Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«:
Im Januar 1981 kannte ich mich mit und in der Fan-Szene so richtig gut aus: Ich schrieb Geschichten für andere Fanzines, bereitete ein neues eigenes Heft vor und war nach Veröffentlichung meiner ersten professionellen, sprich bezahlten Kurzgeschichte der Ansicht, dass mir der Durchbruch zum bedeutenden Schriftsteller kurz bevorstand. Mit meinen 17 Jahren glaubte ich tatsächlich, die Welt stünde mir noch weiter offen als im Vorjahr.
Und während ich unter meinem Arbeitsplatz ziemlich litt – ich hatte eine Lehre als Bürokaufmann angefangen und musste feststellen, dass ich vor allem als billige Arbeitskraft ausgenutzt wurde und buchstäblich nichts »lernte« –, erwies sich das Fandom als wahres Lebenselixier. Meine Brief- und Tonbrief-Kontakte wurden zahlreicher, und ich schrieb jeden Abend und jedes Wochenende mit meiner klapperigen Kofferschreibmaschine allerlei Briefe und Texte.
An Selbstbewusstsein mangelte es mir tatsächlich nicht: Einer dieser Briefe ging an Walter Ernsting, den PERRY RHODAN-Altmeister, dessen Romane ich zu der Zeit eigentlich gar nicht mochte. In meinem ersten Leserbrief überhaupt, den ich eineinhalb Jahre zuvor an die Serie gerichtet hatte, war ich so frech gewesen, von William Voltz zu fordern, man möge den Schriftsteller aus dem Team werfen.
Und auf dem PERRY RHODAN-Weltcon im Herbst 1980 war ich mit einem selbstgebastelten Anstecker unterwegs, auf dem »Clark Darlton – nein danke!« stand. (Das ist eine Geschichte für sich.) Walter selbst fand das damals amüsant, steckte sich den Button sogar an die Jacke und ließ sich damit vom Kollegen Hans Kneifel fotografieren.
Auf genau diese Dinge berief ich mich, als ich Walter Ernsting anschrieb. Ich hatte nämlich vor, einen eigenen Con zu veranstalten, also ein Fan-Treffen, und als Ort hatte ich das Jugendzentrum »Murgtäler Hof« in Freudenstadt vorgesehen. Für einen Con brauchte man Ehrengäste ¬– und wer bot sich eher dafür an als Walter, der immerhin die deutsche Fan-Szene über Jahre und Jahrzehnte hinweg beeinflusst hatte? Zwar glaubte ich nicht unbedingt, dass er wirklich darauf reagieren würde, aber probieren wollte ich es auf jeden Fall.
Walter Ernsting schrieb tatsächlich zurück: Am 31. Januar 1981 tippte er auf einer Postkarte, abgestempelt im »anerkannten Luftkurort« Ainring, in dem er damals wohnte, einen Kurzbrief an mich. Und ich war stolz wie sonst was, als ich den ersten Absatz las:
»Du also warst das mit dem Button! Du wirst es nicht glauben, aber er ist noch vorhanden und hängt allen Besuchern sichtbar an der Wand in meinem Zimmer.«
Das beeindruckte mich schwer, ebenso seine durchaus eigenkritischen Bemerkungen: »Du hast schon recht: Routine verhindert oft Neuentwicklungen. Das ist leider so, und ich spüre es selbst. Ich bin aber auch überzeugt, daß sich das ändern würde, wäre Dein Antrag auf Ausschluß aus dem PR-Team durchgegangen.«
Jetzt war ich ein wenig peinlich berührt. Meine Kritik, die ich im jugendlichen Überschwang geäußert hatte, war nach vielen eigenen Schreibversuchen doch arg geschrumpft. Mir war klarer geworden, wie schwer es wirklich war, Geschichten zu verfassen, und mein erster Versuch, einen eigenen Science-Fiction-Heftroman zu schreiben und zu veröffentlichen, war zu jener Zeit bereits gescheitert. Und Walter Ernsting hatte die Größe, gegenüber einem Jung-Fan eine Schwäche einzuräumen, die aus jahrzehntelanger Erfahrung rühren konnte ... das empfand ich als echten »Hammer«.
Leider konnte Walter nicht zu meinem Con kommen; seine »Ausrede« klang glaubhaft. Er müsse genau an diesem Wochenende zusammen mit Willi Voltz eine Signierstunde in Essen bestreiten. »Gegen meinen Willen« fügte er hinzu; anscheinend mochte Walter Ernsting zwar das gemütliche Beisammensein mit seinen Fans, nicht aber die anstrengende Atmosphäre bei vielen Signierstunden.
Seine Postkarte endete mit einem aufmunternden »Mach's gut!«, und ich war begeistert. Zwar würde ich in den darauf folgenden Jahren weiterhin kein Fan des Schriftstellers Clark Darlton werden und einige Zeit benötigen, um als Erwachsener zu erkennen, worin seine Qualitäten auch als Autor wirklich lagen – den Menschen Walter Ernsting schätzte ich nach dieser Postkarte noch höher ein als zuvor.
Und ich bewahrte sie auf: Es war zwar »nur eine Ablehnung« und damit eigentlich etwas negatives, aber ich war stolz darauf. Ein Stolz, den ich in der Berufsschule oder im Jugendzentrum niemandem zu erzählen brauchte, den aber die Bekannten in der Science-Fiction-Szene nachvollziehen konnten ...
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