Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Im August 1995 hatte ich das Gefühl, andauernd in einer Krise zu
stecken. Die PERRY RHODAN-Redaktion war umgezogen – wir hatten neue
Büros im Untergeschoss des Verlagsgebäudes bezogen, die komplett
renoviert und umgestaltet worden waren. Zwar hatten wir die alten Möbel
behalten, aber die Wände, die Decken und die Teppichböden strahlten
nicht mehr den Mief der fünfziger Jahre aus.
Allerdings waren wir
nur noch zu zweit. Kurz nach seinem Urlaub hatte Dr. Florian F. Marzin,
unser bisheriger Chefredakteur, den Verlag verlassen. Sabine Bretzinger
als Redaktionsassistentin und ich als Redakteur sollten zu zweit
weitermachen. »Sie schaffen das schon«, hatte der Verlagsleiter in
seiner lockeren Art gesagt. Auf einen Schlag hatten wir mehr
Verantwortung, selbstverständlich ohne eine Veränderung des Gehaltes.
Ähnliche
Sätze waren auch in anderen Abteilungen gefallen. Im Buchverlag wie im
Lager hatte man viele Kolleginnen und Kollegen entlassen, es gingen
unangenehme Gerüchte durchs Haus. Niemand wusste, ob die Heftromane die
Kürzungs- und Kündigungswelle »überleben« würden – viele der
Romanreihen, die vor allem für ein weibliches Publikum verfasst wurden,
stellten in diesen Monaten ihr Erscheinen ein.
Die PERRY
RHODAN-Besprechung am 21. und 22. August 1995 fand deshalb in
angespannter Stimmung statt. Nachdem die bisherigen Exposérunden von Dr.
Florian F. Marzin geleitet worden waren, saß ich an diesen zwei Tagen
erstmals allein mit Ernst Vlcek und Robert Feldhoff zusammen. Wir fanden allerdings schnell zu einem guten Arbeitsklima.
So
waren wir uns vor allem in einem rasch einig: Wir entschlossen uns, die
bisherigen Entwürfe für einen neuen Zyklus, die Florian bevorzugt
hatte, zum größten Teil zur Seite zu legen. Einige Elemente wollten wir
übernehmen, aber nur in geringer Dosierung. Die von Robert angedachte
Idee einer »Koalition von Thoregon« fand Ernst erfreulicherweise ebenso
gut wie ich. Robert hatte mir seine Idee am Rande des Schreibseminars in
Wolfenbüttel erzählt, sie hatte aber keine Gnade vor Florians Augen
gefunden.
»Wir haben damit eine Möglichkeit, einen großen
Handlungsbogen über Hunderte von Bänden zu spannen«, argumentierte
Robert. Spannende Geschichten und kosmische Entwicklungen sollten sich
auf diese Weise gut einbauen lassen. Auch Ernst fand den Ansatz sehr
gut, die beiden stellten sich darauf ein, abwechselnd an dem künftigen
Zyklus zu arbeiten. Wer welchen Bereich übernehmen sollte, definierten
wir noch nicht – Robert sollte die ersten Exposés für den neuen Zyklus
allein erarbeiten, wir anderen sie dann mit ihm diskutieren.
Robert
hatte gleich eine weitere Idee: »Das Symbol für die Thoregon-Idee ist
eine Wabe – die kann man dann sogar fürs Marketing einsetzen.« Er schlug
vor, dass jeder Koalitionär für eine Seite der Wabe stehen solle. Die
Terraner sollte der sechste Teil der Koalition werden, für die anderen
brauchte man möglicherweise weitere Symbole.
»Einer von den sechs
Koalitionären ist ›böse‹, der hat die Cortez quasi in Marsch gesetzt«,
formulierte ich anschließend im Protokoll der Besprechung. »Und wenn
gegen Ende der Cortez-Handlung die Mutter gekillt wird – dann findet man
an Bord ihres Raumschiffes das Symbol einer Wabe ...« Es sollte später
alles anderes werden; dass dies im Verlauf eines Zyklus normal ist,
ahnte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht.
Ich war
nicht zufrieden, wie die Milchstraße in den vergangenen Zyklen
dargestellt worden war, und das sagte ich den Kollegen. »Nach den 700
Jahren, die Perry Rhodan verloren hat, müsste doch alles umgekrempelt
sein«, argumentierte ich. Wir sollten einige Dinge grundlegend
verändern, um dann die Handlung vor »eine neu definierte Milchstraße« zu
stellen.
Im Gespräch entwickelte Robert Feldhoff das sogenannte
Camelot-Konzept weiter, das er bisher nur gegenüber mir erwähnt hatte.
»Wir trennen die Aktivatorträger von der Menschheit«, schlug er vor.
»Wir entfremden sie, und wir lassen sie einen eigenen Verein aufziehen.«
Ernst
Vlcek fand die Idee ebenfalls gut. »Nach der Rückkehr aus Hirdobaan
haben die Aktivatorträger zuerst die Imprint-Süchtigen geheilt, aber mit
großer Sorge die beginnende Desintegration des Galaktikums beobachtet«,
formulierte ich im Protokoll. »Aus Frust über die Entwicklung hat man
sich entschlossen, ein ›eigenes Ding‹ durchzuziehen.«
Wir wollten
Homer G. Adams als Finanzgenie ins Zentrum der Handlung stellen. Er
sollte eine starke Geheimorganisation aufbauen und finanzieren, »unter
anderem durch Beteiligung an diversen Firmen etc.«. Verschiedene
Regierungen sollten die Aktivatorträger heimlich unterstützen. Namhafte
Wissenschaftler sollten sich ebenfalls als Helfer finden.
Dass die
Aktivatorträger um Rhodan sich auf der Geheimwelt Camelot ansiedeln
sollten, war eine Idee von Ernst Vlcek. Für die neue Organisation hatten
wir noch keinen vernünftigen Namen; wir wussten zu diesem Zeitpunkt
nur, dass der Planet nicht zu weit von der Erde entfernt sein sollte,
»maximal 10.000 Lichtjahre, und gut versteckt«.
Die Siganesen
sollten nach Camelot auswandern, verschiedene Untergrundgruppen von
Atlan koordiniert werden. Vor allem Ernst wollte die Siganesen zu Rhodan
und seinen Gefährten führen – er wollte die kleinwüchsigen Menschen
gern in der Handlung seiner Romane auftauchen lassen.
Auch wenn
wir viele Überlegungen, die von Florian gekommen waren, über Bord
warfen, übernahmen wir doch einige Elemente, die sich als knifflig
erwiesen. Eines davon war das neue große Raumschiff für unsere Helden.
Ich fand die Idee eines Raumschiffes, das sich in dreizehn Einzelteile
zergliedern ließe, richtig toll – die beiden Exposéautoren sahen einige
Probleme. »Das kann man einmal erzählen«, meinte Robert, »und danach
wiederholt sich alles.«
Immerhin fixierten wir einen Namen: Das
Schiff sollte GILGAMESCH heißen. Die einzelnen Zellen sollten die Namen
GILGAMESCH 1 bis 13 tragen, aber auch eigene Namen bekommen. Jeder
Zellaktivatorträger sollte sein eigenes Schiff erhalten, und der Name
sollte sich eng mit seiner Geschichte verbinden. So sollten
beispielsweise Frauennamen gewählt werden.
Das Protokoll enthält
hier eine verwirrende Formulierung: »Beispiel: Atlans Schiff heißt
KYTOMA«, schrieb ich – und ich meinte hundertprozentig Alaska
Saedelaere. Aber solche Verwirrungen waren in dieser Phase, in der wir
den »Thoregon«-Komplex starteten, wohl nicht zu vermeiden …
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