Aus der Reihe »Der Redakteur erinnert sich«
Als ich am 22. August 1995 versuchte, ein Protokoll zu schreiben,
merkte ich, wie schnell ich an meine Grenzen stieß. Ich wollte die
abgelaufene Exposékonferenz zusammenfassen, und bei manchen meiner
handschriftlichen Notizen wusste ich schon nach einem Tag nicht mehr
genau, wie ich sie verschriftlichen sollte.
Ernst Vlcek und Robert Feldhoff
als Exposéautoren sowie ich als Redakteur hatten zum ersten Mal ohne
Dr. Florian F. Marzin die Handlung für einen neuen Zyklus entworfen. Wir
hatten viele der Ideen übernommen, die mir Robert bereits im Frühjahr
in Wolfenbüttel erzählt hatte. Noch steckten wir im »Hamamesch«-Zyklus,
doch es stand Band 1800 vor der Tür, zu dem wir einen ganz neuen Zyklus
eröffnen wollten.
Wir hatten die Protokolle vorheriger Exposébesprechungen betrachtet
und uns entschlossen, die bisherigen Gedanken zu dem geplanten
»Cortez«-Zyklus – so der Arbeitstitel – großmaßstäblich über Bord zu
werfen. Dieses Konzept hatte vor allem auf den Wünschen unseres
Chefredakteurs aufgebaut und war teilweise in einem Zweiergespräch
zwischen Ernst und Florian entstanden.
Allerdings sahen wir uns in der Pflicht, nachträglich zu einigen von
Florians Vorschlägen zu stehen. Aus diesem Grund tauchte immer noch der
Begriff »Cortez« in meinem Protokoll auf, der Arbeitsbegriff für die
»neuen« Außerirdischen. Wir hatten uns bei vorherigen Besprechungen
keine Gedanken darüber gemacht, wie die »Cortez« aussehen sollten. Das
sollte nun besser werden, das war unser erklärtes Ziel.
Immerhin hatten wir klar getrennt, wer sich um welche Handlungsebene
kümmern würde. Robert Feldhoff würde das gesamte »Thoregon«-Thema
vorantreiben, die Geschichte um das Zeitrafferfeld und die Erde, aber
auch um die Reise, die Perry Rhodan unternehmen sollte. Ernst Vlcek
wollte als Schwerpunkt von der Invasion erzählen, die in der Milchstraße
für große Unruhe sorgen sollte – immerhin war er an den ersten
»Cortez«-Überlegungen beteiligt gewesen.
Aber das Durcheinander aus alten und neuen Ideen sowie aus einem
Konzept, das weder die Autoren noch ich gemocht hatten, und Roberts
»Zeitraffer«-Idee hatte sich in einem chaotischen Aufschrieb
niedergeschlagen. Mir war schon klar, dass wir das Ergebnis unserer
Besprechung noch einmal ändern würden, als ich damit begann, alles
»sauber zu schreiben«. Manches passte einfach nicht zusammen.
In meinem Protokoll fand sich immerhin eine Zwischen-Überschrift mit
dem schönen Titel »Die Cortez – Zucht und Hege«. Unter diesem Begriff
hatten wir ein Konzept für die Invasion zusammengestellt, die den
Völkern der Milchstraße drohen sollte. Später sollten daraus die
verschiedenen Völker der Tolkander werden; im August 1995 dachten wir
noch nicht so weit.
Wir wussten auch nicht, wie Perry Rhodan und seine Gefährten dieser
Gefahr eigentlich Herr werden sollten. Wir waren zu dieser Zeit gerade
so weit, dass wir vorhatten, die Aktivatorträger von der Menschheit zu
trennen. Mit Camelot und der GILGAMESCH – auch das ein Entwurf von
Florian – hatten wir Eckpunkte festgelegt, auf denen wir aufbauen
konnten. Aber was sollte aus den »Cortez« noch alles entstehen?
»Ausgangspunkt für die Entwicklung sind die Eier«, schrieb ich im
Protokoll. »Aus denen entwickeln sich eigentlich nur zwei
Hauptrichtungen; die eine nennen wir die Philosophen, die ANDEREN sind
Arbeiter, Krieger, Erkunder, Techniker etc.« Die Aufgabe der ANDEREN
sei, »die Mutterwerdung der Philosophen zu unterstützen«. Während die
Philosophen bei der Geburt sterben sollten, würden die ANDEREN
weiterleben.
Das Vorgehen der Cortez-Truppen formulierte ich in meinem Protokoll
folgendermaßen: »Die Krieger riegeln teilweise durchaus unbewohnte
Planeten ab, mit ganz massiven Kräften. Darauf bauen die Techniker die
Brutstätten. Die ›Heiligen Wesen‹ werden von den Kriegern und Technikern
sehnsuchtsvoll erwartet.«
Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nichts über die »Heiligen«, das war
ein Begriff, der sich mir aus meinen Notizen kaum erschloss. Sie sollten
die Eier bringen und eine Art von intelligenten Beutelwesen sein.
Wenn aus den Eiern dann ANDERE schlüpfen würden, sollten diese
»gleich in die normale Kultur integriert« werden. Ganz anders die
Philosophen: Wenn sie schlüpfen, sollten sie sofort auf einen fremden
Planeten teleportieren, wo sie dann zu einer neuen Mutter werden
könnten. Man müsste sie also »theoretisch nur finden und ausschalten, um
die ganze Cortez-Kultur zu erledigen«, notierte ich.
Weiter schrieb ich auf: »Die Philosophen benötigen für ihre
Mutterwerdung bewohnte Planeten, als eine Art von Resonanzboden von
Milliarden intelligenter Wesen.« Dieser Resonanzboden sollte – in den
Gehirnen der Philosophen quasi – eine »Art Mini-Universum« bilden. In
diesem wiederum sollte die Mutter heranwachsen.
»Wichtig ist, dass die Mutter quasi immer dieselbe ist«, fügte ich
hinzu. Die Philosophen sollten wie ein Datenträger funktionieren, der
immer wieder die Erinnerungen der gesamten Cortez-Kultur in die neue
Mutter einlegen würden. Diese würde dann von Mal zu Mal größer.
»Auf diese Weise wurde schon mindestens eine Galaxis verwüstet (die
unsere Helden auch finden)«, notierte ich sehr knapp in diesem Konzept.
Die Mutter werde von Mal zu Mal größer. Ihr Ziel sei, »irgendwann einmal
eine Superintelligenz zu werden«.
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