Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«:
Ab Anfang der Nuller-Jahre bröckelte die Auflage der PERRY
RHODAN-Silberbände stärker als zuvor. Kaufhäuser zogen sich komplett aus
dem allgemeinen Buchgeschäft zurück, und viele Buchhändler hatten kein
Interesse mehr daran, die komplette Buchreihe verfügbar zu halten.
Manche Händler nahmen in der Folge auch die aktuellen PERRY
RHODAN-Bücher aus ihren Regalen.
Die PERRY RHODAN-Redaktion
führte zahlreiche Gespräche mit den Kollegen des Moewig-Buchverlages:
informell in der Kantine, offiziell bei Meetings und Konferenzen. Das
Ergebnis blieb überschaubar, nichts passierte, die Verkaufszahlen gingen
weiter zurück. »Der Buchverlag ist einfach daran gewöhnt«, erinnerte
die Kollegin in der Redaktion, die zuvor im Buchvertrieb gearbeitet
hatte. »Viermal im Jahr fällt ein PERRY RHODAN-Buch vom Himmel und
poliert die Bilanz auf, ohne dass man etwas dafür tun muss.«
Mit
dem Buch 81, das unter dem Titel »Aphilie« erscheinen sollte, wollte die
Redaktion noch einmal den Kurs wenden. »Wir müssen es schaffen, den
Händlern klarzumachen, dass unsere Bücher in ihrem Geschäft stehen
müssen«, argumentierte ich. Wir schauten uns an, welche Aktionen rings
um die Silberbände früher gut gelaufen waren, und entwarfen ein
Marketing- und Vertriebskonzept, das wir dem Buchverlag präsentierten.
Nichts
passierte. Das bringe doch nichts, das sei doch viel zu viel Arbeit –
die Aktion brach in sich zusammen, bevor sie gestartet werden konnte.
Also entschlossen wir, einfach selbst loszulegen. Im März 2003
verschickten wir ein Rundschreiben inklusive einer Faxvorlage und eines
kleinen Prospektes an Tausende von Buchhändlern – auf Kosten der
Redaktion und unter tatkräftiger Mithilfe eines jeden PERRY
RHODAN-Kollegen.
»Die neuen Abenteuer bei PERRY RHODAN«,
versprach ich in meinem Schreiben an die Händler, »und eine neue
Werbemöglichkeit für Ihre Buchhandlung«. Ich versuchte noch einmal an
die treuen Händler zu appellieren: »Seit über zwanzig Jahren gehören die
›Silberbände‹ zum festen Sortiment vieler Händler, binden aufgrund
ihrer regelmäßigen Erscheinungsweise – vier neue Titel pro Jahr – viele
Kunden langfristig an eine Buchhandlung. 80 gebundene Ausgaben dieser
Science Fiction-Buchreihe sind seitdem erschienen, ein Erfolg, der
seinesgleichen sucht.«
Besonders interessant für einen Händler
sollte meiner Argumentation nach das kommende PERRY RHODAN-Buch 81 sein:
»Unter dem Titel ›Aphilie‹ wird ein neuer Handlungsabschnitt begonnen,
der nicht nur für Stammleser spannend ist«, schrieb ich, »sondern für
alle Kunden, die gerne Science Fiction-Bücher lesen. Ich lieferte
inhaltliche Argumente, die im Buchverlag niemand interessant gefunden
hatte: »Eine Menschheit ohne Liebe ... das Raumschiff SOL auf
unendlicher Odyssee ... packende Themen, die gerade im Jahr 2003 neue
Leser begeistern können«.
Darüber hinaus unterbreiteten wir den
Händlern die Idee, sie auf der neu gestalteten PERRY RHODAN-Webseite zu
präsentieren. Damals war das Internet für die meisten Händler immer noch
Neuland, aber wir schlugen Ihnen vor, bei uns zu »Stützpunkthändlern«
zu werden – einen Begriff aus den 80er-Jahren. »Aktive Buchhändler, die
alle unsere ›Silberbände‹ führen, möglichst auch noch ATLAN, die PERRY
RHODAN-Autorenbibliothek und die ›Kosmos-Chroniken‹, können als
Depotbuchhändler gelistet werden.«
Das Konzept wirkte schlüssig,
und meine Argumentation fand ich nachvollziehbar: »Unsere Leser finden
dann Ihre Buchhandlung per Mausklick, wissen so sofort, wo sie ihre
bevorzugte Lektüre erhalten. Falls Sie eine eigene Homepage haben,
können wir diese entsprechend verlinken.« Wir legten dem Brief eine
Faxvorlage bei, und die Buchhändler sollten per Fax reagieren.
Ansprechpartnerin war in diesem Fall die damalige Marketingassistentin Miriam Hofheinz.
Damit
wir das Paket vollständig hatten, bereiteten wir »zur Abrundung« eine
Aussendung an die Presse vor. Sie stand unter der Überschrift »Die
Menschheit ohne Liebe – PERRY RHODAN bricht zu neuen Ufern auf«. Der
Pressetext setzte auf die sozialen Aspekte des Zyklus, weil wir hofften,
dass das für Journalisten interessanter klingen könnte als kosmische
Dimensionen:
»Es ist eine perfekte Welt, ein Utopia. Hunger und
Krankheit sind besiegt. Roboter und Computer erledigen auf Knopfdruck
jede beliebige Arbeit. Raumschiffe stoßen in Gedankenschnelle zu fernen
Welten vor.
Und es ist eine furchtbare Welt. Embryos werden in
›Wärmekapseln‹ ausgetragen. Kinder wachsen in staatlichen Anstalten auf,
ohne jemals ihre Eltern kennengelernt zu haben. Alte und Schwache
verschwinden hinter den hohen Mauern der ›Stummhäuser« und werden nie
wieder gesehen. Der Einzelne kennt nur sich selbst, stellt die Erfüllung
seiner Triebe über alles.
Die Menschheit leidet an Aphilie – Gefühlsarmut.«
Wir zitierten Hubert Haensel,
wir brachten das Thema Menschheit und Menschlichkeit stärker in den
Fokus unserer Eigenberichterstattung. Das klappte durchaus, die Medien
berichteten positiv. Auch die Buchhändler zogen durchaus mit, wir hatten
innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Stützpunkthändler.
Was wir
nicht bedacht hatten: Diese Händler mussten betreut werden, sie riefen
jetzt nicht mehr beim Vertrieb an, sondern direkt bei uns. Es kam so
weit, dass Buchbestellungen direkt bei uns landeten, was nicht nur Zeit
kostete, sondern irgendwann sogar nervte. Wir lernten also auch daraus
...
1 Kommentar:
Hallo
Selbst vom heutigen Standpunkt aus gesehen eine großartige Aktion. Perfekt und gut durchdacht. Das nachher anstehende Problem mit dem Nachfragen und eingehender Bestellung ist dabei verzeilich. Auf der einen Seite hat es Sie genervt, aber eigentlich war es ein Dankeschön für den professionellen Aufbau der Aktion. Der Einzelhandel erkannte Sie als den wichtigen und kompetenten Bezugspunkt für den Umsatz an. Und ich bin schon verblüfft, wie wenig flexiebel, na ja eigentlich schon dumm und verantwortungslos Ihre Vertriebsabteilung war. Nun, etlich Verlage hatten solche Probleme, heute ist Amazon der größte Abnehmer derer Produkte. Etwas, was nicht auf Dauer gut gehen kann. MfG Markus Gartung
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