10 Oktober 2018

Kibb und andere Vlcek-Texte

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Als ich am frühen Morgen des Donnerstags, 3. März 1994, in mein Büro im Pabel-Moewig Verlag kam, ging es mir nicht sonderlich gut. Ich litt unter starkem Schnupfen; meine Allergie gegen die sogenannten Frühblüher brach in diesem Jahr erstmals richtig stark aus und wurde zunächst gar nicht als Allergie erkannt. Ich hatte leichte Kopfschmerzen und nieste ständig, die Nase lief, und die Augen tränten.

Sabine Bretzinger hatte wenig Mitleid mit mir. Sie wirkte frisch und ausgeruht, war auch schon deutlich vor mir in der Redaktion eingetroffen. »Ernst hat geliefert«, sagte sie und hielt mir einige bedruckte A4-Blätter entgegen. »Florian hat die Originale, das sind die Kopien.«

In der PERRY RHODAN-Redaktion setzten wir auf das Faxgerät; es hatte sich bewährt und ließ eine schnelle Kommunikation zu. Ernst Vlcek saß in der Nähe von Wien und schrieb die Exposés für die laufende Serie, dann schickte er sie per Fax nach Rastatt. Meist arbeitete er abends und bis spät in die Nacht, seine Faxe waren frühmorgens im Verlag.

Dort fischte Sabine sie aus dem Faxgerät, machte eine Kopie für mich und brachte das Original zu Dr. Florian F. Marzin, unserem Chefredakteur, der seit gut einem Jahr in einem anderen Teil des Gebäudes saß. Die Vorgehensweise hatte sich in den vergangenen Jahren gut bewährt.

Ich jammerte ein wenig über meinen angeblichen Schnupfen und verschwieg, dass ich in der Nacht zuvor noch lange bei einem Konzert in Heidelberg gewesen war, von dem ich erst gegen zwei Uhr nach Hause gekommen war. Vielleicht kamen die Kopfschmerzen auch daher? Ich wusste es nicht, war aber der Ansicht, die Kollegin sollte das nichts angehen.

In einem raschen Querlesen verschaffte ich mir einen Überblick zu den Inhalten der Exposés. Bereits in diesem Stadium machte ich mir einige Notizen. Einige Dinge gefielen mir, mit anderen hatte ich Probleme. Wie immer würde ich die Exposés noch einmal sehr genau und gründlich lesen, damit ich Ernst anrufen und sie mit ihm durchsprechen konnte.

Kurz nach halb zehn kam Florian in unser Büro. Sabine hatte Kaffee aufgesetzt, unsere allmorgendliche Besprechung begann. Er hatte bereits die Exposés durchgelesen und seine Version mit zahlreichen Anmerkungen versehen. »Da hat sich Ernst ja wieder einiges geleistet«, polterte er, was in diesem Fall nicht so ernst gemeint war, wie es klang.

Die neuen Exposés beschäftigten sich mit dem Arresum, der »negativen« Seite des Universums. In seinen Arbeiten ging der Exposéautor nun von Annahmen aus, die der Chefredakteur nicht teilte. Offenbar waren die Absprachen, die die beiden getroffen hatten, als Florian zu Besuch in Österreich gewesen war, nicht so eindeutig gewesen, dass sich beide daran in gleicher Weise erinnern konnten.

Auch ich hatte einige Anmerkungen zu den Exposés, machte aber klar, dass ich sie erst noch genauer lesen musste. Florian ließ seine Kopien auf dem Tisch liegen. »Sag dem Ernst, dass er das gründlich überarbeiten muss, dann werden die Exposés was.« Ich nickte.

Während Florian ging und Sabine den Tisch abräumte, schaute ich die Post durch, die am Vormittag gekommen war. Es gab ein Dutzend Leserbriefe, die ich durchlas, bevor ich sie auf Sabines Platz legte. Die Kollegin würde sie ebenfalls durchschauen, dann würden wir die Briefe an Arndt Ellmer weiterleiten, der sie für die Leserkontaktseite einsetzen und vor allem beantworten würde.

Ich schnappte mir das Manuskript, das ich zu redigieren hatte. Es war von Ernst Vlcek, trug den Arbeitstitel »Kibb«, und es musste bald in die Setzerei. Gelesen hatte ich es schon, nun wollte ich an die Feinarbeit gehen. Bevor ich an die eigentliche Arbeit ging, schrieb ich einen Seite-drei-Text und ein Extrablatt mit dem Personenkasten – das hatte ich mir so angewöhnt.

Dann ging ich ans Redigieren: Mit einem dicken blauen Stift strich ich einzelne Wörter, die nicht stimmig waren, und mit einem dünnen blauen Stift machte ich die Korrekturen. Bei Ernsts Manuskripten musste ich vor allem auf sogenannte Austrianismen achten; der Autor setzte gelegentlich Formulierungen ein, die man außerhalb von Österreich allerhöchstens in Süddeutschland verstehen würde.

Ich hatte meine Schwierigkeiten mit dem Roman. Der Autor schrieb häufig seltsame Dialoge, blieb bei der Handlung oft distanziert und – für meinen Geschmack – unklar. Dazu kam eine Erzählweise, die ich sehr umständlich fand. Die Lebensgeschichte der geheimnisvollen Figur namens Moira, die eine gemeinsame Erfindung von Ernst Vlcek und Florian F. Marzin war, funktionierte für mich noch nicht.

Die Zusammenhänge mit dem Symbionten Kibb und dem mysteriösen Quidor wollte ich klarer formuliert haben. Wieder einmal stellte ich fest: Manche Dinge wurden einem als Lektor erst bewusst, wenn man ins Detail ging. Ich besprach mich mit Sabine – solche Details wollte ich nicht mit Florian diskutieren.

Sie riet mir, dringend mit Ernst zu telefonieren. »Er hat heute nacht lang geschrieben, also ruf ihn nicht vor zwei Uhr an«, meinte sie. Und ich gelobte, mich daran zu halten. Nach wenigen Seiten legte ich erst einmal eine Pause bei meiner Redigierarbeit ein; mir war bewusst, dass »Kibb« eine harte Nummer werden würde. Mit Sabine ging ich dann erst einmal in die Kantine.

Am frühen Nachmittag brachte die Post noch einen aktuellen Roman, wieder ein Werk von Ernst Vlcek; diesen hatte er ausgedruckt und im Kuvert an uns geschickt. Weil wir einen der neuen Kopierer hatten, die Blätter automatisch einziehen konnten, ging es recht schnell, für Florian eine Kopie anzufertigen. Ich drückte sie ihm in die Hand, als er bei uns vorbeischaute.

»Da geht's um diesen Captain Bluecat«, brummte er. »Mal sehen, was Ernst daraus gemacht hat.« Ich war selbst sehr gespannt darauf, wie er die Beausoleils dargestellt hatte; immerhin waren diese Figuren eine echte Eigenerfindung des Exposéautors, und ich wusste, wieviel »Herzblut« er hineingesteckt hatte.

Nachdem ich die Exposés gründlich durchgearbeitet hatte, rief ich Ernst Vlcek an, und wir besprachen sie ausführlich. Er machte sich Notizen und stellte Rückfragen, dann verabschiedeten wir uns.

Ich blickte auf meinen Schreibtisch: Exposés von Ernst, ein zu redigierendes Manuskript von Ernst, ein noch zu lesendes Manuskript von Ernst. »Heute ist echt mein Vlcek-Tag«, murmelte ich und ging wieder an die Arbeit ...

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