19 Juli 2013

Robert informiert über den Schattenspiegel

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Im Februar 2002 verschickte Robert Feldhoff ein umfangreiches Schreiben an die Autoren, die an dem geplanten PERRY RHODAN-Zyklus mitwirken sollten, den wir für Heyne konzipierten. Vor allem ging es um die Arbeitsweise, auf die wir die Kollegen einschwören mussten. »Die müssen im Voraus kapieren, dass wir völlig anders arbeiten müssen«, sagte er mir im Vorfeld. »Sonst gehen wir im Terminchaos unter.«

Seine Argumentation: »Der Inhalt des sechsbändigen Zyklus entspricht dem eines ›durchschnittlichen‹« PERRY RHODAN-Hunderterzyklus. Dies bedeutet, wir haben viel weniger Platz, viel weniger Regelung, aber dieselben inhaltlichen Probleme, für deren Lösung sonst hundert Bände bleiben.«

Für ihn als Exposéautor sei es »logischerweise unmöglich, auch nur annähernd denselben Aufwand in die Exposés zu investieren wie in hundert Bände Heftexposés«. Sowohl aus terminlichen wie auch aus honorartechnischen Gründen seien »die Grenzen enger gesteckt«. Alle Autoren sollten sich deshalb von dem Gedanken verabschieden, »wasserdichte Exposés« zu erhalten. Dafür seien weder die Zeit noch der Aufwand, der investiert werden kann, in irgendeiner Weise vorhanden.

Inhaltliche Schwächen bei den Exposés müsste der Autor ausgleichen; gleichzeitig benötige er innerhalb »seines« Themas möglichst weitreichende Freiheiten. Seine Exposés, so Robert Feldhoff, skizzierten zwar auch einen fertigen Roman. Der »erzählerischen Balance« widme er allerdings so gut wie keinen Platz – das sei Aufgabe des Autors. Letztlich musste ein Autor einen anderen Spannungsbogen erzielen; die Taschenbücher hatten etwa den dreifachen Umfang eines Heftromans, und das bedingte eine ganz andere Art der Erzählung.

Zudem mussten wir auf einen Wunsch des Heyne-Verlags eingehen. Da die Taschenbücher letztlich einzeln in den Buchhandlungen stehen würden, mussten sie auch stärker als »abgeschlossen« gelten. Wir mussten also einerseits eine komplexe Serie schaffen, diese aber andererseits so »herunterbrechen«, dass sie in sechs kleinen Einheiten jeweils selbständig funktionierte.

Robert Feldhoff dazu: »Die im Heftbereich übliche enge Verzahnung aller Romane ist in der Heyne-Edition weder möglich noch erwünscht.« Und: »Anders als für den Heftroman wurde auf Verknüpfungen zwischen den Bänden ein geringeres Gewicht gelegt. Jegliche zusätzliche Verknüpfung der Handlung bedingt für den Einzelautor eine geringere Freiheit und dickere Exposés.«

Das hieß beispielsweise, dass sich eben nicht jedes Handlungselement über mehrere Romane hinweg entwickeln ließ. »Figuren, die der einzelne Autor entwickelt oder die das Exposé ihm zur Verfügung stellt, sind nicht verbindlich Inventar der Folgebände.« Es sei unsinnig, wenn jeder Autor »einen Rattenschwanz an Inventar« mit sich schleppen müsse – jeder solle seine eigenen Schwerpunkte bilden.

Robert ermunterte die Kollegen dazu, Figuren in Eigenregie zu entwickeln. Aber sie sollten »notwendigerweise mit dem Ende des eigenen Romans aus der Handlung heraus sein«, damit es die Folgebände nicht belasten würde. Die Charaktere, die in allen sechs Romanen auftauchen sollten, wurden von Robert in den Exposés angelegt, für sie gab es umfangreiche Datenblätter – und spätestens hier wurde durch die ausgedehnte Einzeldiskussion der Autoren vieles verändert.

»Verzahnungen«, die weder im Exposé noch in den Datenblättern standen, entwickelten die Autoren gemeinsam in den vielen Mails, die sie über die Mailing-Gruppe austauschten. Einzelne Figuren bekamen mehr Tiefe, einige Konflikte wurden in den meisten Taschenbüchern behandelt.

Das widersprach nur vordergründig dem Arbeitspapier von Robert Feldhoff: Der Exposéautor stellte eine »Regel« auf, die von den Autoren gebrochen werden musste – aber eben das war auch im Voraus völlig klar.

Ihm war bewusst, dass ein »Exposé maximal Anregungen« geben könnte. Die Autoren sollten sich weitere Elemente selbst ausdenken: »Es ist insbesondere notwendig, emotionale Geschichten mit befriedigendem Abschluss und befriedigender Dramaturgie in jedem Band hinzuzuerfinden, z.B. Liebesgeschichte mit Happy-End, ohne oder mit Opfertod, Mord aus Eifersucht, unter Menschen oder Nichtmenschen ...«

Worauf der Exposéautor ebenfalls hinwies: Die Autoren sollten nicht mit zu viel Hintergrundwissen arbeiten. Zielgruppe der Taschenbücher seien nicht die PERRY RHODAN-Experten, sondern vielmehr Science-Fiction-Fans im weitesten Sinne. Deshalb sollten die zahllosen Geheimnisse der Galaxis Andromeda nicht im Verlauf dieser Taschenbuchserie aufgeklärt werden.

Robert Feldhoff argumentierte klar: »Jeder Autor sollte bedenken, wenn er zu sehr auf PERRY-Insiderwissen setzt, kostet er den Autor des Nachfolgebandes Leser.« Allerdings war ihm auch bewusst, dass er keine feste Regel aufstellte: »Die letzte Entscheidung über seinen Inhalt trifft der Autor, nicht dieses Konzept!«

Klammheimlich hatten wir ja einen klaren Plan, den wir den Kollegen bei Heyne nicht erzählt hatten: Mit den »Schattenspiegel«-Romanen zielten wir auf Leser, die Spannungsliteratur im Allgemeinen und Science Fiction im Besonderen liebten, bisher von PERRY RHODAN aber aus unterschiedlichen Gründen die Finger gelassen hatten; ebenso hatten wir jene Leser im Visier, die früher PERRY RHODAN gelesen hatten, das aber seit vielen Jahren nicht mehr taten.

Deshalb sollten sich die ersten Bände des Zyklus vor allem an neue Leser wenden. Im Verlauf des Zyklus sollten diese Leser aber so weit in das Perryversum hineinschauen, dass sie idealerweise dann anschließend auch Heftromane kaufen würden.

Ob das funktionieren würde? Wir wussten es nicht. Aber im Februar 2002 gab sich Robert Feldhoff alle Mühe, dieses Ziel mit seinem Rundschreiben stärker anzustreben.

Keine Kommentare: