Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Nachdem ich die ersten Kontakte zu Fans geschlossen hatte, entwickelten sich im Frühjahr und Sommer 1979 in rasender Geschwindigkeit weitere Bekanntschaften. Mit der kleinen Kofferschreibmaschine, die mir meine Eltern geschenkt hatten, schrieb ich zahlreiche Adressen an, die ich in den PERRY RHODAN-Clubnachrichten oder auf den Seiten des PERRY RHODAN-Magazins ausfindig machte.
Ich war 15 Jahre alt und fand die Schule sowieso nicht spannend – also malträtierte ich in der Freizeit meine Schreibmaschine. Und weil viele der Personen, mit denen ich Kontakt aufnahm, rasch reagierten, hatte ich innerhalb kurzer Zeit eine Reihe von Brieffreundschaften.
Rasch fing ich damit an, die ersten Fanzines zu bestellen, also Fan-Magazine, die von den meist jungen Herausgebern hergestellt und vertrieben wurden. Vor allem wollte ich Möglichkeiten finden, meine eigenen Geschichten zu veröffentlichen. Seit ich die Idee entwickelt hatte, selbst ein Autor zu werden, brauchte ich – in meiner Wahrnehmung – jemanden, der meine Texte druckte.
Eines der ersten Hefte, das mir ins Haus geschickt wurde, hieß »solis orbita«. Seine Macher kamen aus Friedberg im Taunus, nördlich von Frankfurt gelegen, und kamen mir schon sehr erfahren vor – obwohl sie so alt waren wie ich oder ein wenig jünger. Ihr Fanzine war noch sehr amateurhaft, die Ambitionen von Michael und Ulrich dafür umso größer. Sie hatten, wie ich nach mehreren Briefen schon wusste, große Ziele mit ihrem Fanzine: Sie wollten prominente Autoren als Mitarbeiter gewinnen und schreckten auch nicht davor zurück, Lyrik zu veröffentlichen. (Es wurde das erste Fanzine, das Texte von mir publizierte.)
Es gab weitere Hefte, die mir gut gefielen. Im Nachhinein muss man wohl aber sagen, dass »Carthago« eines der Fanzines war, die mich im Sommer 1979 am Stärksten beeinflussten. Ich bestellte mir die Doppelnummer 9/10, die hundert Seiten umfasste und die ich bestimmt zweimal durchlas. »Carthago« verstand sich als ein »Magazin für Phantastik (Science Fiction, Realismus, Gespenster, Fantasy, etwas Horror, Surrealismus, Utopie, Badeöl usw.)«, was ich schon mal lustig fand.
Das gesamte Heft wirkte auf mich sehr professionell: ein kartonierter Umschlag, superschön gedruckte Innenseiten. Inhaltlich war es wesentlich »erwachsener« und kritischer als die Hefte, die ich bislang kannte und die meist einen starken PERRY RHODAN-Bezug aufwiesen.
Staunend las ich manche Beiträge. Es gab durchaus anspruchsvolle Kurzgeschichten, etwa von Roland Rosenbauer, den ich schon als Autor von »Terra Astra«-Heftromanen kannte, oder von Manfred Borchard, der schon oft auf den Seiten der PERRY RHODAN-Romane veröffentlicht worden war. Andere Autoren kannte ich nicht – und ihre Geschichten lasen sich allesamt anders als das, was ich bisher in Heftromanen mitbekommen hatte.
Man war durchaus politisch in diesem Fanzine, nicht nur in Kurzgeschichten wie »Päpstliche Himmelfahrt« oder Gedichten wie »Ein sauberer Deutscher«, sondern vor allem in den Artikeln. Mit einem Artikel wie »Größenwahn und Misswirtschaft der Fanzines« konnte ich nicht viel anfangen, weil ich zu wenig Ahnung von der bisherigen Fan-Szene hatte. Aber auch dieser Artikel weitete meinen Horizont.
In der »Carthago«-Ausgabe las ich auch von vielen anderen Fanzines. In einer »Fantasy-Magazinschau« wurden alle aktuellen Fanzines besprochen, die sich mit Fantasy-Literatur beschäftigten. Nachdem ich erst kürzlich diese Spielart der phantastischen Literatur kennengelernt hatte, fand ich das besonders interessant. Man konnte in Heften wie »Fantasia« oder »Follow« also eigene Geschichten veröffentlichen, und man konnte fremde Kulturen »simulieren«. Was immer das im Detail heißen sollte – mich faszinierte es.
Ich nahm mir vor, in Kontakt zu dem Verein zu treten, der hinter dieser phantastischen Welt stand. Er nannte sich »Erster Deutscher Fantasy-Club«. Obwohl in derselben »Carthago«-Ausgabe auch ein Artikel veröffentlicht wurde, der den Titel »Fantasy – Faschismus auf Raten?« trug, wollte ich mich nicht davon abhalten lassen, mehr über Fantasy herauszufinden.
Weil es in diesem »Carthago«-Heft so viele Informationen gab, die ich herausschreiben konnte, betrachtete ich es bald als meinen »Schlüssel« zur eigentlichen Fan-Szene. Unter anderem las ich von einem Fanzine namens »Phalanx«, an dem Manfred Borchard beteiligt war – den Mann kannte ich nun sowohl von »Carthago« als auch von PERRY RHODAN her. Ich beschlosse, den Herausgeber anzuschreiben; das war ein gewisser Helmut Ehls. (Mit ihm sollte ich Jahrzehnte später bei PERRY RHODAN zusammenarbeiten.)
Vor allem aber faszinierte mich der Hinweis auf einen Club. Er nannte sich »Science Fiction Korrespondenz Ring«, kürzte sich selbst mit »SFKR« ab und beschrieb sich selbst als »der Verein für aktive Science-Fiction-Leser & -Fans«, Das interessierte mich; ich wollte schließlich selbst ein aktiver Fan werden. Mir gefiel, dass man sich offenbar »ehrgeizige Pläne« gesetzt hatte, wie es in der Anzeige hieß, und dass man alles bieten wollte, »was man von einem modernen und leistungsfähigen Club« erwartete. Was das wohl genau hieß? Ich beschloss, es herauszufinden, und schrieb einen Brief an die angegebene Adresse.
Im Spätsommer 1979 begann mein Zugang zum Fandom, wie man die organisierte Szene der Science-Fiction-Fans nannte. Ich verschickte viele Briefe, und ich bekam viele Antworten. Mit großen Augen sah ich, was es neben PERRY RHODAN und ATLAN noch alles gab. Vor allem faszinierte mich, welche Möglichkeiten sich für engagierte Fans eröffneten. Ich beschloss, in dieser Fan-Szene immer intensiver mitzumischen …
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