle Spiele, auf seine Konflikte mit seinen Eltern und die mit seinen Freundinnen.

»I.N.R.I - oder die Reise mit der Zeitmaschine« ist nur vordergründig eine Zeitreisegeschichte. Natürlich geht es um die möglichen Veränderungen, die eine Reise in die Vergangenheit mit sich bringt, gleichzeitig aber verweigert der Autor jegliche technisch-wissenschaftliche Diskussion. Der Roman ist im besten Sinne moderne Literatur der 60er Jahre, in der eine unglaubliche Aufbruchsstimmung herrschte, in der man neue Ansichten ausprobierte und in den Romanen verschiedene Einflüsse verarbeitete.

Philosophische Diskussionen tauchen auf, immer wieder spiegelt sich in Glogauers Problemen die Welt jener Zeit wieder - und letztlich stellt auch dieser Moorcock-Roman die Frage nach dem Kern der Realität: Wieviel von unserer Welt, die wir erkennen können, sind wirklich real, welche Bestandteile bilden wir uns ein, und welche werden uns durch kulturelle Gedankenwelten eingeprägt?

Mag sein, dass dies jetzt sehr komplex klingt. Als ich die Novelle in der deutschen Erstübersetzung las - das dürfte jetzt gut 27 Jahre her sein -, war ich von der Zeitreise-Idee komplett begeistert. Bei der erneuten Lektüre im Jahr 2007 fand ich ganz andere Elemente, die mich an diesem Roman faszinierten.

Ich bleibe aber dabei: Dieser Roman ist eines jener Werke, die man gelesen haben sollte, wenn man sich für fantastische Literatur im weitesten Sinne interessiert. Neben Robert A. Heinleins »Im Kreis« gehört »I.N.R.I.« zu den absoluten Klassikern der Science Fiction: Wenn Ihr in diesem Jahr nur einen einzigen SF-Roman kaufen wollt, ist dieser gerade mal 190 Seiten starke Band auf jeden Fall das MUSS!

»I.N.R.I - oder die Reise mit der Zeitmaschine« erschien als Taschenbuch im Piper-Verlag und kostet 7,95 Euro. Mit Hilfe der ISBN 978-3-492-28618-3 ist der Roman in jeder Buchhandlung zu bestellen; ebenso selbstverständlich über diverse Versender wie amazon.de.

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