Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
In den 80er-Jahren hatte ich einige Male eine Station in Braunschweig eingelegt; für junge Leute, die aus dem Süden von Westdeutschland per Anhalter nach Berlin reisen wollten, war die Stadt ein willkommener Zwischenstopp. Es sollte aber bis Ende der 90er-Jahre dauern, bis ich wieder einmal in Braunschweig übernachtete.
Am Donnerstagmorgen, 26. November 1998, setzte ich mich in den Zug nach Norden. Eigentlich wollte ich das Wochenende in Wolfenbüttel verbringen. An der dortigen Bundesakademie für kulturelle Bildung war ich im dritten Jahr als einer der Dozenten für den Bereich Science Fiction zuständig; ich wollte diesmal zusammen mit Andreas Eschbach ein Seminar für angehende Romanautoren leiten.
Der Aufenthalt in Braunschweig hatte damit allerdings nichts zu tun, hatte sich aber ergeben, weil ich in dieser Stadt ohnehin Station machen musste. Damit sich die Reise lohnte, hatte ich mir einiges als Lektüre eingepackt.
Unter anderem zählte ein aktuelles PERRY RHODAN-Manuskript dazu. Horst Hoffmann hatte Band 1964 geliefert, den wir unter dem Titel »Ein weißer Haluter« veröffentlichen wollten. Der Autor schrieb nach einem Exposé von Robert Feldhoff, der ihm damit die Chance eröffnete, eine neue Hauptfigur für unsere Serie vorzustellen. Gemeint war Blo Rakane, ein halutischer Wissenschaftler. Das gelang dem Autor sehr gut, mir gefiel das Manuskript, und ich musste mich geradezu zwingen, es immer wieder zur Seite zu legen.
Schließlich hatte ich auch anderes zu lesen. Wichtig war der Stapel von Kurzgeschichten, der zu einem sogenannten Reader aufgebunden worden war. Solche Reader stellte die Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel stets zusammen, sie gingen an alle Seminarteilnehmer, natürlich auch an die Dozenten. Die Teilnehmer mussten für ein solches Seminar im Voraus je eine Kurzgeschichte einreichen. Von diesen wurden Kopien erstellt und in einen dicken Band gepackt.
Für mich war das eine wichtige Vorbereitung. Ich hatte so die Gelegenheit, mich mit der Arbeit der Autorinnen und Autoren vertraut zu machen, auf die ich ab Freitag stoßen würde. Wie immer machte ich zahlreiche Notizen in den Texten, kringelte Wortwiederholungen ein oder unterstrich Formulierungen, die ich gut fand und im Seminar loben wollte. Mit allen Texten war ich tatsächlich durch, als ich Braunschweig erreichte.
Die Bahn war pünktlich. Ich wurde am Vorplatz des Bahnhofs abgeholt und zu einem klassisch wirkenden Hotel gebracht. Das erhob sich in der Innenstadt, die einen schönen Kontrast zum eher hässlichen Bahnhof bildete, und war ganz in der Nähe des Jugendzentrums – in diesem wollten die Braunschweiger Fans im Folgejahr einen großen Con organisieren. Ich checkte ein, ruhte mich ein wenig aus und setzte mich abends mit den potenziellen Con-Veranstaltern zusammen.
Die meisten von ihnen kannte ich schon. Sie waren jahrelang in Vereinigungen wie »Perry’s Video Club« aktiv gewesen, der bei zahlreichen Cons gefilmt hatte, und waren mittlerweile im Förderverein Phantastika Raum & Zeit e.V. organisiert. Das Ziel war klar: Im Frühjahr 1999 sollte der ThoreCon in Braunschweig organisiert werden, ein großer Con in Zusammenarbeit mit der PERRY RHODAN-Redaktion und anderen Fan-Gruppierungen.
Zu der Zeit folgten wir noch einer Devise, die ich einige Jahre zuvor ausgegeben hatte. Ich hatte – nachdem man unsere Pläne für einen WeltCon im Jahr 1996 abgelehnt hatte – vorgeschlagen, »viele Sinzigs« zu schaffen. Die PERRY RHODAN-Tage in Sinzig, die mir sehr gut gefallen hatten, sollten als Vorbild für andere Fan-Veranstaltungen dienen, idealerweise in der ganzen Republik verteilt.
Ich fand die Vorstellung sehr gut, dass es auch in Norddeutschland mehr Cons geben sollte. »Die meisten PERRY RHODAN-Cons sind im Süden«, war mir nicht nur einmal vorgeworfen worden. Braunschweig lag weit genug im Norden, so vermutete zumindest ich, damit auch Fans beispielsweise aus Hamburg oder Bremen anreisen konnten.
Der Abend verlief sehr angenehm, wir hatten viel zu lachen. Wir diskutierten über mögliche Programmpunkte bei einem solchen Con und mit wie vielen Besuchern wir zu rechnen hatten. Ich versprach, auf den Seiten der PERRY RHODAN-Romane ordentlich Werbung zu machen und auch das – immer noch frische – Internet dafür einzusetzen. Der Con sollte schließlich ordentlich besucht werden, einige hundert Besucher wären mir lieb gewesen.
Doch wieso sollten Fans ausgerechnet nach Braunschweig fahren? Meinen Vorschlag hatte ich im Vorfeld bereits geäußert: »Wir veranstalten die Autorenkonferenz in Braunschweig. Es gibt kein Gesetz, dass die immer in Rastatt sein muss. Und wenn die Autoren eh schon da sind, bleiben sie am nächsten Tag einfach beim ThoreCon anwesend.« Auf einen Schlag hätten die Veranstalter die höchstmögliche Menge an aktuellen PERRY RHODAN-Autoren bei ihrem Con. Und sie müssten keinerlei Fahrtkosten für die Ehrengäste tragen …
Den Plan fanden nach wie vor alle gut. Wir diskutierten darüber, wie wir das alles sinnvoll bewerkstelligen würden, und nach einiger Zeit waren wir alle in einer sehr beschwingten Stimmung.
Es wurde ein sehr später Abend, an dem vor allem zu vorgerückter Stunde sehr viel Alkohol getrunken wurde. Kein Wunder, dass fast alle Beteiligten sich hinterher nicht mehr an alle Details erinnern konnten …
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