Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Am Samstag, 4. Oktober 1997, fuhr ich mit der Bahn nach Sinzig, in
die kleine Stadt im Rheinland. Dort war ich einer der Gäste des PERRY
RHODAN-Cons, der von Werner Fleischer und einigen anderen Personen
veranstaltet wurde. Wie in den früheren Jahren gab es auch 1997 einen
Programmpunkt, der so nirgends verzeichnet war: Ständig suchte jemand
nach Werner Fleischer, dem unermüdlichen, aber manchmal chaotischen
Hauptveranstalter.
Weil ich noch nichts konkretes zu tun hatte
und vor allem nicht nach Werner forschen wollte, stromerte ich durch die
Räume. Immer wieder blieb ich stehen, um mit den Fans zu plaudern. Die
Risszeichner präsentierten in einem eigenen Raum ihre Arbeiten, der
FanZentrale hatte man ebenfalls einen eigenen Raum zur Verfügung
gestellt, und verschiedene Händler waren mit ihren Tischen in kleineren
Nebenräumen vertreten. Überall wimmelte es von Fans, überall waren
Autoren und Zeichner ins Gespräch vertieft; es herrschte eine
wunderbar-kommunikative Stimmung.
Im Hof war sogar ein Zelt
aufgebaut worden. Hier hatte Reinhard Rauscher sein Reich errichtet.
Seit Jahren versorgte der Buchhändler aus München die Cons mit seinen
Bergen von Bananenkisten, aus denen heraus er Unmengen von Science
Fiction verkaufte. »Brauchst mal wieder was?«, rief er mir entgegen. Wie
immer stand er zwischen seinen Kartons, hatte einen Stapel
Taschenbücher in der Hand und war gerade damit beschäftigt, sie irgendwo
einzusortieren.
Ich winkte ab. Trotzdem stöberte ich ein wenig.
Obwohl ich glaubte, mich mit Science Fiction gut auszukennen, fand ich
in Reinhard Rauschers Bergen oft Romane, die mich spontan
interessierten. In solchen Fällen kaufte ich sie, ohne mir Gedanken
darüber zu machen, dass ich damit nur den Stapel der ungelesenen Bücher
in der heimatlichen Wohnung vergrößerte. Diesmal blieb ich hart und
verschwand ohne Einkäufe.
Als ich den Großen Saal zurückkehrte,
kam ich gerade rechtzeitig. Auf der Bühne saßen Rainer Castor und Hans
Kneifel. Hans Kneifel steckte zu dieser Zeit mitten in der Bearbeitung
der ATLAN-Zeitabenteuer. Unterstützt wurde er dabei von Rainer Castor,
für den ein Con in Sinzig sowieso ein Heimspiel war: Rainer stammte aus
Andernach, gerade mal ein Dutzend Kilometer vom Congebäude entfernt.
Mit
viel Humor erzählte Hans von den Schwierigkeiten, seine früheren
Recherchen in die Neuzeit zu übertragen. »Da merkt der erfahrene Autor
dann doch, wie unerfahren derselbe Autor in seinen jungen Jahren war«,
plauderte er mit schöner Eigenironie. Rainer Castor ergänzte, mit
welchen Mitteln er recherchierte und wie er versuchte, die Widersprüche
früherer Jahre auszugleichen.
Das Internet steckte im Oktober
1997 in seinen Kinderschuhen, Google gab es noch nicht; wenn ein Autor
recherchieren wollte, hieß das, dass er sich durch Berge von
Fachliteratur zu wühlen hatte. Ohne die Zusammenarbeit mit Rainer Castor
wäre die Neubearbeitung der ATLAN-Bücher in den 90er-Jahren nicht so
erfolgreich gewesen.
Kaum war der Programmpunkt zu Ende, sprach
ich Rainer Castor auch gleich an. Wir hatten vereinbart, miteinander zu
Mittag zu essen. Ohne viel Gerede verließen wir das Congebäude,
überquerten die Straße und nahmen eine der Treppen hinauf in den
eigentlichen Stadtkern von Sinzig. Dort setzten wir uns in eine
Pizzeria, um mit demselben Thema weiterzumachen: Es ging mir darum, wie
wir die ATLAN-Buchreihe weiterführen konnten.
Rainer schwärmte
vor allem von neuen ATLAN-Romanen. Nicht zum ersten Mal bedrängte er
mich, »doch wieder einmal« einen aufgefrischten Versuch mit
ATLAN-Heftromanen zu wagen. Immer wieder wich ich aus und verwies auf
die Geschäftsführung, die zu dieser Zeit weniger auf Heftromane als auf
Bücher oder moderne CD-ROM-Produkte setzte. Immerhin waren sich Rainer
und ich in einem einig: Die ATLAN-Serie hatte noch eine lange Zukunft
vor sich – egal in welchem Medium diese stattfinden würde.
Rechtzeitig
zu meinem eigenen Programmpunkt war ich zurück. Im großen Saal lief die
erste Runde des PERRY RHODAN-Quiz’, also musste ich in den kleinen Saal
ins Obergeschoss, ein schlauchartiges Gebilde. Rund vierzig Personen
fanden auf den Stühlen Platz, gut zwei Dutzend weiterer Menschen mussten
stehen.
Werner Fleischer war tatsächlich schon da. »Wir haben
alle auf dich gewartet«, erzählte er strahlend. »Aber jetzt können wir
ja loslegen.« Tatsächlich war ich davon ausgegangen, ihn erst suchen zu
müssen ... Werner begrüßte das Publikum zu einem Programmpunkt mit dem
schönen Titel »Der Redaktör hat’s schwör«; dabei sollte es weniger um
die PERRY RHODAN-Serie als auch um den »privaten Redakteur« gehen,
versicherte er.
Er hatte sich gut vorbereitet und lotste mich
durch eine Reihe von Fragen. Unter anderem ging es um meinen beruflichen
Werdegang, meine Reisen in eher unbekannte afrikanische Länder oder um
meine Bemühungen, in den 80er-Jahren mit meinem eigenen Fanzine einen
Science-Fiction-Verlag aufzubauen. Selbstverständlich sprachen wir auch
über PERRY RHODAN, danach stellte ich mich der Diskussion. Es
entwickelten sich zahlreiche Fragen, unter anderem zur aktuellen
Serienhandlung, aber ebenso zu weiterreichenden Themen, und nach einer
Stunde war ich gut geschafft.
Werner beendete den Programmpunkt
und wollte bereits verschwinden. Ich hielt ihn auf. »Es wäre gut, wenn
ich bald wüsste, wo ich heute Nacht schlafen kann«, versuchte ich es
erneut.
»Später«, versicherte er mir, »ich muss gleich los.« Er ließ mich zwischen den Fans stehen und eilte aus dem Raum ...
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