Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Im Sommer 1977 las ich meine ersten drei PERRY RHODAN-Romane; es war
in einem Zeltlager im Schwarzwald, bei dem mir irgendwann langweilig
wurde. Die Serie packte mich, und ich wollte mehr haben. Dummerweise
hatte mein Kumpel, der PERRY RHODAN las, nur drei Hefte aus drei
unterschiedlichen Zyklen dabei – das bremste mein Engagement stark ein.
Kaum
war ich aus dem Zeltlager zurück, fuhr ich zu meinem Kumpel. Genauer
gesagt: Ich besuchte seinen großen Bruder, denn diesem gehörten die
Hefte, und er lieh sie dem kleineren Bruder aus. Wir trafen uns im
Garten seines Elternhauses, das auf der anderen Seite unseres Dorfes
lag.
»Ich möchte mehr von PERRY RHODAN lesen«, sagte ich.
Der
Große – damals immerhin schon neunzehn Jahre alt – wusste Bescheid, man
hatte ihn informiert. »Man muss das so lesen, dass man in einem Zyklus
bleibt«, erläuterte er. »Fang mit dem Blues-Zyklus an, der liegt gerade
in der dritten Auflage vollständig vor.«
Dann drückte er mir gut
zwei Dutzend Romanhefte in die Hand, alle zerlesen und in
unterschiedlichen Zuständen. Sie rochen nach Zigarettenrauch, aber das
störte mich nicht. Wir stopften die Romanhefte in eine Plastiktüte, ich
stieg auf mein Rad und strampelte zurück.
An diesem Tag war nicht
mehr viel mit mir anzufangen. Ich sortierte die Hefte in der richtigen
Reihenfolge und betrachtete sie nacheinander. Jedes Titelbild schaute
ich mir genau an, jedes Bild prägte ich mir ein. Was ich noch vor einer
Woche als grell und »schundig« betrachtet hatte, fand ich jetzt
faszinierend.
Dann versteckte ich die Heftromane. Meine Eltern
glaubten, »Schund« als verwerflich brandmarken zu müssen, und hätten die
Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn sie den Berg an
»Schundheften« gesehen hätten. Aber ich freute mich wie wahnsinnig auf
die anstehende Lektüre.
Am nächsten Tag baute ich meine
Hängematte im Garten auf, schnappte mir den ersten Heftroman und begann
mit der Lektüre. Es war ein herrlicher Sommertag, und er eröffnete eine
ganz neue Welt für mich. Ich lernte Lemy Danger kennen, den tapferen
Siganesen, und fand ihn witzig. Gucky kannte ich bereits, das war nichts
neues – aber jetzt erfuhr ich auch mehr über Ertruser und Epsaler und
andere Völker, die zum Galaktischen Imperium gehörten.
Gemeinsam
mit den Terranern kämpfte ich gegen die Blues, die aus der Eastside
kamen, gemeinsam mit Perry Rhodan wurde ich von den Männern des Obmanns
Iratio Hondro entführt. Vor meinen Augen entfaltete sich das Panorama
einer phantasievoll geschilderten Milchstraße, in der es Dutzende von
Sternenreichen gab, die gegeneinander kämpften oder miteinander
arbeiteten.
Innerhalb von drei Tagen hatte ich die Hefte
ausgelesen; jeden Tag schaffte ich gleich mehrere. Den Blues-Zyklus
hatte der Bruder meines Kumpels nicht komplett, aber das machte nichts,
denn so konnte ich mir rasch einen Überblick verschaffen. Ich las in
der Hängematte und in meinem Zimmer, und nachts träumte ich von
Raumschiffen und Mutanten. Und ich wusste, dass ich mehr wollte – ich
wollte die Welt von PERRY RHODAN besser kennenlernen.
Dann packte
ich alles in eine Tasche, setzte mich auf mein Rad und fuhr los: den
Berg hinunter, auf dem ich wohnte, durch das Tal und dann auf der
anderen Seite den steilen Berg wieder hoch und in das Neubauviertel.
Diesmal durfte ich mit in das Zimmer des großen Bruders, der keine Lust
hatte, mir die Heftromane selbst herauszusuchen.
Es war ein
typisches »Jungs«-Zimmer der siebziger Jahre: Poster aus der »Bravo«
hingen an den Wänden, es roch nach Zigaretten und ungewaschenen
Klamotten; das Bett war nicht »gemacht«. Das alles interessierte mich
nicht. Ich sah nur die Stapel von Heftromanen, die sich an den Wänden
türmten; es mussten Hunderte sein.
Er wies auf die Stapel. »Das
ist meine PERRY RHODAN-Sammlung«, sagte er. »Such dir aus, was du magst.
Ich würde dir den Meister-der-Insel-Zyklus empfehlen – aber den habe
ich nicht vollständig.«
Er ließ mich allein mit dem Chaos. Wie
ich schnell feststellte, war alles völlig durcheinander. In den Stapeln
lagen nicht nur PERRY RHODAN-Romane, sondern auch ATLAN und TERRA ASTRA,
dazu allerlei Krimi- und Westernhefte. Ich räumte mindestens eine
Stunde lang auf.
Ich schichtete einzelne PERRY RHODAN-Zyklen
aufeinander, dann sortierte ich die Hefte in die richtige Reihenfolge.
Dass ich immer wieder die Titelbilder betrachtete oder eine
Risszeichnung bewunderte, sorgte dafür, dass ich nicht schnell vorankam.
Zwischendurch trat der Bruder meines Kumpels in sein Zimmer, mit einer
Zigarette im Mundwinkel, was ich sehr beeindruckend fand, und schaute
mir zu, während er gemütlich rauchte.
Irgendwann hatte ich gut
dreißig Hefte der dritten Auflage zusammen, die ab Band 200 nummeriert
waren oder noch zum Blues-Zyklus gehörten. Diese packte ich in die
Plastiktüte, wobei ich versuchte, sie nicht mehr zu beschädigen, als sie
es ohnehin schon waren. Wir verabschiedeten uns voneinander, dann
radelte ich nach Hause.
Es war wieder ein schöner Sommertag.
Spontan entschied ich mich »Straße nach Andromeda« zu lesen, den Band
200. Dieser hatte zwar nichts mit dem Blues-Zyklus zu tun, aber ich
wusste bereits, dass hier unter anderem die Geschichte von Kahalo, dem
geheimnisvollen Planeten, weitergesponnen werden sollte.
Und
dann war's endgültig um mich geschehen. Ich fand Icho Tolot
faszinierend, ich startete mit den Terranern ins Zentrum der Milchstraße
und wurde mit ihnen in den Leerraum zwischen den Galaxien geschleudert –
und spätestens da wusste ich, dass mich PERRY RHODAN so schnell nicht
mehr loslassen würde ...
2 Kommentare:
Eine nette Anekdote über die Zufälle, die den eigenen Lebensweg manchmal bestimmen können. Wissen Dein Kumpel und sein groβer Bruder eigentlich, daβ Du inzwischen Chefredakteur bei PERRY RHODAN bist? Eigentlich hätten sie damit Geschenkabos auf Lebenszeit verdient. :-)
Leider habe ich keinerlei Kontakt mehr zu den alten Freunden von damals; das hat sich irgendwann anfangs der 80er-Jahre aufgelöst.
Mein erster Science-Fiction-Kontakt ab 1979 war allerdings auf dem PERRY RHODAN-WeltCon 2011, worüber ich mich sehr gefreut habe.
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