15 Juni 2020

Die träumerisch-phantastische Seite der Science Fiction

Logbuch der Redaktion (vom 13. Juni 2020)

»Ich habe geträumt«, erzählte mir Walter Ernsting, als ich einmal mit ihm sprach. »Ich habe davon geträumt, zum Mond und zu den Sternen zu fliegen.« Das habe ihm geholfen, als er in russischer Gefangenschaft so schwer erkrankt war. Diese träumerische Seite, dieser phantastische Einschlag – das gehört von Anfang an zum Wesenskern der PERRY RHODAN-Serie und hat dazu beigetragen, dass sie so ein Erfolg wurde.

Selbstverständlich ist die Serie nicht ohne die Vorarbeiten von Karl-Herbert Scheer denkbar. Der Autor entwickelte die Technik, von ihm stammen die Grundlagen für die Raumschiffe und auch für die Völker. Scheer war derjenige, der die Exposés strukturierte und damit schon 1961 dafür sorgte, dass die Serie auf ein Fundament gestellt wurde, auf das andere Autoren bauen konnten. Ohne Scheers Struktur und ohne seine Ingenieursgedanken wäre die Serie nicht über die ersten zwanzig Romane hinaus gekommen.

Ich bin mir aber in einem sicher: Scheer allein hätte die Serie auch nicht so weit entwickelt. Bekannt ist, dass sich die beiden Gründungsautoren nicht nur im Vorfeld von »Unternehmen Stardust« mehrfach trafen, sondern später ebenfalls oft zusammensaßen. Gemeinsam entwickelten die beiden ihre Ideen, und manchmal war hinterher nicht mehr nachvollziehbar, wer jetzt welche Idee hatte.

Scheer war der Autor, der die Ideen in Exposés goss. Wenn er später von sich sagte, er habe alles erfunden, auch Gucky, war das sicher nicht gelogen. Nur war er eben nicht allein – es gab vor allem in den ersten Jahren immer einen Kopiloten bei der langen Reise der Science-Fiction-Serie in ihre damals noch völlig offene Zukunft.

Dieser Kopilot war Walter Ernsting, der heute hundert Jahre alt geworden wäre. Als Clark Darlton war er für die träumerisch-phantastische Seite der PERRY RHODAN-Serie zuständig.

Es lässt sich in gewisser Weise nachspüren, wo die Clark-Darlton-Ideen »gelandet« sind. Die Figur des Mausbibers Gucky ist für mich eindeutig. Sicher haben die beiden Gründungsautoren gemeinsam die Grundlagen für Gucky gelegt. Doch die Ausarbeitung, die übernahm Clark Darlton.

Er entwickelte in seinen Romanen – nicht durch Exposés! – einen Außerirdischen mit unglaublichen Fähigkeiten. Gucky ist ein echter Riese mit seinen Geistesgaben, der durch seine kleine Gestalt eher harmlos wirkt. Von Darlton stammen die frechen Sprüche, die Sucht nach Mohrrüben und die große Trauer im Leben des einzigen Ilts. Anhand von Gucky karikierte Darlton im Verlauf der Jahre immer wieder aktuelle Themen: So veröffentlicht der Mausbiber angeblich Romane – und damit schrieb Darlton eine Satire auf die Arbeit von Schriftstellern – oder neigt zu fürchterlicher Selbstüberschätzung.

Über Gucky könnte man ganze Bücher schreiben. Die Figur ist noch lange nicht »auserzählt«, und das liegt sicher daran, dass Darlton sie so gut und so interessant angelegt hat.

Doch Gucky ist nicht die einzige Figur, die Darlton so prägte: Harno, die geheimnisvolle Energiekugel, zählt ebenso dazu wie Ernst Ellert, der Teletemporarier. Bei ihnen handelt es sich um Wesen, die den Grenzen von Raum und Zeit entrinnen, die durch die Unendlichkeit reisen, die unglaubliche Fähigkeiten haben und doch von einer großen Tragik umgeben sind.

Das ist nicht alles. In der Jagd nach der Unsterblichkeit, in der Superintelligenz ES, in den geheimnisvollen Barkoniden oder dem mysteriösen Raumschiff der Ahnen – in all diesen Handlungsabschnitten geht es nicht um die technisch-wissenschaftliche Utopie, wie sie Scheer verkörperte, sondern um die phantastische Seite der Science Fiction, die eindeutig von Clark Darlton kam.

Ohne die Exposés und die Technik gäbe es PERRY RHODAN nicht mehr; dafür muss man dem Ideenreichtum Scheers immer dankbar sein. Aber ohne die Träume und Phantasien eines Clark Darlton wäre sie ebenfalls nicht so weit gekommen.

Deshalb verneigen wir uns am heutigen Tag vor den Träumen des Clark Darlton …

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