20 November 2018

Krisenbesprechung im August

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Im August 1995 hatte ich das Gefühl, andauernd in einer Krise zu stecken. Die PERRY RHODAN-Redaktion war umgezogen – wir hatten neue Büros im Untergeschoss des Verlagsgebäudes bezogen, die komplett renoviert und umgestaltet worden waren. Zwar hatten wir die alten Möbel behalten, aber die Wände, die Decken und die Teppichböden strahlten nicht mehr den Mief der fünfziger Jahre aus.

Allerdings waren wir nur noch zu zweit. Kurz nach seinem Urlaub hatte Dr. Florian F. Marzin, unser bisheriger Chefredakteur, den Verlag verlassen. Sabine Bretzinger als Redaktionsassistentin und ich als Redakteur sollten zu zweit weitermachen. »Sie schaffen das schon«, hatte der Verlagsleiter in seiner lockeren Art gesagt. Auf einen Schlag hatten wir mehr Verantwortung, selbstverständlich ohne eine Veränderung des Gehaltes.

Ähnliche Sätze waren auch in anderen Abteilungen gefallen. Im Buchverlag wie im Lager hatte man viele Kolleginnen und Kollegen entlassen, es gingen unangenehme Gerüchte durchs Haus. Niemand wusste, ob die Heftromane die Kürzungs- und Kündigungswelle »überleben« würden – viele der Romanreihen, die vor allem für ein weibliches Publikum verfasst wurden, stellten in diesen Monaten ihr Erscheinen ein.

Die PERRY RHODAN-Besprechung am 21. und 22. August 1995 fand deshalb in angespannter Stimmung statt. Nachdem die bisherigen Exposérunden von Dr. Florian F. Marzin geleitet worden waren, saß ich an diesen zwei Tagen erstmals allein mit Ernst Vlcek und Robert Feldhoff zusammen. Wir fanden allerdings schnell zu einem guten Arbeitsklima.

So waren wir uns vor allem in einem rasch einig: Wir entschlossen uns, die bisherigen Entwürfe für einen neuen Zyklus, die Florian bevorzugt hatte, zum größten Teil zur Seite zu legen. Einige Elemente wollten wir übernehmen, aber nur in geringer Dosierung. Die von Robert angedachte Idee einer »Koalition von Thoregon« fand Ernst erfreulicherweise ebenso gut wie ich. Robert hatte mir seine Idee am Rande des Schreibseminars in Wolfenbüttel erzählt, sie hatte aber keine Gnade vor Florians Augen gefunden.

»Wir haben damit eine Möglichkeit, einen großen Handlungsbogen über Hunderte von Bänden zu spannen«, argumentierte Robert. Spannende Geschichten und kosmische Entwicklungen sollten sich auf diese Weise gut einbauen lassen. Auch Ernst fand den Ansatz sehr gut, die beiden stellten sich darauf ein, abwechselnd an dem künftigen Zyklus zu arbeiten. Wer welchen Bereich übernehmen sollte, definierten wir noch nicht – Robert sollte die ersten Exposés für den neuen Zyklus allein erarbeiten, wir anderen sie dann mit ihm diskutieren.

Robert hatte gleich eine weitere Idee: »Das Symbol für die Thoregon-Idee ist eine Wabe – die kann man dann sogar fürs Marketing einsetzen.« Er schlug vor, dass jeder Koalitionär für eine Seite der Wabe stehen solle. Die Terraner sollte der sechste Teil der Koalition werden, für die anderen brauchte man möglicherweise weitere Symbole.

»Einer von den sechs Koalitionären ist ›böse‹, der hat die Cortez quasi in Marsch gesetzt«, formulierte ich anschließend im Protokoll der Besprechung. »Und wenn gegen Ende der Cortez-Handlung die Mutter gekillt wird – dann findet man an Bord ihres Raumschiffes das Symbol einer Wabe ...« Es sollte später alles anderes werden; dass dies im Verlauf eines Zyklus normal ist, ahnte ich zu diesem  Zeitpunkt allerdings noch nicht.

Ich war nicht zufrieden, wie die Milchstraße in den vergangenen Zyklen dargestellt worden war, und das sagte ich den Kollegen. »Nach den 700 Jahren, die Perry Rhodan verloren hat, müsste doch alles umgekrempelt sein«, argumentierte ich. Wir sollten einige Dinge grundlegend verändern, um dann die Handlung vor »eine neu definierte Milchstraße« zu stellen.

Im Gespräch entwickelte Robert Feldhoff das sogenannte Camelot-Konzept weiter, das er bisher nur gegenüber mir erwähnt hatte. »Wir trennen die Aktivatorträger von der Menschheit«, schlug er vor. »Wir entfremden sie, und wir lassen sie einen eigenen Verein aufziehen.«

Ernst Vlcek fand die Idee ebenfalls gut. »Nach der Rückkehr aus Hirdobaan haben die Aktivatorträger zuerst die Imprint-Süchtigen geheilt, aber mit großer Sorge die beginnende Desintegration des Galaktikums beobachtet«, formulierte ich im Protokoll. »Aus Frust über die Entwicklung hat man sich entschlossen, ein ›eigenes Ding‹ durchzuziehen.«

Wir wollten Homer G. Adams als Finanzgenie ins Zentrum der Handlung stellen. Er sollte eine starke Geheimorganisation aufbauen und finanzieren, »unter anderem durch Beteiligung an diversen Firmen etc.«. Verschiedene Regierungen sollten die Aktivatorträger heimlich unterstützen. Namhafte Wissenschaftler sollten sich ebenfalls als Helfer finden.

Dass die Aktivatorträger um Rhodan sich auf der Geheimwelt Camelot ansiedeln sollten, war eine Idee von Ernst Vlcek. Für die neue Organisation hatten wir noch keinen vernünftigen Namen; wir wussten zu diesem Zeitpunkt nur, dass der Planet nicht zu weit von der Erde entfernt sein sollte, »maximal 10.000 Lichtjahre, und gut versteckt«.

Die Siganesen sollten nach Camelot auswandern, verschiedene Untergrundgruppen von Atlan koordiniert werden. Vor allem Ernst wollte die Siganesen zu Rhodan und seinen Gefährten führen – er wollte die kleinwüchsigen Menschen gern in der Handlung seiner Romane auftauchen lassen.

Auch wenn wir viele Überlegungen, die von Florian gekommen waren, über Bord warfen, übernahmen wir doch einige Elemente, die sich als knifflig erwiesen. Eines davon war das neue große Raumschiff für unsere Helden. Ich fand die Idee eines Raumschiffes, das sich in dreizehn Einzelteile zergliedern ließe, richtig toll – die beiden Exposéautoren sahen einige Probleme. »Das kann man einmal erzählen«, meinte Robert, »und danach wiederholt sich alles.«

Immerhin fixierten wir einen Namen: Das Schiff sollte GILGAMESCH heißen. Die einzelnen Zellen sollten die Namen GILGAMESCH 1 bis 13 tragen, aber auch eigene Namen bekommen. Jeder Zellaktivatorträger sollte sein eigenes Schiff erhalten, und der Name sollte sich eng mit seiner Geschichte verbinden. So sollten beispielsweise Frauennamen gewählt werden.

Das Protokoll enthält hier eine verwirrende Formulierung: »Beispiel: Atlans Schiff heißt KYTOMA«, schrieb ich – und ich meinte hundertprozentig Alaska Saedelaere. Aber solche Verwirrungen waren in dieser Phase, in der wir den »Thoregon«-Komplex starteten, wohl nicht zu vermeiden …

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