Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«:
So umständlich hatte Robert Feldhoff
eigentlich nie zuvor ein Gespräch begonnen. »Ich würde dir gern eine
Idee vorschlagen, von der ich noch nicht so genau weiß, wie du sie
findest.« Er wirkte unschlüssig. »Aber wir haben ja jetzt die Zeit und
die Gelegenheit, das zu tun, also möchte ich zumindest mal darüber
reden.«
Wir waren auf dem Weg in den Aufenthaltsbereich der
Schünemannschen Mühle. Wir wollten einen Kaffee trinken, vielleicht auch
ein wenig reden. Dass Robert gleich so ernsthaft auf mich zukommen
würde, überraschte mich. »Leg los!«, forderte ich ihn auf, durch seine
wenigen Aussagen bereits stark interessiert.
Gemeinsam stiegen
wir die Treppe in den zweiten Stock hinauf, gingen bis ans Ende des
Flurs, balancierten dabei unsere gefüllten Kaffeetassen und ließen uns
in der Sitzecke nieder. Eigentlich könnten wir schön auf die Dächer von
Wolfenbüttel schauen, von unten rauschte der kleine Fluss herauf – aber
wir hatten beide keinen Blick dafür.
»Ich bin ja nicht so zufrieden mit der aktuellen Suche nach einem neuen Zyklus«, sagte Robert langsam.
Ich
wusste, was er meinte. Wir steckten in diesem Mai 1995 noch mitten in
der Arbeit zum laufenden Hamamesch-Zyklus, wussten aber gleichzeitig,
dass wir den Handlungszyklus ab Band 1800 vorbereiten mussten. Band 1800
war für den Februar 1996 geplant, und bisher gab es kein Konzept, das
alle überzeugte.
Bisherige Überlegungen der Exposéautoren Ernst Vlcek
und Robert Feldhoff waren von Dr. Florian F. Marzin, unserem damaligen
Chefredakteur, als unbrauchbar abgelehnt worden. Meinen Konzepten war es
ähnlich geschehen; mittlerweile war ich ziemlich frustriert, was meine
Ideen anging. Auf der anderen Seite gab es eine Idee des Chefredakteurs,
von der wir sicher waren, dass man sie umsetzen konnte, von der aber
niemand begeistert war.
»Wir haben ja den Mars ausgetauscht«, sagte Robert, »ohne zu wissen, was wir mit dem neuen Planeten anfangen wollten.«
Er
hatte völlig recht. Im Verlauf des Ayindi-Zyklus hatte sich der Mars zu
einer kristallisierten Welt entwickelt. Danach erst war er evakuiert
worden. In den Bänden darauf hatten die Menschen und die Ayindi den
Roten Planeten gegen Trokan ausgetauscht – eine Welt von der »anderen
Seite des Universums«.
Ich sprach intern immer vom »Neo-Mars«,
ein Begriff, den außer mir niemand benutzte; während Ernst Vlcek aus
»Kontra« immerhin das Wort »Trokan« gezaubert hatte. Aber wir hatten in
der Tat nicht die geringste Ahnung, was wir mit der neuen Welt machen
sollten, die jetzt um die Sonne kreiste.
»Wie wäre es denn«, so
überlegte Robert laut, »wenn wir Trokan in eine Art Zeitrafferfeld
hüllen würden?« Ich wirkte irritiert, und er brachte weitere Aspekte
seiner Idee vor. »In diesem Feld gibt es eine Evolution, die tierisch
schnell abläuft – und am Ende gibt es ein neues Volk im Sonnensystem.«
»Und was machen wir mit dem?«
Das
wusste Robert noch nicht, aber er argumentierte sowieso auf einer ganz
anderen Ebene. Mit einem völlig veränderten Trokan und einem neuen Volk
im Sonnensystem könnte man die Handlung ganz anders gestalten. Auf
einmal müssten die Terraner nicht mehr in die Fremde reisen, um neue
Abenteuer zu erleben – die Fremde komme gewissermaßen zu ihnen.
»Und wer weiß, was wir dann aus dem ganzen Thema entwickeln«, schloss er seine Argumentation.
Ich
fand die Idee gut, ich brachte wenig Einwände dagegen auf, sondern
schob eher Fragen nach. Welche Maschine sollte denn das machen, welcher
Hintergrund für das Zeitrafferfeld sollte es geben? Solche Details hatte
Robert tatsächlich noch nicht erarbeitet, ihm ging es um die »Eröffnung
eines neuen Spielfeldes«, um eine Erweiterung bisheriger Möglichkeiten.
Recht schnell diskutierten wir weiter, überlegten uns, welche
Reaktionen ein Perry Rhodan oder auch die Regierung der Liga Freier
Terraner zeigen würde; das Gespräch ging nicht lang, schaukelte sich
aber schnell zu einer Art Brainstorming auf. Robert notierte nur wenig,
das machte er sowieso selten, aber ich sah ihm an, wie es in ihm
arbeitete.
Auf einmal hörten wir Schritte, die näherkamen. Unser
Gespräch verstummte sofort, wir wandten die Köpfe. Es war Dr. Hartmut
Kasper, der literarische Leiter der Bundesakademie, und wir wollten
selbstverständlich nicht, dass er als Außenstehender mitbekam, über
welche Themen wir sprachen. Immerhin war er Germanist und kein
Schriftsteller, und hätte man uns zu diesem Zeitpunkt gesagt, dass er ab
2013 unter seinem Pseudonym Wim Vandemaan selbst PERRY RHODAN-Exposéautor sein würde, hätten wir das keine Sekunde lang geglaubt.
»Es geht weiter«, sagt er in seiner sanften Art. »Die Teilnehmer warten.«
Wir
waren zum ersten Mal an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in
Wolfenbüttel, Robert Feldhoff und ich waren zum ersten Mal als Dozenten
an einem Seminar, alles war neu für uns. Es leuchtete ein, dass wir die
Autorinnen und Autoren, die ebenfalls zum ersten Mal an einer solchen
Veranstaltung teilnahmen, nicht zu lange warten lassen wollten. Es war
der Samstagmorgen, wir hatten den Leuten eine erste kurze Schreibaufgabe
gestellt und waren sehr gespannt darauf, welche Ergebnisse sie uns
präsentieren würden.
Robert und ich wechselten einen Blick. Es
geht weiter, hieß das. Wir sahen ein, dass wir wieder in den Seminarraum
mussten, um uns dem Seminar zu widmen.
»Sie haben nach der
Mittagspause noch eine Weile Zeit«, fügte Hartmut Kasper hinzu. »Da
können Sie sich garantiert weiter besprechen.«
Wir nickten beide.
Die Idee war gut – und an diesem Wochenende wollten wir daran
weiterknobeln. Vielleicht konnten wir ein Konzept entwickeln, das sogar
Dr. Florian F. Marzin überzeugen konnte ...
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