19 Januar 2015

Walter Ernsting war ein besonderer Mensch

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Im Januar 2015 ist es zehn Jahre her, seit Walter Ernsting in Salzburg beigesetzt wurde. In diesen Tagen denke ich oft an jenen Schriftsteller, der mich zeit seines Lebens beeindruckte – als Mensch wie als Autor.

Meine erste persönliche Begegnung mit Walter Ernsting alias Clark Darlton hatte ich im Jahr 1980. Ich war 16 Jahre alt, politisch engagiert und mit mancherlei wirren Gedanken im Kopf versehen. Einer der wirren Gedanken hatte damit zu tun, dass ich unbedingt Science-Fiction-Schriftsteller werden wollte – mein Traumziel war gewissermaßen, auch einer der berühmten PERRY RHODAN-Autoren zu werden.

Nicht zuletzt publizierte ich in jenem Jahr viele meiner Kurzgeschichten in irgendwelchen Fanzines, brachte mein eigenes Heft heraus und freute mich über jedes Lob, das ich bekommen konnte. Mein festes Ziel war, innerhalb eines Jahres einen Roman für »Terra Astra« zu schreiben, um so den Sprung zum Profi-Schriftsteller zu schaffen.

Zu PERRY RHODAN hatte ich zu jener Zeit ein eher gespaltenes Verhältnis, obwohl ich die Romane jede Woche kaufte und las. Die Serie, die ich seit 1977 mit großer Begeisterung verfolgte, hatte für meine Begriffe einige »Durchhänger«, und zur selben Zeit fing ich an, mich mit dem politischen Flügel der Science-Fiction-Fans anzufreunden. Ich war engagiertes Mitglied in einem Science-Fiction-Club, der sich als politisch verstand, und in diesem galt es als eher peinlich, PERRY RHODAN zu lesen. In manchen Gesprächen verheimlichte ich sogar, die Serie zu lesen.

Als ich Ende Oktober 1980 mit Rainer, einem schon etwas älteren Fan – er war für mich damals schon unglaubliche anfangs 20 und besaß ein Auto –, nach Mannheim zum PERRY RHODAN-Weltcon fuhr, hatte ich mich entsprechend ausstaffiert. Ich hatte mir einige Anstecker selbst gebastelt und auf meine Jeans-Jacke getackert: Einmal »Stoppt Gucky« im Stil der damaligen »Stoppt Strauss!«-Aufkleber, mit denen man – wie ich wusste – die Erwachsenen provozieren konnte, und einmal »Clark Darlton – Nein Danke« im Stil von »Atomkraft – Nein Danke«.

Es kam, wie es kommen musste: Zahlreiche Fans sprachen mich auf den Gängen des Kongresszentrums Rosengarten in Mannheim an, und ich wurde immer wieder in Diskussionen verwickelt. Ob ich das denn alles ernst nähme, was ich damit bezwecken wolle und so weiter. Sogar mit Prügeln wurde mir gedroht, weil ich wagte, die Gucky-Romane Clark Darltons albern zu finden.

Bis ich irgendwann einer Gruppe von Männern über den Weg lief: Einer von ihnen war Hans Kneifel, der andere Walter Ernsting. Wer sonst noch dazu gehörte, weiß ich heute nicht mehr.

Die Autoren fanden meinen Anblick höchst komisch und ärgerten sich keine Sekunde lang über die Buttons. Wahrscheinlich nahmen sie mich nicht ernst. Walter steckte sich den »Stoppt Gucky«-Button selbst an die Brust und ließ sich damit fotografieren, und wir hatten viel zu lachen. Leider habe ich selbst nie einen Abzug irgendwelcher Fotos von dieser Szene gesehen.

Das war 1980, und der Mann beeindruckte mich. Als ich mit PERRY RHODAN angefangen hatte, war er bereits einer »der Alten«, einfach deshalb, weil er noch älter war als mein Vater. Dass Walter in Russland im Krieg gewesen war – wie mein Vater –, wusste ich zu der Zeit nicht, aber es hätte mich in diesem Alter auch nicht interessiert.

Ich kannte ihn als Autor, ich fand anfangs die Gucky-Romane großartig: Meine ersten PERRY RHODAN-Romane hatten Gucky als Hauptperson, und der kleine Mausbiber ist somit schuld an meinem weiteren Lebensweg.

Aber als ich älter wurde, also 16 Jahre, und es chic wurde in meinem sozialen Umfeld, die PERRY RHODAN-Serie kritisch zu beleuchten, da hinterfragte ich eben auch Gucky. Auf einmal fand ich ihn nicht mehr lustig, sondern albern – und erst als Walter Ernsting vor mir stand, auf diesem PERRY RHODAN-Weltcon, und sich fast ausschütten wollte vor Lachen wegen des Ansteckers, erkannte ich, dass an dem Mann viel mehr dran war, als ich vorher hatte wahrhaben wollen.

Das war meine erste Begegnung mit dem Autor, der – wie ich erst später so richtig wahrnahm – eben nicht nur PERRY RHODAN mit ins Leben gerufen, sondern auch der deutschsprachigen Science Fiction und dem Fandom eine wertvolle Starthilfe geleistet hatte. Walter Ernsting hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei mir.

Ich allerdings, das muss gleich hinzugefügt werden, nicht bei ihm. Als ich ihn viele Jahre später auf diese Szene ansprach, erinnerte er sich nicht mehr daran. Kein Wunder: Er war 1980 ein bekannter und beliebter Autor, ein Mann, dessen Romane von Hunderttausenden von Lesern begeistert gelesen worden waren und immer noch wurden, und ich war einer von Tausenden von Fans, die auf diesem PERRY RHODAN-Weltcon unterwegs waren, um Autogramme zu sammeln, mit Autoren zu reden, den Vorträgen zu lauschen oder sich lustige Schlachten mit selbstgebastelten Papierfliegern zu liefern.

Im Verlauf der Jahre erlebte ich einige Begegnungen mit Walter Ernsting. Nachdem ich Redakteur für die PERRY RHODAN-Serie geworden war, gab es immer wieder Gründe, mit ihm zu telefonieren. Und als er von Irland – der Gesundheit wegen – ins österreichische Salzburg zog, gab es endlich Gelegenheit, ihn persönlich zu besuchen.

Unter anderem saß ich Ende der neunziger Jahre zwei Tage bei ihm in der Wohnung, teilweise am Krankenbett, teilweise auf der Wohnzimmer-Couch, wo ich ein ausführliches Interview mit ihm führen durfte. Dieses Interview war Grundlage für die Clark-Darlton-Biografie, die unter dem Titel »Der Mann, der die Zukunft brachte« bei Moewig erschien.

Unsere Telefonate waren sporadisch, und ich bekam über die Telefonleitung mit, wie sich Walters Gesundheitszustand verschlechterte und – eher selten! – verbesserte. Es war, wie er es einmal formulierte, eine »Auf-und-Ab-Kurve mit Tendenz nach unten«, und er machte sogar Witze darüber.

»Das mit dem Zellaktivator hat nicht so geklappt«, meinte er bei meinem letzten Besuch im Spätsommer 2004 in Salzburg. Bei diesem Treffen ging es Walter sehr schlecht. Zwar empfing er mich noch am Tisch sitzend, doch später musste er sich ins Bett legen. Seinen Humor behielt er bei, er spöttelte sogar über die eigene Schwäche.

Und wir vereinbarten, uns spätestens im Sommer 2005 wieder zu treffen. Wir heckten sogar die völlig verrückte Idee aus, Walter tatsächlich noch einmal auf einen Science-Fiction-Con mitzunehmen, vielleicht zum sogenannten OldieCon, der in Unterwössen veranstaltet werden sollte. Es hat leider nicht geklappt.

Wenn ich an Walter Ernsting denke, fällt mir gar nicht so sehr sein Werk als Autor ein. Er war sicher ein Förderer der Science Fiction, ohne den es die heutige deutschsprachige SF-Szene gar nicht gäbe. Er war einer der ersten Autoren hierzulande, die sich an dem noch fremden Genre versuchten, und er legte mit seiner Ideenarbeit bei PERRY RHODAN den Grundstock zur erfolgreichsten SF-Serie überhaupt.

In Erinnerung habe ich ihn aber in erster Linie als den warmherzigen, sympathischen Menschen voller Witz und Energie, voller Spaß am Leben und stets den Schalk im Nacken. Menschen wie Walter Ernsting gibt es auf der Erde zu wenig!

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