Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Das Ende des Jahres 1979 sah mich in fieberhafter Aktivität: Ich wollte endlich mein Fanzine herausbringen. Meine Kumpels und ich hatten uns auf den Namen SAGITTARIUS geeinigt, und dann ließen sie mich – wie es sich gehörte – ziemlich hängen. Sie fanden es wohl weniger spannend, ein Fanzine herauszubringen, als ich und konzentrierten sich lieber auf das Informationsblatt des Jugendzentrums.
Ich suchte Adressen aus Fanzines heraus, die ich mittlerweile zu Hause hortete, und schrieb potenzielle Mitarbeiter an. Darunter waren Story-Autoren ebenso wie Grafiker oder auch Risszeichner; ich beschränkte mich auf Amateure, weil ich mich nicht an die »großen Namen« herantraute. In diesen November-Tagen hatte ich zwar eine ziemlich große Klappe, wusste aber selbst nicht so recht, wie die Außenwelt auf mich reagieren würde.
Meine Briefe verfasste ich von Hand, ich schrieb sie akkurat auf kariertes Papier. Der Grund dafür war in meinen Augen einleuchtend: Wollte ich ein erfolgreicher Fanzine-Herausgeber und Autor sein, musste ich mit einer Schreibmaschine umgehen können. Also versuchte ich mir, in mühsamer Heimarbeit das Zehnfingersystem beizubringen; in dieser Zeit, in der ich stundenlang Buchstabenkombinationen wie »asdf« übte, wollte ich nicht »falsch tippen« - deshalb schrieb ich per Hand.
Rund zwei Dutzend Briefe schickte ich hinaus. Etwa die Hälfte der Leute antwortete recht schnell; es gab einige Absagen, aber mehrere Menschen schickten bereits Texte und Bilder ein, während andere erst gar nicht reagierten. Darüber hinaus sprach ich mit Klassenkameraden, ob sie mir mit Bildern oder Texten zur Seite stehen könnten.
Zumindest zu den ersten Redaktionssitzungen kamen meine zwei Kumpels aus dem Dorf noch hinzu. Gemeinsam wählten wir aus dem Berg an Geschichten diejenigen aus, die uns gefielen; wir lasen tatsächlich jeden Text und diskutierten ihn. Nicht diskutiert wurde mein Fortsetzungsroman, den akzeptierten die anderen ohne Klagen – wahrscheinlich war mein Argument einleuchtend, man bräuchte eine Fortsetzungsgeschichte, um die Leser bei der Stange zu halten.
Es stellte sich mittlerweile die Frage nach einer Druckerei. In mehreren Gesprächen informierte ich mich über die Möglichkeiten: Kopieren war zu jener Zeit noch richtig teuer, viele Fanzines erschienen im Umdruckverfahren, also mit Hilfe von Matritzen und einem Spritus-Umdrucker. Aber eine ganz neue Technik eroberte damals die Universitätsstädte: Man konnte Kleinoffset drucken, und dafür brauchte man nicht mehr als saubere Schwarzweiß-Vorlagen. Das fand ich toll, das begeisterte mich.
Dank meiner Freunde von »solis orbita« wurde ich mit weiteren Informationen versorgt. Ulrich Hermann erzählte mir in einem Tonbrief etwas von einer Druckerei aus Hannover. Der Nachteil bei Tonbriefen: Man versteht die Dinge zwar, kann sie aber hinterher nicht korrekt schreiben. Also verfasste ich einen handschriftlichen Brief an einen »Sehr geehrten Herrn Uwe Trabe« aus Hannover.
In Wirklichkeit hieß dieser Uwe Draber und war vielleicht vier Jahre älter als ich. Er besaß auch keine Druckerei, wie ich vermutete, sondern hatte nur eine in seinem Umfeld. Er organisierte einen sogenannten SF-Dachverband, in dem er Fanzines publizierte und einen Fanzine-Vertrieb aufbaute. Über diesen wollte ich – so überlegte ich – dann auch meine eigenen Hefte unter die fannische Öffentlichkeit bringen.
Uwe, der mich wahrscheinlich ein wenig seltsam fand, schickte mir einen freundlichen Brief zurück, in dem unter anderem eine Preisliste war. Mit Hilfe dieser konnte ich ausrechnen, was mich der Druck eines Fanzines kostete. Es ging gut, wie ich feststellte; zu jener Zeit arbeitete ich nachmittags nach der Schule entweder in der Landwirtschaft (bei einem Bauern in der Nachbarschaft) oder auf einer Baustelle, zu Stundenlöhnen, die sehr niedrig waren, mir aber meinen Konsum von Heftromanen locker sicherten. Und mit den Ersparnissen konnte ich mir den Druck eines Fanzines leisten.
(Uwe Draber publizierte in den 80er Jahren unter anderen die Magazine »Phantastische Zeiten« und das »Deutsche SF-Magazin«; er schrieb Romane und brachte Story-Sammlungen heraus, bevor er Ende der 80er Jahre in der Versenkung verschwand. Vor einigen Jahren trafen wir uns auf der Frankfurter Buchmesse wieder.)
Das Material lag vor; die Druckerei hatte ich – was blieb, war ein Layout. Ich wurde 16 Jahre alt, die Weihnachtstage kamen und gingen, und ich dachte mir eine Gestaltung für mein erstes eigenes Fanzine aus. Dazu benötigte ich ein Lineal, ein Zehnpfennig-Stück, einige Bogen Letraset – so nannte man die Rubbelbuchstaben – sowie einen Filzstift; Papier nicht zu vergessen.
Mir fiel auf, dass ich meinen Schreibmaschinen-Unterricht bleiben lassen konnte: Um ein Layout zu produzieren, musste ich die in unterschiedlichstem Format geschriebenen Texte schließlich alle abtippen. An Texte, die per Mail eingereicht wurden, war damals nicht zu denken – niemand von uns konnte sich so etwas wie das Internet überhaupt vorstellen. Also beendete ich das offizielle Zehn-Finger-System und brachte mir das Schnell-Tippen selbst bei ...
Mit dem Filzstift und dem Lineal nahm ich mir das Papier vor und versah es mit einem rechteckigen Kasten, jede Außenlinie rund zwei Zentimeter vom Papierrand entfernt. Die Zehnpfennigstücke benötigte ich, um unten in eine Ecke hinein einen Kreis zu malen, in dem ich die Seitenzahl schrieb. Mit Letraset rubbelte ich Zahlen und Titel auf die Blätter, dann nahm ich mir eine Schreibmaschine und tippte die Seiten 2 bis 47 ... Es sah entsetzlich aus.
Immerhin leistete ich mir schicke Grafiken für das Front- und das Backcover, diese kamen von meinem Redaktionskollegen Gunter. Ich war unglaublich stolz auf mein Heft, und ich freute mich sehr, als ich die 48 Seiten mit einem Begleitschreiben zu Beginn des Jahres 1980 in einen Briefumschlag stecken und an Uwe Draber schicken konnte ...
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