Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Im Januar 2015 ist es zehn Jahre her, seit Walter Ernsting in Salzburg
beigesetzt wurde. In diesen Tagen denke ich oft an jenen Schriftsteller,
der mich zeit seines Lebens beeindruckte – als Mensch wie als Autor.
Meine erste persönliche Begegnung mit Walter Ernsting alias Clark Darlton
hatte ich im Jahr 1980. Ich war 16 Jahre alt, politisch engagiert und
mit mancherlei wirren Gedanken im Kopf versehen. Einer der wirren
Gedanken hatte damit zu tun, dass ich unbedingt
Science-Fiction-Schriftsteller werden wollte – mein Traumziel war
gewissermaßen, auch einer der berühmten PERRY RHODAN-Autoren zu werden.
Nicht
zuletzt publizierte ich in jenem Jahr viele meiner Kurzgeschichten in
irgendwelchen Fanzines, brachte mein eigenes Heft heraus und freute mich
über jedes Lob, das ich bekommen konnte. Mein festes Ziel war,
innerhalb eines Jahres einen Roman für »Terra Astra« zu schreiben, um so
den Sprung zum Profi-Schriftsteller zu schaffen.
Zu PERRY RHODAN
hatte ich zu jener Zeit ein eher gespaltenes Verhältnis, obwohl ich die
Romane jede Woche kaufte und las. Die Serie, die ich seit 1977 mit
großer Begeisterung verfolgte, hatte für meine Begriffe einige
»Durchhänger«, und zur selben Zeit fing ich an, mich mit dem politischen
Flügel der Science-Fiction-Fans anzufreunden. Ich war engagiertes
Mitglied in einem Science-Fiction-Club, der sich als politisch verstand,
und in diesem galt es als eher peinlich, PERRY RHODAN zu lesen. In
manchen Gesprächen verheimlichte ich sogar, die Serie zu lesen.
Als
ich Ende Oktober 1980 mit Rainer, einem schon etwas älteren Fan – er
war für mich damals schon unglaubliche anfangs 20 und besaß ein Auto –,
nach Mannheim zum PERRY RHODAN-Weltcon fuhr, hatte ich mich entsprechend
ausstaffiert. Ich hatte mir einige Anstecker selbst gebastelt und auf
meine Jeans-Jacke getackert: Einmal »Stoppt Gucky« im Stil der damaligen
»Stoppt Strauss!«-Aufkleber, mit denen man – wie ich wusste – die
Erwachsenen provozieren konnte, und einmal »Clark Darlton – Nein Danke«
im Stil von »Atomkraft – Nein Danke«.
Es kam, wie es kommen
musste: Zahlreiche Fans sprachen mich auf den Gängen des
Kongresszentrums Rosengarten in Mannheim an, und ich wurde immer wieder
in Diskussionen verwickelt. Ob ich das denn alles ernst nähme, was ich
damit bezwecken wolle und so weiter. Sogar mit Prügeln wurde mir
gedroht, weil ich wagte, die Gucky-Romane Clark Darltons albern zu
finden.
Bis ich irgendwann einer Gruppe von Männern über den Weg
lief: Einer von ihnen war Hans Kneifel, der andere Walter Ernsting. Wer
sonst noch dazu gehörte, weiß ich heute nicht mehr.
Die Autoren
fanden meinen Anblick höchst komisch und ärgerten sich keine Sekunde
lang über die Buttons. Wahrscheinlich nahmen sie mich nicht ernst.
Walter steckte sich den »Stoppt Gucky«-Button selbst an die Brust und
ließ sich damit fotografieren, und wir hatten viel zu lachen. Leider
habe ich selbst nie einen Abzug irgendwelcher Fotos von dieser Szene
gesehen.
Das war 1980, und der Mann beeindruckte mich. Als ich
mit PERRY RHODAN angefangen hatte, war er bereits einer »der Alten«,
einfach deshalb, weil er noch älter war als mein Vater. Dass Walter in
Russland im Krieg gewesen war – wie mein Vater –, wusste ich zu der Zeit
nicht, aber es hätte mich in diesem Alter auch nicht interessiert.
Ich
kannte ihn als Autor, ich fand anfangs die Gucky-Romane großartig:
Meine ersten PERRY RHODAN-Romane hatten Gucky als Hauptperson, und der
kleine Mausbiber ist somit schuld an meinem weiteren Lebensweg.
Aber
als ich älter wurde, also 16 Jahre, und es chic wurde in meinem
sozialen Umfeld, die PERRY RHODAN-Serie kritisch zu beleuchten, da
hinterfragte ich eben auch Gucky. Auf einmal fand ich ihn nicht mehr
lustig, sondern albern – und erst als Walter Ernsting vor mir stand, auf
diesem PERRY RHODAN-Weltcon, und sich fast ausschütten wollte vor
Lachen wegen des Ansteckers, erkannte ich, dass an dem Mann viel mehr
dran war, als ich vorher hatte wahrhaben wollen.
Das war meine
erste Begegnung mit dem Autor, der – wie ich erst später so richtig
wahrnahm – eben nicht nur PERRY RHODAN mit ins Leben gerufen, sondern
auch der deutschsprachigen Science Fiction und dem Fandom eine wertvolle
Starthilfe geleistet hatte. Walter Ernsting hinterließ einen
nachhaltigen Eindruck bei mir.
Ich allerdings, das muss gleich
hinzugefügt werden, nicht bei ihm. Als ich ihn viele Jahre später auf
diese Szene ansprach, erinnerte er sich nicht mehr daran. Kein Wunder:
Er war 1980 ein bekannter und beliebter Autor, ein Mann, dessen Romane
von Hunderttausenden von Lesern begeistert gelesen worden waren und
immer noch wurden, und ich war einer von Tausenden von Fans, die auf
diesem PERRY RHODAN-Weltcon unterwegs waren, um Autogramme zu sammeln,
mit Autoren zu reden, den Vorträgen zu lauschen oder sich lustige
Schlachten mit selbstgebastelten Papierfliegern zu liefern.
Im
Verlauf der Jahre erlebte ich einige Begegnungen mit Walter Ernsting.
Nachdem ich Redakteur für die PERRY RHODAN-Serie geworden war, gab es
immer wieder Gründe, mit ihm zu telefonieren. Und als er von Irland –
der Gesundheit wegen – ins österreichische Salzburg zog, gab es endlich
Gelegenheit, ihn persönlich zu besuchen.
Unter anderem saß ich
Ende der neunziger Jahre zwei Tage bei ihm in der Wohnung, teilweise am
Krankenbett, teilweise auf der Wohnzimmer-Couch, wo ich ein
ausführliches Interview mit ihm führen durfte. Dieses Interview war
Grundlage für die Clark-Darlton-Biografie, die unter dem Titel »Der
Mann, der die Zukunft brachte« bei Moewig erschien.
Unsere
Telefonate waren sporadisch, und ich bekam über die Telefonleitung mit,
wie sich Walters Gesundheitszustand verschlechterte und – eher selten! –
verbesserte. Es war, wie er es einmal formulierte, eine
»Auf-und-Ab-Kurve mit Tendenz nach unten«, und er machte sogar Witze
darüber.
»Das mit dem Zellaktivator hat nicht so geklappt«,
meinte er bei meinem letzten Besuch im Spätsommer 2004 in Salzburg. Bei
diesem Treffen ging es Walter sehr schlecht. Zwar empfing er mich noch
am Tisch sitzend, doch später musste er sich ins Bett legen. Seinen
Humor behielt er bei, er spöttelte sogar über die eigene Schwäche.
Und
wir vereinbarten, uns spätestens im Sommer 2005 wieder zu treffen. Wir
heckten sogar die völlig verrückte Idee aus, Walter tatsächlich noch
einmal auf einen Science-Fiction-Con mitzunehmen, vielleicht zum
sogenannten OldieCon, der in Unterwössen veranstaltet werden sollte. Es
hat leider nicht geklappt.
Wenn ich an Walter Ernsting denke,
fällt mir gar nicht so sehr sein Werk als Autor ein. Er war sicher ein
Förderer der Science Fiction, ohne den es die heutige deutschsprachige
SF-Szene gar nicht gäbe. Er war einer der ersten Autoren hierzulande,
die sich an dem noch fremden Genre versuchten, und er legte mit seiner
Ideenarbeit bei PERRY RHODAN den Grundstock zur erfolgreichsten SF-Serie
überhaupt.
In Erinnerung habe ich ihn aber in erster Linie als
den warmherzigen, sympathischen Menschen voller Witz und Energie, voller
Spaß am Leben und stets den Schalk im Nacken. Menschen wie Walter
Ernsting gibt es auf der Erde zu wenig!
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