Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Im Spätsommer 1995 hatten die zwei Mitarbeiter in der PERRY RHODAN-Redaktion zeitweise das Gefühl, ununterbrochen in Besprechungen zu stecken. Sabine Bretzinger als Redaktionsassistentin und ich als Redakteur mussten uns zudem mit den neuen Strukturen auseinandersetzen, die nach dem Ausscheiden unseres bisherigen Chefredakteurs entstanden waren. Wir waren nun direkt Bernhard Maurer, dem Verlagsleiter für die Buchverlage, unterstellt, und dieser wollte die gesamte Verlagsgruppe nach seinen Vorstellungen umgestalten.
Dazu gehörte aber auch, dass Maurer die Chancen sah, die man mit PERRY RHODAN haben könnte. Eines Tages stand er bei mir im Büro und blickte auf die Regalwände ringsum. In diesen Regalen wiederum standen die Ordner mit Exposés sowie die vielen Belegexemplare.
Andächtig betrachtete er die Unmengen von Papier, dann drehte er sich um. »Stellen Sie sich doch mal vor, Herr Frick, wenn es das alles mal in elektronischer Form gäbe.« Er wies auf die Ordner. »Alle Romane gäbe es auf CD-ROM zu kaufen, alles wäre in elektronischen Datenbanken nachzulesen.« Ich wandte ein, dass die Exposés nur für die Autoren seien, nicht für die Fans. »Das ist richtig«, stimmte er zu, »aber die Autoren hätten dann alle Exposés in ihren Datenbänken, wo sie jederzeit nachschlagen könnten, und die Fans könnten ihre Romane elektronisch lesen.«
Für den Sommer 1995 war das derart visionär gedacht, dass ich mir das damals nicht vorstellen konnte. Ich wusste zwar, dass es Datenfernübertragung – kurz DFÜ – und andere Daten-Systeme gab, und ich hatte auch die Anfänge des Internets in der Presse verfolgt; selbst besaß ich einen solchen Anschluss nicht.
An diesem Tag ging Maurers Vision aber noch weiter. »Eines Tages«, so sagte er, »wird das hier in Ihrem Büro nur noch ein Teil eines riesigen PERRY RHODAN-Imperiums sein, das aus elektronischen Medien besteht.« Die Heftromane seien vom Aussterben bedroht, den elektronischen Medien gehöre in den nächsten zehn Jahren die Zukunft.
In der Folge beauftragte er mich damit, mir Gedanken über das weitere Marketing für die PERRY RHODAN-Serie zu machen. Ich wandte ein, von Marketing keine Ahnung zu haben, denn ich sei schließlich Redakteur. Diesen Einwand wischte er zur Seite: »Schreiben Sie einfach auf, was Ihnen einfällt, da wird schon was gutes dabei sein.«
Also setzte ich mich am 7. August 1995 hin, nachdem ich ein ereignisreiches Wochenende in Hannover verbracht hatte, und verfasste ein Arbeitspapier. Unter der Dachzeile »Konzeptionelle Gedanken« kam »PERRY RHODAN: Werbung und Public Relations«. Wobei ich zuerst fast eine Seite benötigte, um die einzelnen Lesergruppen zu nennen, die es zu dieser Zeit meiner Ansicht nach gab ... Einsteiger-Leser, der »harte Kern«, die »interessierten Erwachsenen« oder auch jene Leser, die sich durch keinerlei Aktionen erreichen lassen, weil sie eben ihren wöchentlichen Heftroman mögen und sonst nichts.
Ich stellte meine Ansichten zur Werbung dar, schlug vor, die Synergien des Bauer-Konzerns zu nutzen – etwa durch Reportagen in den Magazinen des Konzerns – und skizzierte eine Reihe von Aktivitäten. So sollte das Erscheinen von PERRY RHODAN Band 1800 sowie der anstehende Zyklusstart zu einer Presse-Aktion genutzt werden, und ich verwies auf den sechzigsten Geburtstag der Romanfigur im Juni 1996.
Großen Anteil in meinem Konzept nahm die Öffentlichkeitsarbeit ein. Kein Wunder, ich hatte jahrelang Public Relations betrieben; jetzt wollte ich die erworbenen Kenntnisse endlich bei PERRY RHODAN einsetzen. Ich forderte den »Druck einer Pressemappe (einfacher Kartonhefter mit PERRY RHODAN-Logo; blau auf weiß)« und die »Produktion von pressetauglichen Informationstexten in sehr ordentlichem Druck«, also Dinge, die meiner Ansicht nach schon lange sein sollten. Darüber hinaus plädierte ich für »Lesestunden von PERRY RHODAN-Autoren in Buchhandlungen, öffentlichen Büchereien, Schulen, Jugendzentren etc.« oder »doppelseitig bedruckte Informationsbroschüren«.
Schaut man sich die Überlegungen aus dem Blick von heute an, wirken sie arg bescheiden, geradezu amateurhaft. Zu dem Zeitpunkt gab es allerdings nicht das geringste Marketing- und Werbe-Engagement des Verlages für PERRY RHODAN; es kam mir oft so vor, als wollte man die Serie in der Öffentlichkeit totschweigen. Bei dem neuen Verlagsleiter, so glaubte ich, würden meine Vorschläge zumindest nicht völlig verpuffen.
Ich forderte generell »verschiedene PERRY RHODAN-Aktionen vor Ort (wegen mir sogar der völlig lächerliche und höchstens Kleinkinder ansprechende Roboter – der fällt wenigstens auf)« und die »Einrichtung einer PERRY RHODAN-FanZentrale«, an der zu dieser Zeit bereits intensiv gearbeitet wurde. Alles in allem war das Arbeitspapier eine Mischung aus vorsichtig-bescheiden und frech-aufmüpfig.
Es machte der Verlagsleitung aber eines klar: Als Marketing-Mann war der Redakteur nicht geeignet, den großen Wurf konnte man von mir nicht erwarten. Maurer, der sich selbst als Marketing-Experten betrachtete, kam wahrscheinlich schon zu dieser Zeit zur Auffassung, dass man für PERRY RHODAN langfristig jemanden brauchte, der das Marketing für die Serie in eigene Verantwortung übernahm. Diese Person war nicht ich, also braucht man jemanden »von außen«.
Diese Person wurde 1996 gefunden: Es war Eckhard Schwettmann. Seine Aktivitäten beflügelten die PERRY RHODAN-Serie in den nächsten Jahren massiv – aber das ist eine andere Geschichte ...
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