Ein Logbuch der Redaktion
Es ist immer wieder interessant für mich, in den alten Romanen zu lesen und parallel dazu in Exposés zu blättern. Ich gewinne dadurch neue Erkenntnisse und vor allem einen anderen Blick auf jene Romane unserer Serie, die ich schon lange zu kennen glaubte.
Dieser Tage betrachtete ich wieder einmal die frühen Exposés. Wie wurde die Serie damals gestartet, und welche Schwerpunkte legten die Autoren der 60er-Jahre?
Beispielsweise formulierte K. H. Scheer am 12. September 1961 – kurz nachdem der erste Roman unserer Serie erschienen war – in seinem Exposé zum neunzehnten Band der Serie einige grundlegende »Richtlinien«. In erster Linie ging es in diesem Skript um den Inhalt des Romans, der 1962 unter dem Titel »Der Unsterbliche« erscheinen sollte, aber Scheer wollte gewissermaßen über den Tag hinausblicken.
Der »grundsätzliche Aufbau«, so der Exposéautor eines jeden PERRY RHODAN-Romans, erfordere »ganz bestimmte Serien-Richtlinien«. Der Zweck sei, eine »ununterbrochene Spannungshandlung« zu erzeugen, »auf der letztlich der Erfolg der Serie basiert«. Deshalb sei es »dringend erforderlich«, einige Punkte zu beachten.
Als ersten Punkt nannte er für die Seiten eins bis acht eine »hineinspringende Spannung«. Konkret: »totaler Verzicht auf Erklärungen bis hinauf sehr kurze Hinweise in Form von klaren Prägnant-Dialogen, die in sich die Spannung enthalten müssen«. Ein wenig kryptisch mutet heute der ergänzende Halbsatz »Besser noch als Prosa bringen« an.
Auf den Seiten 9 bis 20 wünschte sich Scheer – im zweiten Punkt also – »erforderliche Rückblenden über bisherigen Handlungsverlauf, Sinn und Zweck« der Aktionen, die über Rhodan und seinen Gefährten erzählt werden. Scheer erhoffte sich darüber hinaus »kurze, keinesfalls weitschweifige Dialoge oder erzählerische Prosa«, wobei das Wort »kurz« noch extra unterstrichen wurde. Spannungsmomente sollten diese Szenen ebenfalls enthalten.
Der dritte Punkt erstreckte sich nach diesem Schema auf die Seiten 21 bis »wenigstens 35«, wofür Scheer allerlei »Zwischenepisoden« vorschlug. Diese sollten eine »direkte Zwischenhandlung mit ansteigenden Effekten bieten«, aber »wenig Dialoge« enthalten.
Und der vierte Punkt? Ab Seite 35 sollte man ins Romanende »hineinsteuern«. Scheer hoffte auf ein »kurzes Spannungsabklingen« und empfahl eine »stetige, merkbare Steigerung bis zur letzten Seite«.
Scheer ging nicht so weit, diese Vorschläge als feste Regel in eine Anweisung zu gießen. Er stellte sich seine Vorschläge als »nur hinweisende Richtlinien« vor, und natürlich komme es auf das jeweilige Thema an. Die genannten »Aufbaumöglichkeiten« hätten sich als »vorteilhaft erwiesen«, und er habe sie erstmals bei Band 13 angewendet.
Ob K. H. Scheer sich oft an sein eigenes Rezept gehalten hat, lässt sich bestimmt anhand einer erneuten Lektüre der großen Serienromane nachvollziehen. Wenn ich mich an manche Romane – wie den legendären »Die Straße nach Andromeda« – erinnere, fällt mir auf, wie sehr Scheer immer wieder Spannungselemente so einsetzte, dass man gefesselt war, um zwischendurch aber häufig ruhige Passagen zu bringen, die das Erzähltempo deutlich verringerten.
Und heute? Ich glaube nicht, dass der Vier-Punkte-Plan, den Scheer im Jahr 1961 skizzierte, immer und überall funktionieren würde. Das tat er schon in den sechziger Jahren nicht – anders wäre manch eigensinniger Clark-Darlton-Roman nicht denkbar gewesen –, und das gilt heute ebensowenig.
Spannung entsteht bei PERRY RHODAN zwar auch durch Action, aber nicht ausschließlich. Was Leserinnen und Leser spannend finden, ist ohnehin von Person zu Person verschieden; es hat sich im Verlauf der Jahre zudem deutlich verändert.
Viele Leser betrachten die kosmischen Zusammenhänge als spannend; sie wollen wissen, wie Chaotarchen und Kosmokraten vorgehen, sie wollen buchstäblich in das Innenleben von Superintelligenzen eintauchen. Das ist eine andere Art von Spannung als die, mit der man beispielsweise einen Kampf zwischen zwei Gegnern oder eine Raumschlacht liest.
Ich kann für mich selbst sprechen. Als Jugendlicher fand ich vor allem die frühen Romane des »Meister des Insel«-Zyklus faszinierend – allein schon die Abenteuer in der Hohlwelt mit all ihren Begleiterscheinungen. Diese Romane folgen sehr eindeutig den »Regeln«, die Scheer einige Jahre zuvor aufstellte. Heute habe ich bei mancher Action dieser Art meine Schwierigkeiten und stolpere eher darüber, dass ich Szenen unglaubwürdig finde.
Spannung und Faszination sind keine Dinge, die gleich bleiben und für Ewigkeit in Stein gemeißelt werden. Das sieht man übrigens ebenso an Filmen: Action, die man in den 70er-Jahren spannend fand, wird heute mit einem Achselzucken quittiert. (Wer das nicht glaubt, schaue sich einen Belmondo-Film aus jener Zeit zusammen mit einem Jugendlichen von heute an …)
Interessant ist, wie viele Texte aus den 60er- und 70er-Jahren heute noch »funktionieren«, wie man so schön sagt. Vor allem die großen klassischen Romane der PERRY RHODAN-Frühzeit lassen sich nach wie vor sehr gut lesen.
Der vorher genannte Scheer-Roman »Die Straße nach Andromeda« ist in seiner Darstellung der Haluter und des abenteuerlichen Sturzes in den Sonnentransmitter immer noch spannend. Andere Texte hingegen, die im gleichen Jahrzehnt erschienen sind, wirken heute völlig antiquiert. (Beide Aussagen gelten für meinen Geschmack, wie ich sicherheitshalber hinzufügen muss.)
Spannend müssen unsere Romane auch im Jahr 2022 sein. Leser mit vierzig oder fünfzig Jahren – oder noch älter – haben allerdings eine andere Lebenserfahrung als die Jugendlichen, die Scheer und seine Kollegen um 1961 ansprechen. Die Welt hat sich weitergedreht.
Und deshalb sind die Scheer’schen Richtlinien von 1961 nicht falsch, aber in ihrer Absolutheit doch ein wenig veraltet …
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