Auf Rainer Castor war Verlass – in jeglicher Hinsicht. Der Autor schrieb PERRY RHODAN-Romane, er lieferte Hintergründe für die Exposés und stand den Kolleginnen und Kollegen jederzeit hilfreich zur Seite. Und er sorgte dafür, dass in den Nuller-Jahren die ATLAN-Buchreihe trotz aller Probleme vertrieblicher Art weiterhin »wie am Schnürchen« lief. Im Mai 2003 stellte er uns seine Konzeption für die Jahre 2004 bis 2007 vor.
In seinem Arbeitspapier machte der Autor noch einmal klar, dass es nicht so einfach sein würde, die ATLAN-Serie in Buchform zu präsentieren. »ATLAN exklusiv« oder auch »Der Held von Arkon« umfasste 160 Romane, die zwischen 1973 und 1977 erschienen, anfangs alle vier Wochen, später zweiwöchentlich im Wechsel mit den sogenannten USO-Abenteuern, dann wöchentlich.
Das ist heute durchaus schwierig zu erklären, den damaligen Lesern dürfte das kaum Probleme bereitet haben: Sie bekamen einfach jede Woche einen spannenden ATLAN-Roman, und die Handlung spielte eben zu unterschiedlichen Zeiten.
Knifflig war’s allerdings, weil die Autoren immer wieder die eigentliche Hauptsache aus den Augen verloren, bewusst oder unbewusst. Die ATLAN-Jugendabenteuer, wie man diese 160 Romane auch nannte, erzählten schließlich von Atlans Kampf gegen den Mörder seines Vaters und seine Versuche, sich vor Meuchelmördern zu verstecken. Der anfangs noch ein wenig unsichere Atlan – immerhin nur 17 Jahre alt – wandelt sich dabei zu einem erfahrenen Kämpfer mit strategischem Verstand.
Doch dieses Hauptthema trat dann in den Hintergrund, wenn die Serie auf Abwege geriet. So gab es längere Abschnitte, in denen es um die Varganen und den Mikrokosmos ging, ebenso die komplexe Handlung um Akon-Akon. Darüber hinaus schrieben manche Autoren – vor allem H. G. Ewers – schon damals ihre »Serie in der Serie«, in der beispielsweise eine Figur wie Algonkin-Yatta allerlei Abenteuer erlebte, die nichts mit Atlan zu tun hatten.
Rainer Castor wies uns in seinem Arbeitspapier darauf hin, dass es zwischen den bisherigen Romanen und dem kommenden Handlungskomplex um die Varganen einen kleinen Zeitsprung gäbe. In Buch 23 stirbt der Blinde Sofgart, einer der »Bösewichte« der bisherigen Serie, womit eine Spur zum legendären Stein der Weisen verloren geht. Buch 24 würde mit offenen Fragen und nach einem Zeitsprung beginnen.
Rainers Überlegung: Wie wäre es, nicht direkt mit einem Aufbereiten der alten Romane weiterzumachen, sondern einen ganz neuen Roman einzuschieben? Seine Idee: Es könnte um eine Rückkehr zum Dreißig-Planeten-Wall gehen, der in den bisherigen Romanen nur angedeutet wurde, in dem es aber noch viele Geschichten zu entdecken gab.
Das war ein Thema, mit dem er mich eigentlich »packen« konnte. In Hans Kneifels ATLAN-Taschenbüchern hatte ich die Idee, die hinter diesem Wall und dem gesamten Miracle-Thema steckt, immer interessant gefunden, die eigentlichen Romane aber nicht so sehr gemocht. Für erfahrene Stammleser wie mich wäre es also sicher spannend, wenn ein profilierter Autor und Serienkenner wie Rainer Castor ein solches Thema in Angriff nehmen würde.
Man könnte damit die Kneifel-Romane, die teilweise sehr abseits der Haupthandlung lagen, stärker in die Serie einbinden, sie somit »kanonisch« machen. Das klang faszinierend – und wer außer Rainer Castor sollte einen solchen großen Roman von 400 Seiten schreiben?
Wir diskutierten das kurz in der Redaktion und kamen dann von Rainers Idee ab. Wer die ATLAN-Blaubände kaufte – und dieser Begriff setzte sich langsam stärker durch –, wollte die klassischen Romane in aufgefrischter Form durchschmökern. Einen komplett neuen Roman hätten die Leser eher verwirrend empfunden und nicht als eine Bereicherung aufgefasst.
Zudem: Wer außer mir und einer Handvoll anderer Leser wollte wirklich weitere Informationen und Hintergründe zu Miracle und dem Dreißig-Planeten-Wall? Gab es hierzu überhaupt ein so großes Interesse? Wir entschieden uns: Rainer sollte nur die Varganen-Handlung umsetzen und die Idee eines eigenständigen Miracle-Romans in eine noch zu definierende Zukunft schieben.
Damit war Rainer auch einverstanden. Er hatte Miracle schon einige Male im Rahmen der ATLAN-Buchausgabe erwähnt; damit waren genügend Verbindungen hergestellt. Wir wollten es nicht übertreiben. Und vielleicht bot sich später die Möglichkeit, darauf erneut einzugehen.
Wer übrigens nicht weiß, worum es sich bei den Miracle-Geschichten handelt, hier der ganz kurze Versuch einer Erklärung: Im Rahmen der PERRY RHODAN-Taschenbücher führte Hans Kneifel die Reihe der ATLAN-Zeitabenteuer auch hinaus ins All. Dabei brachte er den Dreißig-Planeten-Wall in die Handlung ein, ein uraltes Sonnensystem, über das die Leser am Anfang nichts erfuhren.
Hans Kneifels Konzeption mit Miracle und den Planeten des Systems fanden manche Leser spannend – weil es eben phantastische Ideen waren –, andere lehnten sie ab, weil sie nicht so viel mit der eigentlichen PERRY RHODAN-Welt zu tun hatten. Der Autor wollte seine Miracle-Geschichten mit der Kosmologie der Serie verbinden, sprach sich dabei aber weder mit den damaligen Exposéautoren noch der Redaktion ab.
Die Miracle-Geschichten wurden im Rahmen der PERRY RHODAN-Taschenbücher zu einem Ende gebracht, die Ideen später immer wieder in den Raum geworfen, aber nie aufgegriffen.
(Diese Redakteurserinnerung habe ich bereits im November 2023 auf der PERRY RHODAN-Seite veröffentlicht. Hier wiederhole ich sie sehr gern.)
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