Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Im Spätsommer 1995 hatte sich das Verhältnis zwischen der PERRY
RHODAN-Redaktion und der neuen Verlagsleitung der Buchverlage nicht
gerade optimal entwickelt. Im Buch- wie auch im Zeitschriftenbereich
waren viele Kolleginnen und Kollegen entlassen worden, darunter der
Chefredakteur der Heftromanserien. Der neue Verlagsleiter verfolgte
einen Kurs, der einerseits Kostensenkungen enthielt, andererseits den
Verlag in eine neue Zeit bringen sollte.
Das merkte ich, als ich
im August 1995 zu einem Vier-Augen-Gespräch bestellt wurde. Nach einigem
oberflächlichen Gerede kam Bernhard Maurer zur Sache. Wie ich mir denn
die Zukunft vorstelle und ob ich glaubte, die PERRY RHODAN-Serie würde
auch noch in zehn oder zwanzig Jahren existieren.
»PERRY RHODAN
wird auf jeden Fall Band 2000 erreichen«, versicherte ich, völlig von
der Arbeit der Autoren und der Begeisterung der Leser überzeugt. »Aber
wie lange es noch Heftromane geben wird, weiß ich nicht.«
Seit
Mitte der 80er-Jahre war das Heftromangeschäft im Rückzug. Verschiedene
Verlage hatten aufgegeben, darunter der Zauberkreis-Verlag, der in
Rastatt »auf der anderen Straßenseite« existiert hatte, keine 200 Meter
von uns entfernt. Auch der Pabel-Moewig Verlag hatte in den 90er-Jahren
zahlreiche Heftromanserien eingestellt. Es wurde gemunkelt, dass außer
PERRY RHODAN und dem »Landser« – den niemand mochte, der aber
wirtschaftlich erfolgreich war – nicht viel die aktuelle Kürzungswelle
überstehen würde.
Bernhard Maurer fragte nach: »Wie meinen Sie das denn? Werden die Leute nur noch unsere Bücher kaufen?«
Ich
war überzeugt davon, dass eine Zukunft der PERRY RHODAN-Serie vor allem
im Buchgeschäft liegen müsste. Wir sollten, so argumentierte ich, neue
Buchreihen starten und die Serie stärker im Buchhandel verankern. Zudem
sollten wir versuchen, ein neues PERRY RHODAN-Magazin in den Handel zu
bringen.
Der Verlagsleiter fragte mich nach den Erfolgsaussichten
für eine digitale Verwertung der Romane. »Werden die Leute irgendwann
die Romane am Bildschirm lesen?«
Ich wusste, dass es sogenannte
DFÜ-Stammtische gab, in denen über die moderne »Datenfernübertragung«
diskutiert wurde, und ich hatte davon gehört, dass es bereits Romane
gab, die über Disketten vertrieben wurden. Schon in den späten
80er-Jahren hatte Wilfried A. Hary, der ehemalige ATLAN-Autor, damit
angefangen. Der Autor verlegte die sogenannten Diskomane – ein Begriff,
den er begründet hatte –, bei denen er seine Romane auf Disketten
spielte, die man daheim auf dem Computer lesen konnte.
Ich wusste,
dass auch Fans in diese Richtung gingen. Weil ich seit 1986 die PERRY
RHODAN-Clubnachrichten betreute, hatte ich einen guten Einblick in die
Aktivitäten der Fans. Ich erzählte von den »Raumschiff Orion«-Romanen,
die Fans schrieben, dann aber nicht druckten, sondern auf Disketten in
Umlauf brachten.
Maurer wiederum erzählte von den Bemühungen der
Technologie-Konzerne, das digitale Lesen zu kommerzialisieren. Seinen
Informationen nach experimentierte beispielsweise Sony seit Jahren
damit, eigene Lesegeräte zu entwickeln. Noch steckte der Vertrieb der
Datenträger in den Kinderschuhen.
CD-ROMs waren der neueste
Schrei. Mein alter Freund Carsten Scheibe verdiente sein Geld damit,
dass er CD-ROMs zusammenstellte, auf denen Freeware-Programme und Bilder
vertreten waren.
»Was also liegt näher, als unsere Romane auch
auf solchen Datenträgern zu verkaufen?«, überlegte Maurer laut. Seine
Vision, die er mir skizzierte, war noch unausgereift, aber er wollte die
PERRY RHODAN-Serie insgesamt digitalisieren.
»Aber das geht nicht
mit dem bisherigen Vertrag, den wir mit den Autoren geschlossen haben«,
sagte er. Zuerst verstand ich ihn nicht, dann erklärte er es mir am
Beispiel eines Bleistiftes, den er hochhielt. »Wenn ich Ihnen jetzt
diesen Bleistift für eine Mark verkaufe, gehört er Ihnen, und Sie können
damit machen, was Sie wollen.«
Das leuchtete komplett ein. Dann
aber fügte er hinzu: »Wäre ich aber ein Autor, müssten Sie mir jedes
Jahr ein wenig Geld dafür geben, dass Sie meinen Bleistift benutzen
können.«
Ich verstand, in welche Richtung er gehen wollte, und
verwies auf das Urheberrecht. Die Autoren seien die Urheber der Romane,
und für ihr geistiges Eigentum müssten wir sie prozentual beteiligen.
»Wir
müssen den Verlag und die Serie zukunftsfähig machen«, sagte er. »Das
geht nicht mit den alten Verträgen.« Deshalb müsse man diese anpassen.
Mir
war klar, dass er es anders sah als ich, und wir schieden wieder einmal
nach einem langen Gespräch im Streit. Ich verstand, dass er einen
visionären Weitblick hatte, der vieles von dem überstieg, was ich sonst
in der Verlagswelt wahrnahm. Weil er aber vorher in der
Konsumgüter-Industrie gearbeitet hatte, war seine Denkweise weit
entfernt von der eines kreativen Autoren oder eines Redakteurs, der –
wie ich – zumindest glaubte, kreativ mit den Autoren zusammenzuarbeiten …
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