Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Der Winter 1979/1980 war im Schwarzwald sehr schneereich; die Straßen waren zeitweise kaum passierbar. Aber das hatte für mich kaum eine Bedeutung, ebensowenig die Schule, die mich im zweiten Halbjahr der zehnten Klasse immer mehr langweilte und sogar ärgerte. Ich wartete jeden Tag gespannt auf den Postboten, der mir im Februar 1980 endlich ein großes Paket zustellte. Es enthielt mein erstes eigenes Fanzine, und ich war stolz wie selten zuvor in meinem Leben.
SAGITTARIUS 1 hatte eine Druckauflage von nur 100 Exemplaren. Das Heft enthielt 48 Seiten im A5-Format, inklusive eines kartonierten Umschlags auf gelbem Papier, und ich verkaufte es für 2,80 Mark – kein unüblicher Preis zu jener Zeit. Meine Kalkulation war haarsträubend: Selbst wenn ich alle Hefte verkaufen würde, könnte ich keinen Gewinn erzielen, weil die Kosten für Druck, Porto und Briefumschläge etwa so hoch waren wie der Verkaufspreis. Aber das war mir egal, ich wollte mit meinen 16 Jahren einfach mein eigenes Heft veröffentlichen.
Als Mitarbeiter waren im Impressum meine Schwester aufgeführt, die mir stets beim Versand half, der Science-Fiction-Fan Rainer Lernhardt und meine zwei Schulkameraden Gunter Lösel und Stefan Schmid. Mit den beiden arbeitete ich zu der Zeit an einer wöchentlich erscheinenden »Zeitung« unseres Jugendzentrums mit, die im Prinzip aus einem doppelseitig kopierten A4-Blatt mit haufenweise Unsinn und Teenager-Späßen bestand.
Ernsthaft geholfen beim Erstellen des Fanzines hatte keiner – ich wollte aber nicht als Einzelgänger erscheinen und schrieb deshalb viele Kontaktpersonen ins Impressum hinein. Immerhin stammten von Gunter das originelle Titelbild sowie weitere Grafiken im Inhalt. Meine Manie, einzelne Schulkameraden für das Fanzine einzuspannen, hielt auch in späteren Jahren an, stieß aber mangels Interesse stets an ihre Grenzen.
Im Vorwort blickte ich erwartungsfroh in die Zukunft: »Wir versuchen mit SAGITTARIUS ein Fanzine aufzubauen, das sich mit Science Fiction, Fantasy und etwas Comic beschäftigen soll, wobei ein ausgewogenes Verhältnis zwischen talentierten Unbekannten und ›alten Fandom-Hasen‹ existieren wird.«
Die Fantasy wurde durch den Anfang einer Fortsetzungsgeschichte repräsentiert, die von mir verfasst worden war. Schaut man sich den Text heute an, kommt man aus dem Schmunzeln nicht mehr heraus: Junge, heldenhafte Krieger ziehen aus, um Abenteuer zu erleben, und rasseln prompt in Probleme mit haufenweise auftretenden Spinnenwesen, die monströse Dimensionen haben. Die Dialoge sind haarsträubend, zum Ausgleich spritzt das Blut ...
Mit den anderen Texten hatte ich mehr Glück, die anderen Kurzgeschichten waren deutlich lesbarer. Dazu kamen Buchbesprechungen sowie diverse Gedichte mit Science-Fiction-Themen. Aber das Layout sah einfach nicht gut aus: Man sah dem Heft deutlich an, dass es mit einer billigen Reiseschreibmaschine zusammengetippt worden war.
Dennoch war ich unglaublich stolz und versuchte das Heft, im Freundes- und Bekanntenkreis zu verkaufen. Das ging nicht gut: Wer das Heft kaufte, tat das, um mir eine Freude zu machen; sonderlich viel anfangen konnte niemand mit der Mixtur aus Science Fiction und Fantasy.
In der Fan-Szene kam das Heft umso besser an. Ich schickte Exemplare an verschiedene Fanzines sowie an die Redaktion der PERRY RHODAN-Clubnachrichten; auf die wohlwollenden Besprechungen kamen rasch viele Bestellungen. Im Nachhinein wird immer klarer, warum das Heft so gut ankam: Viele der herausragenden Fanzines waren im Vorjahr eingestellt worden, darunter EXODUS (was heutzutage wieder erscheint) und PHALANX, und was übrig geblieben war, erwies sich häufig also wesentlich schlechter als das meine.
Das Informations- und Nachrichten-Fanzine ORION, das zu jener Zeit von Uwe Draber aus Hannover verlegt wurde, schrieb über mein SAGITTARIUS, es sei »die beste Fanzine-Neuerscheinung des Jahres«. Für eine Aussage, die im Februar 1980 getroffen wurde, war das ein wenig dreist. Aber es passte gut zusammen: Uwe Draber hatte schließlich SAGITTARIUS gedruckt, und er verkaufte mein Heft auch über seinen Fanzine-Vertrieb. Später nannte man Hefte wie das meine übrigens »Mittelklasse-Fanzines«, ein Begriff, den ich wenig schmeichelhaft fand.
Im März 1980 hatte ich das Gefühl, im Fandom – der Szene der Science-Fiction-Fans also – einer der aufstrebenden Talente zu sein. Mein Name wurde in anderen Heften zitiert, ich war Mitglied in verschiedenen Clubs geworden, und ich schrieb in anderen Fanzines mit. Meiner großen Karriere, von der ich immer mehr träumte, je mehr mich die Schule frustrierte, würde also bald nichts mehr im Wege stehen.
Wichtig erschien mir dennoch eines: Ich musste mehr Kontakte knüpfen. Wie ein Besessener schrieb ich Briefe und Postkarten, die ich an Fans und Profis schickte. Ich wollte sie als freie Mitarbeiter haben, aber vor allem wollte ich mit ihnen den Gedankenaustausch pflegen. Auf Dauer im Dorf bleiben, das wollte ich nicht, und die Science Fiction erschien mir als eine gute Chance, die Fesseln des Dorfes hinter mir zu lassen ...
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