Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Als ich am letzten Wochenende des Novembers 1998 in den Zug nach Norden stieg, wusste ich noch nicht, welche Auswirkungen diese Tage mit sich bringen sollten. Seit 1995 hatte ich als Dozent an einigen Seminaren an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel teilgenommen. Nach wie vor fühlte ich mich als Vortragender nicht gerade sattelfest, machte mich aber langsam mit der Rolle eines Menschen vertraut, der anderen Menschen sinnvolle Ratschläge zu ihrem Schreiben geben konnte.
Immerhin erfreuten sich die Seminare, bei denen ich zusammen mit Autoren wie Robert Feldhoff als Dozent auftrat, einiger Beliebtheit. Es gab genügend Science-Fiction-Fans, die mehr über das Dasein eines Schriftstellers erfahren wollten und deshalb den Weg nach Wolfenbüttel auf sich nahmen. Nachdem wir im Frühjahr 1998 zu viele Anmeldungen hatten, so dass dieses Seminar »überbucht war«, hatte die Akademie für den Herbst 1998 recht spontan ein zweites Seminar organisiert.
Das Besondere dabei: Ich würde dieses Mal mit einem Autor arbeiten, den ich noch nicht sehr gut kannte, von dem ich aber einige Romane gelesen hatte. Andreas Eschbach hatte sich mit vergleichsweise wenigen Texten einen sehr guten Namen in der Science Fiction gemacht. Mit »Die Haarteppichknüpfer« hatte er einen verblüffenden Erstling hingelegt, mit »Solarstation« war ein spannender Thriller gefolgt, und mit »Jesus Video« erwies er sich in diesem Jahr als Bestsellerautor, der auch über die Genre-Grenzen hinaus erfolgreich war.
Ich war entsprechend gespannt, hatte aber am Freitagmorgen, 27. November, erst noch die »normale Arbeit« zu erledigen. Weil ich am Vorabend mit den Fans in Braunschweig eine Besprechung hinter mich gebracht hatte, übernachtete ich in einem Hotel in der Innenstadt. Nach dem Frühstück checkte ich aus und setzte mich ins Hotelfoyer.
Dort begann ich mit der Lektüre eines weiteren Manuskriptes. Ernst Vlcek hatte den Band 1969 unserer Serie geliefert, dem er den Arbeitstitel »Grausame Götter« gegeben hatte. Den Titel fand ich gut, und ich mochte auch den Roman – die Handlung lieferte wertvolle Hintergründe zu den Algiotischen Wanderern und ihrer Geschichte. Ernst Vlcek, der das Volk der Tazolen als Exposéautor entwickelt hatte, konnte in diesem Manuskript viele Dinge erzählen, die er bislang nur in Notizen festgehalten hatte.
Die Lektüre fesselte mich. Ich hatte das Gefühl, dass Ernst Vlcek sich gut auf seine »Helden« eingestellt hatte. Seine Fähigkeit, phantastische Figuren durch ein spannendes Szenario zu jagen, kam bei diesem Text gut zur Geltung.
Ich trank Kaffee, machte Notizen in das Manuskript, verglich es gelegentlich mit dem Exposé und den bisherigen Daten. Passte alles zusammen, war es vielleicht nicht ein wenig zu düster und zu brutal? Unterm Strich war ich sehr zufrieden, die Leser würden eine gute Hintergrundgeschichte erhalten.
Danach nahm ich mir ein Manuskript vor, das ich erst im Verlauf der nächsten Tage zu Ende lesen wollte: Andreas Findig hatte mir den »Lausbiber-Alarm« geschickt, einen ersten Entwurf des geplanten »Gucky«-Kinderbuches, das er zusammen mit dem Zeichner Reinhard Habeck in unserem Verlag veröffentlichen wollte. Zumindest mit den ersten Seiten hatte ich viel Spaß – aber das Buch sollte ja nicht Erwachsene wie mich unterhalten, sondern vor allem Kinder ansprechen …
Mein Mittagessen nahm ich mit einigen der Braunschweiger Fans ein, dann ließ ich mich zum Bahnhof fahren. Mit der Bahn war ich innerhalb weniger Minuten in Wolfenbüttel, dort spazierte ich zum Gästehaus. Andreas Eschbach traf ebenfalls sehr früh ein. Wir bekamen unsere Zimmerschlüssel und bezogen die Räume, dann unterhielten wir uns über das anstehende Seminar.
Der Termin lag ein wenig ungünstig. Nachdem Dr. Hartmut Kasper mehrere Jahre lang die Seminare begleitet und betreut hatte, waren zwei Seminarleiter nacheinander gekommen und wieder gegangen. Im Herbst 1998 war niemand so richtig für den Bereich Literatur zuständig. Immerhin nahm sich Prof. Dr. Gotthard Frühsorge Zeit für uns. Der Direktor der Bundesakademie kümmerte sich normalerweise nicht um die Details einer Veranstaltung, ließ sich aber von uns erklären, was wir geplant hatten.
Andreas Eschbach und ich wurden durch die Büros geführten, die ich bislang nicht kannte, verabschiedeten uns dann von dem sehr freundlichen Direktor und setzten uns zusammen. Andreas war bei unserer Besprechung am Anfang zurückhaltend, im Verlauf der ersten Stunden stellte ich allerdings sehr schnell fest, dass er viel mehr Ahnung von Seminaren hatte als ich.
Während ich ein Seminar zu dieser Zeit noch sehr locker gestaltete, vor allem auf die Texte konzentriert, hatte er ein konkretes Konzept, mit dem er arbeitete. Ich kapierte es erst im Verlauf des Wochenendes: Der Autor hatte in seinem »früheren Leben« zahlreiche Seminare geleitet, und er wusste einfach, wie man es richtig macht. Wie sehr ich von seinen Erfahrungen und Kenntnissen profitieren sollte, ahnte ich damals noch nicht.
Wir wollten vor allem den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeigen, wie sie ihre Texte verbessern konnten. Ein großer Teil der Besucher war erneut an der Akademie. Von Mal zu Mal hatte sich bei den Seminaren eine intensive Arbeitsatmosphäre entwickelt, die meiner Ansicht dazu beitrug, dass sich die Texte verbesserten. Ich war optimistisch, dies auch im November 1998 erreichen zu können.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen