Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Wie sollten wir uns verhalten, was sollten wir tun? Es war Freitag, der 14. Juni 1996, und im Büro der PERRY RHODAN-Redaktion fühlte ich mich wie im Belagerungszustand. Ich spürte geradezu, wie sich in den Arbeitszimmern rechts und links eine Stimmung breitgemacht hatte, die nicht gerade positiv war.
Im Verlauf der vergangenen zwölf Monate hatte sich der Flur immer mehr »geleert«. Die Räumlichkeiten, die der Buchverlag bei seinem jüngsten Umzug eingenommen hatte, hatten sich deutlich reduziert. Anfangs hatten der Moewig-Verlag sowie seine Imprints – also Neff oder Zsolnay – den ganzen Flur belegt. Nun aber standen einige Räume leer.
Sabine Bretzinger und ich hatten das schöne Büro in der hintersten Ecke geräumt und waren wieder einmal umgezogen: zum dritten Mal in nur drei Jahren. Nun saßen wir in dem Büro, das wir in der Folge mehr als zwei Jahrzehnte für PERRY RHODAN nutzen sollten: mitten im Flur, nahe des Eingangs und mit direktem Blick auf die Druckerei. Ein Grund dafür, dass sich gut die Hälfte der Büros geleert hatten, war die Tatsache, dass die Verlagsunion Pabel-Moewig »geschrumpft« worden war.
So hatte man beispielsweise den Zsolnay-Verlag und andere Bestandteile der Verlagsgruppe »abgestoßen«, die man einige Jahre zuvor erst gekauft hatte. Man wollte sich auf das Kerngeschäft konzentrieren, was immer das genau bedeuten sollte. Dazu zählten auf jeden Fall die erfolgreichen Kochbücher der Reihen »Dr. Oetker« sowie »kochen und genießen«, ebenso natürlich PERRY RHODAN.
An diesem Freitag stand das Sommerfest des Buchverlages an. Sabine und ich hatten im Dezember das Weihnachtsfest »geschwänzt«, was uns von der Verlagsleitung negativ angekreidet worden war. Man hatte von »mangelndem Vertrauen« geredet, jeder von uns war zu Einzelgesprächen zitiert worden.
Allerdings hatte ich nicht die geringste Lust auf das Sommerfest, trotz der Vorbereitungen im Hof des Verlages. Wir vernahmen sie in unserem Büro laut und deutlich – die Fenster standen offen, und ich hörte, wie Tische und Stühle aufgestellt wurden.
Dabei klang die Einladung so freundlich. Zwar war die Feier für den gesamten Verlag gedacht, die »Mitarbeiter des Bereiches Buch« waren aber bereits am 28. Mai durch ein »Memo« auf das Fest aufmerksam gemacht worden. »Da wir nur alle Jubeljahre einmal ein so großes Sommerfest bei VPM veranstalten, freue ich mich, wenn alle Mitarbeiter des Bereiches Buch am Freitag, den 14. Juni 1996 mindestens bis 18.30 h anwesend sind.« (Der Kommafehler stand so auch im »Memo«.)
Sabine und ich saßen uns an unserem Doppelschreibtisch gegenüber. »Es ist eine dienstliche Anweisung«, sagte Sabine, mit der ich »Kriegsrat« hielt. »Wenn wir diesmal wieder nicht auftauchen, kann man uns sogar eine Abmahnung verpassen.« Sie wiegte den Kopf. »Wir sollten hingehen, bis halb sieben unsere Zeit absitzen und dann gehen.«
Ich sah mir die Einladung noch einmal an. »Wir müssen eigentlich nur bis halb sieben im Verlag bleiben«, sagte ich. »Mehr wird nicht verlangt.« Laut las ich vor: »Sollte wider Erwarten jemand dringend vor 18.30 Uhr gehen müssen, so wird er mir sicherlich in einem persönlichen Gespräch – eine Woche vorher – seine Gründe ausführlich darlegen.« Ich lachte. »Das nehme ich nicht ernst.«
Sie konterte und las den abschließenden Satz vor: »Ansonsten ist dies eine einmalige Gelegenheit, das Angenehme mit der Pflicht zu verbinden.« Sie grinste. »Ich gehe hin, ich esse und trinke, ich unterhalte mich mit den Kollegen, und dann gehe ich heim. Keine Minute länger.«
Ich nickte. »Gut. Ich bleibe im Büro und arbeite. Das kann mir niemand verbieten.«
Genauso verhielten wir uns. Sabine blieb so lange wie möglich im Büro und arbeitete an einigen der Nachauflagen. Für die dritte und die fünfte Auflage mussten Umschläge definiert und teilweise neue Texte geschrieben werden; wenn sie das am Freitag erledigte, konnten am Montagmorgen die Kollegen in der Setzerei bereits sehr früh mit ihrer Arbeit weitermachen. Danach ging sie zum Sommerfest.
Ich las in einem aktuellen Manuskript, schrieb einen neuen Vorspann für einen Heftroman und räumte ein wenig auf. Aus den Büros rechts und links von mir standen die Kolleginnen und Kollegen auf. Ich hörte, wie sie ihre Zimmer verschlossen, dann war ich allein in den Räumlichkeiten des Buchverlages.
Zu tun hatte ich genug. Ich telefonierte lange mit Robert Feldhoff und besprach mit ihm aktuelle Exposés. Er hatte neue Ideen, was den Fortgang des THOREGON-Zyklus anging, die fand ich wichtig und interessant.
Nachdem ich aufgelegt hatte, nervte mich die Musik, die durch die geschlossene Tür in mein Büro drang. Ich steckte eine Musik-Kassette in den Kassetten-Rekorder, der bei uns im Büro stand, und beschallte meinen Arbeitsplatz mit sehr krachigen und lauten Tönen. Damit hörte ich nichts mehr von außen.
Ich blieb am Computer sitzen und schrieb Texte, dazu einige Briefe an freie Mitarbeiter. Darüber hinaus arbeitete ich an einem Ideenpapier weiter, das ich vor einigen Tagen angefangen hatte. Als ich mit allem fertig war, hatten wir genau 18.30 Uhr.
Wie an jedem normalen Arbeitstag fuhr ich den Computer hinunter, packte meinen Kram, verließ mein Büro und schloss es ab. Im Hof des Verlages saßen viele Kolleginnen und Kollegen an den Biertischen; sie aßen und tranken. Der damalige Verlagsleiter registrierte mich, das war das Wichtigste. Ich blickte auf meine Armbanduhr, überzeugte mich davon, dass es bereits nach 18.30 Uhr war, und ging, ohne mit jemandem zu reden oder etwas zu essen und zu trinken.
Niemand sprach mich übrigens jemals auf mein Verhalten an diesem Tag an.
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