Zum ersten Mal vernahm ich den Namen Rainer Castor wahrscheinlich, als mir Hans Kneifel von ihm erzählte. »Bei den ATLAN-Büchern hilft mir ein junger Mann«, sagte mir der Autor während eines Telefonats, das wir im Jahr 1993 führten. Wir waren zu dieser Zeit mit dem dritten Band der ATLAN-Buchausgabe beschäftigt. »Der kennt sich besser mit dem alten Arkoniden aus als ich.«
Damit hatte Hans Kneifel recht, in vielerlei Hinsicht. Rainer Castor arbeitete ihm zu, unterstützte ihn bei den Hintergründen der ATLAN-Buchausgabe und entwickelte darüber hinaus zahlreiche Ideen für weitere Romane, die im Rahmen der Taschenbücher erscheinen sollten.
Die künftigen Taschenbücher sollten nicht nur in der Vergangenheit der Erde spielen, sondern auch in die Zukunft reichen. Unter anderem planten die beiden, den Roboter Rico in einer eigenen Handlung zu verarbeiten, also eine »Serie innerhalb der Serie« zu schreiben. »Die Vergangenheit haben wir jetzt mehrfach abgegrast«, meinte Hans Kneifel, »wir müssen nach vorne schauen.«
Es ließ sich kaum vermeiden, dass der »junge Mann«, der im übrigen älter war als ich, und ich bald zusammenarbeiten würden. Rainer Castor erwies sich nicht nur als jemand, der sich mit der PERRY RHODAN-Serie und all ihren Verästelungen richtig gut auskannte, sondern darüber hinaus auch als ein Autor, der sprachlich auf einem hohen Niveau schreiben konnte. (Dass er das manchmal nicht zeigte, weil er lieber Fakten in Romane verarbeitete, steht auf einem anderen Blatt.)
Wann wir uns kennenlernten, weiß ich nicht mehr genau. War es auf einem Con oder einer Buchmesse? Es war auf jeden Fall bald klar, dass an diesem sachkundigen Schriftsteller kein Weg vorbeiführte. Wir schrieben uns Briefe, und er schickte mir Ausdrucke seiner umfangreichen Recherchen zu.
Seine »Grobraster«-Datei war unfassbar: Der Autor hatte in einem Schnellhefter, der gut hundert Seiten umfasste, zahlreiche Details zur Milchstraße zusammengetragen, die man so nicht im gedruckten PERRY RHODAN-Lexikon finden konnte. Es gab zu dieser Zeit keine Online-Lexika, also hatte er sich schlicht auf die gedruckten Romane bezogen und aus diesen alle relevanten Informationen herausgeschrieben.
Die logische Schlussfolgerung: Rainer sollte Romane schreiben, in denen er sich um Randgebiete der Serie kümmerte, um diese selbst zu entwickeln. Die Temur-Trilogie wurde so zu unserem ersten gemeinsamen Projekt. »Für Arkons Ehre« setzte er den Arkoniden Atlan in Szene, zeigte aber auch neue Facetten des Großen Imperiums und verband alles mit Informationen über die Lemurer oder den Fakten zu Dagor.
Rainer hatte sich spätestens mit dieser Trilogie als der Experte für die Arkoniden schlechthin erwiesen. Das sollte in den kommenden Jahren noch diverse Auswirkungen haben …
Dass das Arkon-Imperium in der PERRY RHODAN-Serie stärker gewichtet wurde, lag daran, dass Robert Feldhoff es durch die Exposés so steuerte. Die vielen Details stammten aber von Rainer Castor, und sie sorgten dafür, dass das stimmige und stimmungsvolle Bild eines Sternenreiches entstand.
Es ist wenig sinnvoll, an dieser Stelle Rainers Laufbahn nachzuzeichnen. Die Perrypedia als Online-Lexikon kann das viel besser als ich, sie bietet alle Fakten in der richtigen Reihenfolge und vor allem vollständig. Der Autor entwickelte sich weiter, bei der »Traversan«-Miniserie zeigte er erstmals seine Qualitäten in komplettem Umfang, und er wurde bei PERRY RHODAN zu einem »Hans Dampf in allen Gassen«.
Für die Exposés lieferte er Hintergrundarbeiten und Datenblätter. Er schrieb Romane, die zwar nicht jeden begeistern konnten, aber durch ihre Detailfülle eigene Maßstäbe setzten. Er verfasste den PERRY RHODAN-Kommentar und stand – buchstäblich! – Tag und Nacht zur Verfügung, wenn die Autorinnen und Autoren eine Frage hatten. Das war beeindruckend und selbstlos zugleich; für diese Arbeit im Dienst seiner Kollegen erhielt er kein Honorar, sondern das verstand er unter kollegialer Zusammenarbeit.
Rainer Castor war unersetzlich. Als Uwe Anton die Exposés verfasste, wurde Rainer noch wichtiger. Er war längst nicht mehr nur ein Lieferant von Daten, sondern gestaltete die Handlung mit, brachte Ideen ein und entwickelte Konzepte. Sein Blick galt nicht nur der Technik, sondern ebenso der Historie der PERRY RHODAN-Serie – mit beidem kannte er sich besser aus als alle anderen in unserem Team.
Als wir im September von seinem Bruder die Todesnachricht erhielten, konnte ich sie zuerst nicht glauben. Das war so unfassbar, so unglaublich! Rainer Castor hinterließ eine Lücke im PERRY RHODAN-Team, die wir – und das war schnell klar – in dieser Form nie schließen konnten. Er wurde nur 54 Jahre alt.
Am 4. Juni 2021 wäre er sechzig Jahre alt geworden. Ich hätte mich sehr gefreut, mit ihm zumindest virtuell anzustoßen. Wahrscheinlich hätte er den Geburtstag in seinem Arbeitszimmer verbracht, mit dem Computer vor sich, eine Zigarette in der Hand und einen Kaffeebecher in Greifweite. Ich denke an diesem Tag oft an ihn.
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