Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Zu Beginn des Jahres 1997 stand ein kleines Jubiläum vor der Tür, über das ich mir eigentlich gar keine Gedanken machte. Zu dieser Zeit sah ich mich ausschließlich als Redakteur, der in erster Linie inhaltlich tätig war und Marketing-Gedanken selten aufkeimen ließ. Aber ich arbeitete in diesem Januar intensiv am zehnten ATLAN-Buch, das unter dem Titel »Die Balladen des Todes« erscheinen sollte.
Selbstverständlich war ich nicht derjenige, der das Buch zusammenstellte - ich betreute es nur als Redakteur. Für das Buch und seinen Inhalt war der Mann zuständig, der seit Jahren die sogenannten Zeitabenteuer des Arkoniden Atlan verfasste: Hans Kneifel, wohnhaft in München, seit den frühen 60er-Jahren einer der phantasievollsten Autoren der deutschsprachigen Science Ficton.
Hans Kneifel war durchaus selbstkritisch, was seine früheren Werke angeht. Das merkte ich, als ich in diesem Januar ein langes Telefonat mit ihm führte. »Damals war ich eben noch ein junger Autor, der zu redundanten Formulierungen neigte«, sagte er mit Eigenironie. »Das rächt sich jetzt, wenn ich die alten Manuskripte durchschaue.«
Entsprechend hart redigierte er sein eigenes Manuskript. Immerhin ging es bei der gesamten Arbeit darum, ATLAN-Taschenbücher zusammenzufassen, die bereits vor Jahren und Jahrzehnten erschienen waren.
Hans nahm die Taschenbücher, die dem ATLAN-Hardcover zugrunde lagen, und packte sie Seite für Seite auf einen Kopierer. Dabei wurden die einzelnen Seiten »hochvergrößert«, von der Größe einer Taschenbuchseite also auf die Größe eines gewöhnlichen A4-Formats. Damit konnte der Schriftsteller gut arbeiten - und das tat er: Jede Seite war mit zahlreichen handschriftlichen Anmerkungen versehen.
Der Autor als Lektor ... und das hieß bei Hans Kneifel, dass er an vielen seiner Sätze größere Bearbeitungen vornahm, dass er ganze Passagen strich und mit Tipp-Ex überpinselte, um danach von Hand weitere Anmerkungen in den Text zu schreiben. Darüber hinaus verfasste er Überleitungen, die verschiedene Kapitel anders als zuvor strukturierten, sowie komplett neue Szenen. Des weiteren schuf er eine Rahmenhandlung, die es zuvor bei den ATLAN-Taschenbüchern nur selten gegeben hatte.
Das Gute sei, so Hans Kneifel, dass er bei der Überarbeitung der ATLAN-Taschenbücher jetzt auch ans Aufräumen der vorherigen Notizen gehen konnte. »Derzeit werfe ich jeden Tag einige Zettel weg«, erzählte mir der Münchener Autor in einem Telefonat. »Teilweise sind diese Notizen über zwanzig Jahre alt.«
Der Mann im Hintergrund war damals übrigens Rainer Castor. Wir kannten uns nicht besonders gut und hatten uns zu diesem Zeitpunkt noch keine dreimal gesehen. Rainer hatte zwei PERRY RHODAN-Taschenbücher veröffentlicht, die mir beide sehr gut gefallen hatten; vor allem aber kannte ich ihn als den Mann, der letztlich die ATLAN-Bearbeitung möglich machte. Unermüdlich unterstützte er Hans Kneifel mit Rat und Tat, lieferte Hintergrund-Informationen und beriet ihn in allerlei Fragen.
Das Buch selbst führt den unsterblichen Arkoniden ins Mittelalter. Er wird mit den Wirren der Pestzeit konfrontiert, ergreift im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich Partei, lernt Leonardo da Vinci, Christopher Columbus und Kopernikus kennen, reist ins westafrikanische Songhai-Reich und beginnt letztlich eine Weltumsegelung.
Während ich mir das Manuskript vornahm, stellte ich fest, wie umfangreich die Arbeit wirklich war. Die Handlung des »neuen« ATLAN-Buches verlief wesentlich straffer als vorher in den einzelnen Taschenbüchern. Mein Job war vergleichsweise harmlos. Ich redigierte das Manuskript noch einmal durch, beseitigte kleinere Fehler, die bei einer solchen immensen Arbeit einfach auftreten müssen, glättete an einigen Stellen stilistische Holpereien und versuchte vor allem, eine einheitliche Sprache einzuarbeiten.
Am Ende ging es um die letzten Kleinigkeiten: Werbetexte mussten geschrieben, ein sogenannter Waschzetteltext verfasst werden. Dazu kamen ein Impressum, die Zeichnungen für den Vor- und Nachsatz und andere Details. Ich kam aber gut voran und konnte das Manuskript fristgerecht abgeben.
Wie schnell und wie termingerecht wir damals arbeiteten, ist heutzutage fast undenkbar. Da alles auf Papier geliefert werden musste und weder Computerdateien noch Internet-Verbindungen zur Verfügung standen, waren die von der Druckerei vorgegebenen Termine geradezu heilig.
Während ich beispielsweise in diesen Januar-Tagen am zehnten Buch arbeitete, lieferte mir Hans Kneifel bereits das elfte Manuskript ab. Rainer Castor nahm sich zu dieser Zeit schon den zwölften Band vor, den Hans soweit vorbereitet hatte, während Hans wiederum an den Band 13 ging - damit waren wir dem Zeitplan nicht nur Wochen, sondern Monate im Voraus.
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