Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Ab Mitte der 80er-Jahre wurden meine Kontakte zu Science-Fiction-Fans
und Musikhörern in der DDR immer intensiver. Ich pflegte zahlreiche
Brieffreundschaften, ich schickte Pakete in den »Osten«, und ich bekam
mit, wie die Fan-Szene dort wuchs. In der DDR schien es zu brodeln, man
spürte es immer wieder: Die Punkrock-Band »L'Attentat« forderte in ihren
Stücken »Russen raus«, es entwickelten sich unabhängige Medien,
wenngleich auf bescheidenem Niveau. Als Bundesbürger bekam ich
allerdings nur die »Echos« einer spannenden Entwicklung mit.
Im
Dezember 1987 erhielt ich ein ungewöhnliches Schreiben. Zu dieser Zeit
war ich gerade in Westafrika unterwegs; ich las es also erst nach meiner
Rückkehr im Februar 1988. Aber es elektrisierte mich geradezu.
Es
war mit einer Schreibmaschine verfasst, den Brief hatte man
offensichtlich mithilfe von Durchschlagpapier vervielfältigt. Da in der
DDR kein freier Zugang zu Vervielfältigungsgeräten herrschte, wurden
auf diese Weise auch Fanzines publiziert – die Vorgehensweise war mir
also nicht unbekannt.
Der Brief kam von einem Science-Fiction-Fan
aus Sondershausen – einer Stadt im Harz –, mit dem ich nicht selbst in
Kontakt stand, der aber zahlreiche andere Science-Fiction-Fans aus der
DDR kannte. Seinen Namen hatte ich schon gelegentlich gehört. Adressiert
war das Schreiben an mich als »Werter Science Fiction Sammler«.
Wie
der Absender mir mitteilte, hatte dieser Fan tatsächlich vor, in
Sondershausen ein »privat organisiertes und finanziertes Treffen von SF
Interessierten« zu veranstalten. Ich war fassungslos: Soweit ich wusste,
mussten solche Treffen offiziell genehmigt worden, und als Westbürger
konnte ich nur mit offizieller Genehmigung ein solches Treffen besuchen.
Aber die Idee faszinierte mich. Bisher hatte ich sowieso nur
Science-Fiction-Treffen in der Bundesrepublik besucht und wollte endlich
einmal ausländische Fans in größerem Umfang treffen – in der DDR hätte
ich auf jeden Fall weniger sprachliche Probleme als in den USA oder auch
in Frankreich.
Geplant war für Sondershausen ein ernsthaftes
Programm: »Vorträge, Autorenlesungen, Filmveranstaltung,
Podiumsdiskussion, eine Versteigerung von SF Büchern, TB's, Bildern und
Modellen sowie die Auswertung des Nachwuchsautoren Wettbewerbes mit
Preisverleihung« versprach das Schreiben. Details hierfür konnten noch
nicht genannt werden, was mich nicht störte: Die Veranstaltung sollte
vom 9. bis 11. September 1988 sein, lag also neun Monate in der Zukunft.
Die Veranstalter hatten ein Hotel angemietet, der Preis für das
gesamte Wochenende inklusive der Übernachtung sollte 150 Mark betragen.
Gemeint war die Mark der DDR, sonst hätte man D-Mark geschrieben. Das
Geld müsse allerdings zeitig beim Veranstalter eintreffen, da er die
Planung sowie die Hotelbuchung davon abhängig mache.
Darüber
hinaus informierte das Rundschreiben darüber, wie die Versteigerung und
der Nachwuchsautoren-Wettbewerb ablaufen sollten. Das alles klang
nachvollziehbar und machte auf mich den Eindruck, als hätten sich die
Fans in Sondershausen alles sehr gut überlegt. Und da ich für den
September 1988 sowieso noch nichts vorbereitet hatte, nahm ich mir vor,
in die Stadt im Harz zu fahren. Ein Con in der DDR – das klang doch sehr
spannend.
Da ich schon einige Male die DDR besucht hatte, wusste
ich, was ich im Einzelnen zu tun hatte. Ich schrieb dem Fan zurück,
meldete mich an und bat um weitere Informationen. Konnte ich das Geld
irgendwie überweisen, oder sollte ich ihm die D-Mark per Post schicken?
Ich könnte aber auch direkt vor Ort bezahlen, wenn er wollte; das hinge
von ihm ab. Am gleichen Tag formulierte ich einen Antrag für ein Visum,
den ich an die Botschaft der DDR in Bonn schickte.
Und dann
wartete ich. Es dauerte und dauerte. Das Frühjahr 1988 begann, und ich
erhielt keine Antwort – weder von dem Fan aus Sondershausen noch von
offiziellen staatlichen Stellen. Ich fragte noch einmal schriftlich
nach, wieder bekam ich keine Antwort. Das fand ich merkwürdig, aber es
kümmerte mich nicht weiter. Im Sommer 1988 änderte sich in meinem
privaten Umfeld sehr viel, ich wechselte die Arbeitsstelle und den
Wohnort – und so verdrängte ich den Gedanken an das geplante
Science-Fiction-Treffen in der DDR aus meinen Gedanken.
Es
dauerte noch mal ein Jahr, bis ich mehr erfuhr. Im Jahr 1989 fiel die
Mauer, und im März 1990 traf ich ausgerechnet im beschaulichen
Freudenstadt im Schwarzwald auf viele Science-Fiction-Fans aus der DDR.
Dort erfuhr ich, was im Verlauf des Jahres 1988 geschehen war: Polizei
und Staatssicherheit waren dahinter gekommen, dass ein illegales Treffen
geplant gewesen war. Man hatte es untersagt, es war Druck auf die
potenziellen Veranstalter ausgeübt worden – und so konnte nichts von dem
getan werden, was man vorgehabt hatte.
So wurde das geplante
Science-Fiction-Treffen, an dem ich teilnehmen wollte, zu einem Beispiel
dafür, wie unnachgiebig und manchmal wenig nachvollziehbar die
staatlichen Behörden in der DDR arbeiteten ...
2 Kommentare:
hehe, du bist Monate lang in Afrika unterwegs und dann fährst du für einen Con lieber in den Osten, weil du es da sprachlich einfacher hast?
Das bringt mich irgendwie zum schmunzeln.
Das klingt unheimlich spannend.
Ich war zu jener Zeit erst 14 und habe leider (oder vielleicht auch zum Glück) kaum etwas von solchen idiotischen Zwangsmaßnahmen mitbekommen.
Heute graust mir vor dieser Vergangenheit.
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