Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Es war mein erstes Science-Fiction-Seminar, bei dem ich zusammen mit Andreas Eschbach als Dozent auftrat. Ich kannte den Autor nicht besonders gut und war deshalb sehr gespannt, wie es verlaufen sollte. An diesem Freitag, 27. November 1998, begannen wir mit etwas, das wir in den Jahren zuvor eingeführt hatten: dem sogenannten Werkstattgespräch.
Die Autorinnen und Autoren, die sich zum Seminar eingefunden hatten, saßen erwartungsvoll an den Tischen. Ich informierte zu Beginn über die »Regeln« des Seminars: Wann waren die Essenszeiten, wie lange dauerten die Arbeitszeiten des Seminars, was waren die Erwartungen, die wir an die Teilnehmer hatten?
Im folgenden Redaktionsgespräch stellte Andreas seine »Karriere« dar. Ich fragte, er antwortete, und nach einiger Zeit kamen Fragen der Teilnehmer dazu. Verblüfft erfuhren die Teilnehmer, dass Andreas Eschbach eben nicht der »Senkrechtstarter« war, als den ihn viele betrachteten. Immerhin hatte er in kurzer Zeit nicht nur mehrere Romane veröffentlicht, sondern auch alle möglichen Preise abgeräumt.
Wie der Autor erzählte, hatte er sein Handwerk mühsam erlernt. Er schrieb seit gut zwanzig Jahren, er hatte mehrere unveröffentlichte Romane in der Schublade, er hatte viele Texte verworfen – es war ein langer Weg gewesen, bis er seinen ersten Roman hatte veröffentlichen können. Er wies auf etwas hin, das nicht allen Autoren so richtig bewusst schien: Nur wer das Handwerk des Schreibens beherrsche, könne wirklich gut schreiben – es sei bislang selten ein Meister vom Himmel gefallen …
An diesem Tag begannen wir damit, die Geschichten zu lesen, die von den Teilnehmern im Voraus eingeschickt worden waren. Den Reader, den uns die Bundesakademie geschickt hatte, hatten sowohl Andreas als auch ich gründlich durchgearbeitet. So konnten wir zu allen Texten sinnvolle Dinge sagen: er aus der Sicht des Autors, ich aus der Sicht des Redakteurs. Wir diskutierten Stil, Idee und Inhalt gleichermaßen, und von Text zu Text brachten sich die Teilnehmer aktiver in die Diskussionen ein.
Wir beschäftigten uns immer wieder an diesem Wochenende mit den Geschichten. Und am Ende der jeweiligen Seminartage saßen wir zusammen, tranken in lockerer Runde Wein, Bier, Wasser oder Säfte. Wir unterhielten uns an diesen Abenden lange und ausführlich über Verlagsarbeit und Schriftstellerkarriere, Politik und Science Fiction, Fußball und Musik, Gott und die Welt.
Danach war ich mir sicher: Mit Andreas Eschbach konnte ich wirklich sehr gut zusammenarbeiten. Jegliche Skepsis war verflogen. Vor allem am zweiten Tag wusste ich, dass er nicht nur ein Autor war, der mitreißend erzählen konnte, sondern auch ein Dozent, der wusste, wie man ein Seminar erfolgreich steuert.
Er stellte sich ans Flipchart und zeigte den Teilnehmern eine recht einfache Technik, mit der man Szenen gut vorbereiten konnte. Es war das sogenannte Clustern – heute steht es in jedem Autorenratgeber, damals war das noch recht neu –, das von manchen Autoren auch mit anderen Begriffen bezeichnet wird. Die Technik setzt auf die Kunst der Assoziation, deren Ergebnisse möglichst schnell aufgeschrieben werden sollen: Aus einem Begriff erwachsen Ketten von Wörtern, die sich wiederum zu neuen Begriffsgruppen ergänzen. Das Clustern kann so zu Ideen führen, auf die man beim »linearen Schreiben« nicht gekommen wäre.
Nicht nur die Teilnehmer waren verblüfft, auch ich sah verwundert zu, wie Andreas Eschbach diese Technik darstellte. »Daraus machen wir gleich eine Aufgabe«, kündigte er an. Jeder Teilnehmer arbeitete sich in das Thema ein, auch ich probierte es sofort aus. Es wurden Skizzen erarbeitet, erste Anfänge von neuen Kurzgeschichten – danach wurde alles vorgelesen.
Faszinierende Ergebnisse waren zu bewundern. Jeder in der Runde stellte fest: Man kann zwar ein Talent nicht lernen, man kann aber das Handwerk lernen, und man kann lernen, wie man bessere Ideen aufbaut.
Im weiteren Verlauf des Seminars nahmen wir diese Technik als Grundlage. Die Autorinnen und Autoren sollten selbst Geschichten erfinden, dabei setzten wir sie unter Zeitdruck. Wir zwangen sie zu absichtlich eingeschränkten Themen, was ebenfalls sehr interessante Effekte erzielte. Wie kann man die Landung eines Raumschiffes so darstellen, dass die Szene für den Leser danach sehr plastisch und nachvollziehbar wird? Auch Autoren, die sonst nicht so viel mit der technischen Science Fiction zu tun hatten, waren in der Lage, schöne Szenen zu erschaffen.
Das Wochenende verstrich in rasender Eile. Am Sonntagmittag, als wir uns trennten, war ich ziemlich müde. Sowohl die Teilnehmer als auch wir Dozenten reisten mit vielen neuen Eindrücken nach Hause. Ich war so erschöpft, dass ich den größten Teil der Bahnfahrt verschlief und nicht in der Lage war, in den Manuskripten zu lesen, die ich noch in der Tasche hatte.
An dieses erste Seminar mit Andreas Eschbach würde ich – das wurde mir bei der Rückfahrt klar – noch oft und lange zurückdenken …
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