15 September 2016

Das erste Seminar mit Uwe Anton – Teil 2

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Unser erstes gemeinsames Seminar zur Science-Fiction-Kurzgeschichte bestritten Uwe Anton und ich im Dezember 1997. Wie so oft war auch diesmal die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel der Schauplatz unseres »Auftritts«. Und nachdem wir viele allgemeine Dinge behandelt oder vorher eingereichte Geschichten besprochen hatten, ging es endlich an die Details ...

Uwe AntonUwe Anton und ich  hatten festgestellt, dass die meisten Kurzgeschichten an einem Punkt krankten: am Anfang. Häufig besaßen sie eine gute Idee, die konsequent umgesetzt wurde, meist aber holperte es beim Einstieg. Unserer Ansicht nach sollte ein Leser bereits vom ersten Satz einer Kurzgeschichte gefesselt sein, denn nur dann würde er dabei bleiben.

»Wir müssen denen eine Schreibaufgabe stellen«, argumentierte Uwe. »Dann kann man an Beispielen klarmachen, was funktioniert.« Weil wir in punkto Seminaren noch recht unerfahren waren, griffen wir tief in die Trickkiste und stellten gleich drei Schreibaufgaben.

»Wählt jeweils einen humoristischen, einen spannenden und einen stimmungsvollen Anfang für eine fiktive Kurzgeschichte« – das waren die Aufgaben. Wir teilten uns in zwei Gruppen, in jeder Gruppe wurde geschrieben, und gleich hinterher wurden die Anfänge vorgelesen und diskutiert.

Das war vor allem für den Samstagmorgen ein sehr dichtes Programm. Überall saßen schreibende und über ihren Blocks schwitzende Autorinnen und Autoren. Notebooks hatte zu dieser Zeit noch niemand dabei, alle schrieben von Hand. Manche konnten hinterher auch nicht lesen, was sie zu Papier gebracht hatten – das gab den einen oder anderen Lacher.

Nach der Mittagspause wurden beide Gruppen zusammengeführt. Wir diskutierten die Ergebnisse im Plenum. Alle beteiligten sich rege an den Diskussionen. Einige Teilnehmer hatten Anfänge gefunden, die wir so faszinierend fanden, dass ich mir eine Fortsetzung der jeweiligen Geschichte wünschte. Teilweise wurden die Geschichten später zu Ende gebracht und auch in Fan-Zeitschriften sowie Anthologien veröffentlicht.

Nach der Mittagspause ging es um ein Thema, das in vielen Science-Fiction-Romanen zu kurz kommt: Wie vermittle ich meinen Lesern Informationen, ohne dass ich sie langweile? Typisches Beispiel: der Anflug auf einen Planeten. »Vermeidet Info-Ballungen«, argumentierte ich. »Vermittelt die Fakten mithilfe von Szenen und Dialogen, bringt keine langen Beschreibungen.«

Uwe entwickelte eine Reihe von Klein-Aufgaben. Die erste davon: »Schreibt einen Dialog, in dem sich der Bordcomputer und der Held eurer Geschichte unterhalten – vermittelt dabei die Information.« Die zweite war kniffliger: »Und jetzt schreiben wir einen Informationsblock – aber der muss lesbar und unterhaltsam sein.«

Beide Aufgaben hatten jeweils ihre eigene Schwierigkeit, die konnte aber stets gemeistert werden. Uwe gab zahlreiche Beispiele dafür, was man wie und wo verbessern konnte. Die Autorinnen und Autoren schrieben eifrig mit, ihre Manuskripte bedeckten sich mit Anmerkungen.

Danach kam das schwierigste: Wir eerarbeiteten gemeinsam ein Ideen-Exposé, nach dem alle eine Kurzgeschichte zu schreiben hatten. Wir diskutierten im Plenum recht lange, hangelten uns von Idee zu Idee, bis wir uns endlich auf eine Ausgangsbasis geeinigt hatten: 200 Jahre in der Zukunft gibt es so gut wie keine katholische Kirche mehr, die Welt wird von chinesischen und japanischen Kulturbegriffen beherrscht. In diesem Jahr landet ausgerechnet ein außerirdisches Raumschiff, und der Kapitän verlangt in lateinischer Sprache den Kaiser von Rom zu sprechen – die Außerirdischen waren zuletzt im Jahr 200 nach Christus auf der Erde.

Eigentlich empfand ich das als eine gute Idee, vor allem deshalb, weil nur ein völlig einflussloser Papst die Kommunikation mit den Aliens aufnehmen könnte ... leider kamen wir damit nicht zurecht, wir diskutierten jegliche Idee zu Tode.

Uwe Anton sprach irgendwann ein Machtwort. »Wir machen’s jetzt ganz einfach. Wir nehmen wieder die Raumstation von vorhin. Auf dieser gibt es einen Bereich für Nicht-Sauerstoffatmer. Und in diesem Bereich wird eine Leiche gefunden, die ist an einer Sauerstoffvergiftung gestorben. In der Kabine werden aber sonst keine Sauerstoffreste gefunden. Und jetzt muss ein Detektiv den Fall lösen.« Alles schluckte, alles starrte das Dozenten-Team voller Entsetzen an – aber wir blieben hart.

In zwei Arbeitsgruppen wurden mögliche Stories zu diesem Grundkonzept diskutiert. Das dauerte Stunden, vor allem deshalb, weil beide Gruppen zu verschiedenartigen Konzepten neigten. Gegen 22.30 Uhr abends wurden die zwei Konzepte diskutiert, danach waren aber auch alle erschöpft. Den Abend ließen wir bei reichlich Bier und Rotwein ausklingen. Kein Wunder, dass am Sonntag alle leicht übermüdet aussahen.

Am Sonntag ging es darum, aufgrund der diskutierten Exposés eigene Story-Anfänge zu schreiben, die hinterher diskutiert wurden. Zuletzt gab es für jeden Teilnehmer eine Hausaufgabe: Sie sollten die Geschichte zuhause fertigschreiben, daraus wollten wir später eine kleine Publikation zimmern. Mit dieser Hausaufgabe entließen wir die Autorinnen und Autoren in ihr Rest-Wochenende.

Uwe Anton und ich hatten noch eine letzte Besprechung, bevor wir auch abreisten. Wir waren beide reichlich erschöpft und nahmen uns vor, bei späteren Seminaren in Wolfenbüttel nicht zu viel Inhalt in ein Seminar zu packen.

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