Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Der WeltCon in Saarbrücken sollte am Sonntag, 7. September 1986, mit
einem sogenannten Happening ausklingen. Die Fans konnten sich darunter
nicht so viel vorstellen, und ich wusste auch nicht, woher dieser
Begriff eigentlich kam. Den Abschluss eines großen Cons bezeichnete man
bei internationalen Veranstaltungen dieser Art als »Closing Ceremony«.
Wahrscheinlich wollte man in Saarbrücken einen anderen Weg einschlagen.
Als
junger Verlagsangestellter war ich an diesem Nachmittag noch einmal in
verschiedenen Räumlichkeiten unterwegs. Journalisten mussten informiert,
Autoren zu ihren Programmpunkten geleitet werden. Wenn ich
zwischendurch Luft hatte, plauderte ich mit Fans – viele davon kannte
ich schließlich seit Jahren – und sorgte dafür, dass die
»Backstage«-Räume langsam ausgeräumt wurden.
Leider konnte ich mit Oliver Scholl
nur wenige Worte wechseln. Der Risszeichner hatte im Verlauf des
Wochenendes ein Bild erstellt: mit feinen Spraydosen auf einer großen
Wand. Immer wieder waren Besucher stehen geblieben, hatten ihm
zugeschaut und mit ihm gesprochen. Bei mir hatte es nur zu einem »hallo«
und unverbindlichem Geplänkel gereicht, weil ich ständig unterwegs
gewesen war. Nun war der Zeichner am Ende, und bevor wir – wie geplant –
richtig miteinander reden konnten, verlor ich ihn aus den Augen.
(Wir
sahen uns danach einige Jahre lang nicht mehr. Oliver Scholl zog
bekanntlich nach Kalifornien, arbeitete anfangs für einen gewissen
Roland Emmerich und später für praktisch alle großen Produzenten in
Hollywood. Wir trafen uns erst in den frühen Nullerjahren wieder.)
Als
das Happening begann, stand ich im Saal, nicht hinter der Bühne. Neben
mir stand eine junge Grafikerin, die viel für die optische Gestaltung
des WeltCons getan hatte. So bekam ich die Fan-Perspektive mit und hatte
nicht den »offiziellen« Blick auf das Geschehen.
Immerhin war der
Saal voll, die meisten Besucher blieben bis zum Ende der Veranstaltung
und reisten nicht früh ab. Weil viele ihr Gepäck mit sich führten,
standen und lagen viele Taschen unter den Stühlen und entlang der Wände.
Noch
einmal trat die holländische Band SENSUS auf. Der PERRY RHODAN-Song kam
gut an, aber es gab erste Pfiffe, weil die Band für den Geschmack
mancher Con-Besucher viel zu lange brauchte. Die Unmutsäußerungen in
meiner Nähe waren eindeutig.
Vielleicht war der Witz für manche
auch schon vorbei: Ich wusste, dass viele PERRY RHODAN-Leser auf »ganz
normale« Rockmusik standen und sie mit der Synthesizer-Musik der
Holländer nicht viel anfangen konnten. Beim ersten Auftritt hatte man
den Sound toleriert, vor allem wohl, weil die Melodie »unseres« Liedes
so gut ins Ohr ging – beim zweiten Mal hatte man keine Lust mehr darauf.
Danach
wallte erneut Trockeneisnebel über die Bühne, bevor Linda Ivanus-König
mit dem Mikrofon nach vorne trat, gekleidet in einen silberglänzenden
Anzug, den sie extra für die Veranstaltung hatte herstellen lassen,
bunte Farbsträhnen im Haar, »auf Science Fiction gestylt«. Sie begann
ihre Rede mit »Dreizehn waren nicht da«. Angeblich hätten 4987 Fans den
Con besucht, und es hätten nur dreizehn Personen gefehlt, um die 5000
voll zu machen.
Der Saal tobte vor Begeisterung. Ich war
einigermaßen verwundert, weil ich die Zahl für deutlich zu hochgegriffen
hielt. Wie viele Besucher in der Saarlandhalle waren, wusste ich nicht;
mehr als 3000 Personen passten aber nicht auf die Stühle. Ich
verdrängte die Zahl und schob sie auf »gutes Marketing«, während rings
um mich applaudiert wurde.
Dann holte Linda Ivanus-König die
Ehrengäste auf die Bühne. Für jeden Autor erklang noch einmal Applaus,
ebenso bei Johnny Bruck und den Risszeichnern, bei den anderen
Ehrengästen. Blumen wurden verteilt, Autoren umarmt, es war eine schöne
Zeremonie. Sie holte die Helfer nach vorne, die Verlagsangestellten. Am
Ende stand die Bühne voller Autoren und Helfer, umwabert vom
Trockeneisnebel.
Nur einen Mitwirkenden vergaß die Veranstalterin –
das war ich. Die ganze Zeit hatte ich mich darauf gefreut, auch auf die
Bühne zu dürfen, um »meinen« Applaus in Empfang zu nehmen, aber diese
Aufforderung kam nicht.
Ich stand zwischen den Fans, die von
meiner Bestürzung nichts mitbekamen, und fühlte mich wie betäubt. Ich
war 22 Jahre alt, las seit neun Jahren PERRY RHODAN und hatte mich für
den WeltCon stark ins Zeug gelegt. Und jetzt wurde mir nicht einmal
öffentlich dafür gedankt. Es kam mir vor, als hätte ich eine schallende
Ohrfeige erhalten.
Die Grafikerin stieß mich an. »Hey, sie hat
mich auch vergessen«, sagte sie und lachte. Ihr war es nicht wichtig,
mir schon, aber ihre gute Laune steckte mich an, und ich kam in bessere
Stimmung.
Den Rest des Happenings bekam ich nicht mehr mit, ich
musste wieder arbeiten. Noch während die Gäste auf der Bühne ihren
Schlussapplaus erhielten, verließen die Fans in Scharen die Halle. Vor
der Tür standen bereits die Busse, die sie zum Bahnhof bringen würden –
von dort ging ein Sonderzug nach Mannheim, und von Mannheim aus würden
sich die bahnreisenden Besucher des WeltCons auf den Heimweg begeben.
Irgendwann
war die Halle leer. Wir räumten auf, was wegzuräumen war; ich packte
vor allem das Material aus dem Pressezentrum ein und stellte die Kisten
auf irgendwelche Paletten. Arbeiter der Saarlandhalle machten sich
daran, die Dekoration der Bühne abzubauen. Sie würden die künstliche
Planetenlandschaft einfach einreißen und in den Müll werfen. Das fand
ich schade, aber es war nicht zu ändern.
Zum gemeinsamen
Abendessen fanden wir uns später im Restaurant der Saarlandhalle ein.
Der Direktor der Halle hielt eine Rede, in der er sich für die
hervorragende Zusammenarbeit bedankte. Linda Ivanus-König hielt
ebenfalls eine Rede, in der sie sich vor allem bei ihm bedankte. Ich saß
zwischen den Helfern, trank eine Apfelschorle nach der anderen und
applaudierte brav.
Nach ihrer Ansprache kam Linda Ivanus-König zu
mir und sprach mich an. Sie habe mich vergessen, es sei ihr sehr
peinlich, aber sie habe mich nicht gesehen, und deshalb solle ich es ihr
nicht übel nehmen, dass sie mich nicht auf die Bühne gerufen habe. Sie
nahm mich in den Arm und drückte mich, und dann war ich doch zufrieden.
Der
Rest des Abends verlief fröhlich. Ich unterhielt mich mit Fans und
Autoren, wir ließen den WeltCon noch einmal Revue passieren. Und wir
waren uns alle sicher: Zum 25 Jahren PERRY RHODAN hatten wir eine
wunderbare Veranstaltung geschaffen.
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