01 Juni 2017

Wie die Exposés zur Abruse anfingen

tl_files/comic/downloads/cover/pr_erstauflage/1700tibi.jpgAus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«

Die Exposébesprechung im Herbst 1993 begann am Sonntag, 24. Oktober. Ernst Vlcek war bereits im Verlauf des Tages angekommen und hatte sich mit Dr. Florian F. Marzin, dem Chefredakteur der PERRY RHODAN-Serie, im Gasthaus »Bären« in Rastatt getroffen. Weil ich an diesem Tag noch mit privaten Dingen beschäftigt war, konnte ich nicht gleich teilnehmen.

Erst später verließ ich das Dorf in der Nähe von Rastatt, in dem ich zu dieser Zeit wohnte, und fuhr in die Stadt. Im »Bären« bestellte ich mir ein Abendessen und beteiligte mich an der bereits laufenden Diskussion.

Noch später kam Robert Feldhoff, womit unsere Runde vollständig war. Offiziell war Robert noch kein Exposéautor, aber es war klar, dass er zu einem werden sollte. Alle schätzten seine Romane ebenso wie die ruhige und gelassene Art, in der er Ideen präsentierte oder auch Kritik äußerte.

An diesem Abend redeten wir allerdings kaum über den Inhalt der PERRY RHODAN-Serie. Ich erzählte Geschichten von meiner jüngsten Afrika-Reise, die mich nach Südafrika geführt hatte; Florian und Ernst machten Witze über ihre gemeinsamen Tennisturniere, während Robert eher ruhig blieb. Wahrscheinlich versuchte er zu diesem Zeitpunkt noch, genauer herauszufinden, welche Rolle er wohl künftig bei der Exposéarbeit spielen sollte.

Nur selten sprachen wir über den Zyklus nach Band 1700, den wir eigentlich planen sollten. Es gab höchstens einige Andeutungen, zumeist ließen wir das Thema auf der Seite liegen; nicht unüblich für Besprechungen in jenen Jahren. Florian Marzin verließ uns am späten Abend und fuhr nach Hause.

Ich begleitete die beiden Autoren noch an die Bar des »Holiday Inn«, wo sie untergebracht waren. Wir tranken das eine oder andere Bier – ich nicht so viel, weil ich zu fahren hatte –, und tauschten unsere Erfahrungen mit den Manuskripten der Kollegen aus.

Es gab viel zu lachen, vor allem ab dem Zeitpunkt, als Ernst Vlcek anfing, »Geschichten von früher« zu erzählen. »Wie der Karl-Herbert dann ...«, so endete mancher Schwank. Er berichtete von Autorenkonferenzen in den 70er-Jahren, die – wenn wir alles glauben sollten – nicht selten in einem völligen Chaos endeten. In seinen Geschichten karikierte er die Altautoren, allerdings immer augenzwinkernd und selbstironisch.

Robert und ich lachten zeitweise schallend. In der vollbesetzten Hotel-Bar waren wir an diesem Abend sicher die munterste Runde. Spät nach Mitternacht fuhr ich nach Hause.

Am Montagmorgen ging es erst einmal ohne Exposés weiter. Ich hatte Besucher in der Redaktion. Schüler der 13. Klasse eines Gymnasiums trafen ein; ihr Lehrer hatte den Termin schon vor Wochen vereinbart. Die jungen Leute kamen aus Ettlingen, einer Kleinstadt in der Nähe, und sie hatten sich im Unterricht gut auf PERRY RHODAN vorbereitet.

Wie im voraus vereinbart, holte ich die Jugendlichen und ihren Lehrer an der Pforte ab und lotste sie nicht in mein Büro – das sah mir dann doch zu chaotisch aus –, sondern in die Kantine. Einige Kollegen aus anderen Abteilungen hatten gerade Pause, womit ich nicht gerechnet hatte. Ich bat sie, sich an die Seite zu setzen, was sie auch machten. Durch ihre Anwesenheit vergrößerte sich mein Publikum ungeplant ...

Die Schüler ließen sich an den Tischen nieder, ich packte eine Kiste mit PERRY RHODAN-Materialien aus und erzählte, was wir veröffentlichten und wie die Produktion ablief. Darüber hinaus plauderte ich über die Geschichte des Verlages und stellte die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Autoren dar.

Die Schüler stellten interessierte Fragen, auf die ich so gut wie möglich einging. Hinterher gab's Applaus, auch von den Kollegen aus anderen Abteilungen. Unser Computer-Experte, ein Informatiker mit Doktortitel, kam sogar zu mir, schüttelte mir die Hand und sagte, er habe noch nie so viel auf einmal über unsere Serie erfahren. Das schmeichelte mir sehr; als junger Redakteur, der sich mit Science Fiction beschäftigte, galt ich im Verlag eher als Sonderling.

Nachdem ich fertig war, konnte ich die Schüler »weitergeben«; ein Kollege aus der Druckerei übernahm. Die jungen Leute sollten sehen, wie aus einem Manuskript ein fertig gedruckter Roman wurde. Man zeigte ihnen – so war es vereinbart – die Setzerei, wo das Manuskript abgetippt und in Form gebracht wurde, sowie die weiteren Zwischenstufen, bis der Roman die Druckerei verlassen konnte.

Ich eilte in den Besprechungsraum im oberen Geschoss. Dort waren mittlerweile die Autoren eingetroffen; Dr. Florian F. Marzin ließ Kaffee und Gebäck anliefern. Ernst und Florian rauchten im geschlossenen Besprechungsraum, so dass wir innerhalb kürzester Zeit in einer Wolke aus Qualm saßen. Da die Inhalte, über die wir zu sprechen hatten, durchaus komplex waren, hatte ich bald das Gefühl, auch mein Hirn sei voller Qualm.

Wir diskutierten den weiteren Verlauf des Abruse-Zyklus, der noch gar keinen Namen hatte. Wie sollte die »andere Seite des Universums« beschaffen sein, welche Rätsel sollten auf die Terraner warten? Ernst Vlcek präsentierte seine Idee, dass es vor allem Wesen aus Kristall sein sollten, auf die man treffen würde – dies sei ein klarer Gegensatz zu Menschen aus Fleisch und Blut. Kommunikation sollte schwierig sein, er wollte alles sehr geheimnisvoll haben.

Robert fand viele Überlegungen in dieser Richtung nicht richtig. Wir würden uns in die Enge manövrieren, wenn wir »normale« Gegenspieler wegließen. Perry Rhodan und seine Gefährten benötigten Kontrahenten, damit wir eine spannende Handlung haben könnten. Bis zur Mittagspause an diesem Tag bissen wir uns an solchen Details tatsächlich fest.

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