05 Mai 2015

Sinzig im Oktober 1997 – Teil 2

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Am Samstag, 4. Oktober 1997, fuhr ich mit der Bahn nach Sinzig, in die kleine Stadt im Rheinland. Dort war ich einer der Gäste des PERRY RHODAN-Cons, der von Werner Fleischer und einigen anderen Personen veranstaltet wurde. Wie in den früheren Jahren gab es auch 1997 einen Programmpunkt, der so nirgends verzeichnet war: Ständig suchte jemand nach Werner Fleischer, dem unermüdlichen, aber manchmal chaotischen Hauptveranstalter.

Weil ich noch nichts konkretes zu tun hatte und vor allem nicht nach Werner forschen wollte, stromerte ich durch die Räume. Immer wieder blieb ich stehen, um mit den Fans zu plaudern. Die Risszeichner präsentierten in einem eigenen Raum ihre Arbeiten, der FanZentrale hatte man ebenfalls einen eigenen Raum zur Verfügung gestellt, und verschiedene Händler waren mit ihren Tischen in kleineren Nebenräumen vertreten. Überall wimmelte es von Fans, überall waren Autoren und Zeichner ins Gespräch vertieft; es herrschte eine wunderbar-kommunikative Stimmung.

Im Hof war sogar ein Zelt aufgebaut worden. Hier hatte Reinhard Rauscher sein Reich errichtet. Seit Jahren versorgte der Buchhändler aus München die Cons mit seinen Bergen von Bananenkisten, aus denen heraus er Unmengen von Science Fiction verkaufte. »Brauchst mal wieder was?«, rief er mir entgegen. Wie immer stand er zwischen seinen Kartons, hatte einen Stapel Taschenbücher in der Hand und war gerade damit beschäftigt, sie irgendwo einzusortieren.

Ich winkte ab. Trotzdem stöberte ich ein wenig. Obwohl ich glaubte, mich mit Science Fiction gut auszukennen, fand ich in Reinhard Rauschers Bergen oft Romane, die mich spontan interessierten. In solchen Fällen kaufte ich sie, ohne mir Gedanken darüber zu machen, dass ich damit nur den Stapel der ungelesenen Bücher in der heimatlichen Wohnung vergrößerte. Diesmal blieb ich hart und verschwand ohne Einkäufe.

Als ich den Großen Saal zurückkehrte, kam ich gerade rechtzeitig. Auf der Bühne saßen Rainer Castor und Hans Kneifel. Hans Kneifel steckte zu dieser Zeit mitten in der Bearbeitung der ATLAN-Zeitabenteuer. Unterstützt wurde er dabei von Rainer Castor, für den ein Con in Sinzig sowieso ein Heimspiel war: Rainer stammte aus Andernach, gerade mal ein Dutzend Kilometer vom Congebäude entfernt.

Mit viel Humor erzählte Hans von den Schwierigkeiten, seine früheren Recherchen in die Neuzeit zu übertragen. »Da merkt der erfahrene Autor dann doch, wie unerfahren derselbe Autor in seinen jungen Jahren war«, plauderte er mit schöner Eigenironie. Rainer Castor ergänzte, mit welchen Mitteln er recherchierte und wie er versuchte, die Widersprüche früherer Jahre auszugleichen.

Das Internet steckte im Oktober 1997 in seinen Kinderschuhen, Google gab es noch nicht; wenn ein Autor recherchieren wollte, hieß das, dass er sich durch Berge von Fachliteratur zu wühlen hatte. Ohne die Zusammenarbeit mit Rainer Castor wäre die Neubearbeitung der ATLAN-Bücher in den 90er-Jahren nicht so erfolgreich gewesen.

Kaum war der Programmpunkt zu Ende, sprach ich Rainer Castor auch gleich an. Wir hatten vereinbart, miteinander zu Mittag zu essen. Ohne viel Gerede verließen wir das Congebäude, überquerten die Straße und nahmen eine der Treppen hinauf in den eigentlichen Stadtkern von Sinzig. Dort setzten wir uns in eine Pizzeria, um mit demselben Thema weiterzumachen: Es ging mir darum, wie wir die ATLAN-Buchreihe weiterführen konnten.

Rainer schwärmte vor allem von neuen ATLAN-Romanen. Nicht zum ersten Mal bedrängte er mich, »doch wieder einmal« einen aufgefrischten Versuch mit ATLAN-Heftromanen zu wagen. Immer wieder wich ich aus und verwies auf die Geschäftsführung, die zu dieser Zeit weniger auf Heftromane als auf Bücher oder moderne CD-ROM-Produkte setzte. Immerhin waren sich Rainer und ich in einem einig: Die ATLAN-Serie hatte noch eine lange Zukunft vor sich – egal in welchem Medium diese stattfinden würde.

Rechtzeitig zu meinem eigenen Programmpunkt war ich zurück. Im großen Saal lief die erste Runde des PERRY RHODAN-Quiz’, also musste ich in den kleinen Saal ins Obergeschoss, ein schlauchartiges Gebilde. Rund vierzig Personen fanden auf den Stühlen Platz, gut zwei Dutzend weiterer Menschen mussten stehen.

Werner Fleischer war tatsächlich schon da. »Wir haben alle auf dich gewartet«, erzählte er strahlend. »Aber jetzt können wir ja loslegen.« Tatsächlich war ich davon ausgegangen, ihn erst suchen zu müssen ... Werner begrüßte das Publikum zu einem Programmpunkt mit dem schönen Titel »Der Redaktör hat’s schwör«; dabei sollte es weniger um die PERRY RHODAN-Serie als auch um den »privaten Redakteur« gehen, versicherte er.

Er hatte sich gut vorbereitet und lotste mich durch eine Reihe von Fragen. Unter anderem ging es um meinen beruflichen Werdegang, meine Reisen in eher unbekannte afrikanische Länder oder um meine Bemühungen, in den 80er-Jahren mit meinem eigenen Fanzine einen Science-Fiction-Verlag aufzubauen. Selbstverständlich sprachen wir auch über PERRY RHODAN, danach stellte ich mich der Diskussion. Es entwickelten sich zahlreiche Fragen, unter anderem zur aktuellen Serienhandlung, aber ebenso zu weiterreichenden Themen, und nach einer Stunde war ich gut geschafft.

Werner beendete den Programmpunkt und wollte bereits verschwinden. Ich hielt ihn auf. »Es wäre gut, wenn ich bald wüsste, wo ich heute Nacht schlafen kann«, versuchte ich es erneut.

»Später«, versicherte er mir, »ich muss gleich los.« Er ließ mich zwischen den Fans stehen und eilte aus dem Raum ...

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