06 Juni 2007

Die Redaktion empfiehlt: EXODUS 20



Bei meiner letzten Dienstreise hatte ich endlich einmal ausreichend Zeit: Diese nutzte ich nicht nur dazu, liegen gebliebene ATLAN-Manuskripte zu lesen, sondern auch, um die aktuelle Ausgabe von EXODUS endlich einmal durchzuschmökern. EXODUS, das sich im Untertitel »Science Fiction Stories & Phantastische Grafik« nennt, existierte bereits in den 70 Jahren, gehörte damals zu den besten Fanzines überhaupt und ist seit einiger Zeit wieder auf dem Markt. Mit der vorliegenden Ausgabe 20 hat sich das Heft eindeutig aus dem bisher rein fannischen Umfeld befreit und steuert neue Höhenflüge an.

Ein hervorragendes Layout sowie größtenteils sehr gute Grafiken machen die Lektüre der Kurzgeschichten zu einem wahren Vergnügen. Herausgeber René Moreau, Schillingstraße 259, 52355 Düren, präsentiert ausschließlich Autoren und Zeichner aus dem deutschsprachigen Raum; die meisten von ihnen sind der breiten Öffentlichkeit noch nicht sooo sehr bekannt. Trotzdem ist das Qualitätsniveau beachtlich.

Ein Beispiel dafür ist gleich die erste Geschichte: Geschrieben wurde sie von Martin Schemm, einem mir bislang unbekannten Autor, der aber schon einige Geschichten und zwei Romane in kleineren Verlagen publizieren konnte. »Das Lazarus-Projekt« ist eine Wissenschafts-Story, die eine schon klassische Überlegung aufgreift: Wie weit kann ein Roboter oder Computer tatsächlich einen Menschen simulieren, und ab wann verwischen sich die Grenzen? Dazu kommt noch ein erkenntnispsychologischer Aspekt. Trotz der manchmal distanzierten Sprache überzeugt die Geschichte.

Wesentlich bekannter ist Gerd Maximovič. Seine Geschichte »Der Krieg gegen die Parmanteren« erschien zuletzt 1979 in einer Suhrkamp-Geschichtensammlung des Autors. Man merkt der Geschichte die Entstehungszeit an; sie ist antimilitaristisch und im rebellischen Geist der 70er Jahre. Kriege gegen Andersdenkende werden nach wie vor geführt, und dass man den Gegner dämonisiert, das wird sich in einer fernen Zukunft nichts ändern. Der Nachdruck ist von daher nachvollziehbar, die Geschichte bekommt neue Aktualität.

Am bekanntesten ist sicher der PERRY RHODAN-Autor Horst Hoffmann. In seiner Kurzgeschichte »Die Missionare von Dulcilanea« erweist er sich erneut als ein Spezialist für schräge Situationen und absurd-ironische Texte. In diesem Fall geht es um die Außerirdischen, mit denen die Menschheit endlich in Kontakt tritt und die eigentlich nur ein einziges, aber dafür ganz besonderes Außenhandelsprodukt interessiert ...

Auch Uschi Zietsch, die ehemalige PERRY RHODAN-Autorin, gehört zu den bekanntesten Mitarbeitern. In ihrer Geschichte »Pandoras letzter Wille« verbindet sie eine SF-Dystopie mit einem mythisch-religiösen Thema. Das muss man jetzt inhaltlich nicht unbedingt mögen – aber ihr Text ist so prägnant und kurz geschrieben, dass er auf jeden Fall »funktioniert«. Schöne Story!

»Der Überseelenmensch« ist eine Geschichte, die der deutsche Autor Carl Grunert vor dem Ersten Weltkrieg verfasste und erstmals publizierte. In EXODUS wird sie nun noch einmal veröffentlicht, interessanterweise in der damals üblichen Frakturschrift, die heutigen Lesern durchaus schwierig vorkommen dürfte. Die Story selbst greift ein »wissenschaftliches Phänomen« auf, wie es damals üblich war, arbeitet darüber hinaus mit dem Geheimnis des »Weltäthers«, von dem man früher überzeugt war – insofern ist sie unter zeitgeschichtlichen Aspekten interessant, aber nicht weiter spektakulär.

Weitere Mitarbeiter sind Christian Weis, der in »Dort draußen, hinter den Sternen« eine romantisch-traurige Weltraumfahrer-Stimmung einfängt, die ein wenig an den Altmeister Ray Bradbury erinnert, oder Bernd Karwarth, dessen kurze Story »Wie ein Wind« sich durch einen sehr poetischen Stil auszeichnet. Frank G. Gerigk beschäftigt sich mit virtuellen Welten einerseits und der Schriftstellerei andererseits, während Uwe Schimunek in »Lernen fürs Leben« einen speziellen Spielcomputer vorstellt.

Schon immer war die Optik bei EXODUS von besonderer Bedeutung: In den 70er Jahren zeichnete sich das Heft durch hervorragende Grafiken aus, und das »neue« EXODUS unterscheidet sich davon nicht. In der vorliegenden Ausgabe 20 werden die Arbeiten des Grafikers Klaus G. Schimanski – genannt Smiley – ins Zentrum gestellt: Es gibt zu ihm sogar einen Artikel und eine beindruckende Galerie, die eine Mischung aus SF, Fantasy und einem bisschen Erotik bietet. Sehr schick!

Ich könnte noch sehr viel loben, möchte es aber bei einer Kaufempfehlung belassen: Wer aktuelle deutschsprachige Science Fiction unterstützen möchte, sollte zu EXODUS 20 greifen. Die 80 Seiten im A4-Format gibt es für sechs Euro; es sind auch Abonnements möglich. Weitere Informationen dazu vermittelt die Homepage.

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