Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Meine fannische Zeit begann im Sommer 1979, und im Frühjahr 1980 hatte
ich das Gefühl, mich bereits richtig gut auszukennen. Ich jobbte zu der
Zeit auf dem nahe gelegenen Bauernhof, im Wald und auf einer Baustelle,
und das Geld, das ich dabei verdiente, investierte ich in Romanhefte, in
Kassetten obskurer Bands und in Fanzines.
Bei den Fanzines ging
ich mit einer klaren Absicht vor: Ich wollte wissen, wie die anderen
Hefte aussahen, um mich davon inspirieren zu lassen. Im Idealfall konnte
ich Ideen der anderen Fanzine-Herausgeber für mein eigenes Heft namens
SAGITTARIUS übernehmen – von diesem Heft kam im Februar 1980 die erste
Ausgabe heraus. Und im zweiten Idealfall bot sich vielleicht eine
Gelegenheit für mich, meine Texte zu veröffentlichen.
Ich
bestellte Fanzines, las sie durch und notierte mir die darin enthaltenen
Adressen. Potentielle freie Mitarbeiter schrieb ich an, interessante
Fanzines bestellte ich. So sammelte sich rasch ein wachsender Berg an
Fanzines an, die ich anfangs in meinem Bücherregal im Jugendzimmer unter
dem Dach des elterlichen Hauses unterbrachte. Bereits Ende des Jahres
sollte dieses Regal nicht mehr ausreichen ...
Zu den altgedienten
Fanzines jener Tage zählte »Phalanx«, das als bestes Heft überhaupt
galt. Einer der Herausgeber war Manfred Borchard, dessen Namen ich von
der PERRY RHODAN-Leserkontaktseite her kannte, wo er oft mit Geschichten
vertreten war. Der andere Herausgeber war ein gewisser Helmut Ehls –
heute redigiert er unter anderem PERRY RHODAN NEO.
Ich bestellte
mir die aktuelle Ausgabe und erhielt sie zugeschickt; mit ihr kam ein
Brief von Manfred Borchard höchstpersönlich. Er informierte mich
darüber, dass »Phalanx« eingestellt würde, und bot mir an, einige der
noch erhältlichen Exemplare zu einem Sonderpreis zu erstehen.
Ich
willigte ein, und dann hatte ich einen Packen von Heften im Format DIN A
5 vor mir, die – ernsthaft! – mein Weltbild erweiterten. Die Hefte
waren astrein gedruckt, sie enthielten zahlreiche Schwarzweiß-Grafiken
des in der DDR lebenden Künstlers Thomas Franke, und die Kurzgeschichten
sprengten den Rahmen herkömmlicher Science Fiction. Vor allem Borchards
Texte beeindruckten mich, wenngleich ich nicht immer verstand, was er
mit seinen Geschichten ausdrücken wollte. Dazu kamen sogar Gedichte ...
unglaublich!
Ein anderes Fanzine, das mich schwer beeindruckte
und das in den späten 70er-Jahren eingestellt worden war, von dem ich
mir aber noch Ausgaben besorgen konnte, hieß »Solaris«. Hier vermischten
sich Kurzgeschichten und Artikel; ein knallhart geschriebener Artikel
informierte mich beispielsweise über den »faschistischen« Inhalt mancher
Fantasy-Romane. Der damalige Chefredakteur dieses Fanzines wurde
übrigens später zum ersten Chefredakteur der Zeitschrift »TV Spielfilm«
und noch später zum Verlagsleiter.
Das Heft, das mich aber am
stärksten beeindruckte, nannte sich »Exodus« – und es stellte ebenfalls
zu jener Zeit sein Erscheinen ein. Auf den Leserseiten von »Exodus«
lieferten sich ältere Fan-Autoren wie Wolfgang Kehl und Rainer Zubeil
heftige Scharmützel; wenige Jahren später waren sie unter den Namen
Arndt Ellmer und Thomas Ziegler gemeinsam PERRY RHODAN-Autoren. Von
Rainer Zubeil stammten politische Science-Fiction-Geschichten und
Gedichte; er griff die aktuelle Politik der Bundesregierung und der Nato
an.
Im »Exodus« gab es aber auch Beiträge, die nicht das
geringste mit Science Fiction zu tun hatten: So gab es einen
aufsehenerregenden Beitrag von Peter-Paul Zahn, der zu jener Zeit im
Gefängnis saß und über seine Erfahrungen berichtete; später wurde er ein
bekannter Autor von Kriminalromanen. »Exodus« war ein Heft, das mit
seiner gesellschaftskritischen Ausrichtung weit über die
Science-Fiction-Szene hinauswirkte und dessen einzelnen Ausgaben ich
mehrfach las. Als es eingestellt wurde, machte mich das tatsächlich
betroffen.
Die Fanzine-Landschaft veränderte sich Ende der 70er-
und Anfang der 80er-Jahre mit rasanter Geschwindigkeit. Einige der
»literarischen« Fanzines gaben auf, ebenso einige PERRY RHODAN-Fanzines.
Autoren, die vorher für Hefte wie die »Science-Fiction-Baustelle«
gearbeitet hatten, wurden jetzt zu Profi-Schriftstellern – darunter ein
gewisser Wolfgang Hohlbein. In die entstehende Lücke wuchsen die neuen
Fanzines hinein, darunter mein eigenes Heft.
Ein Heft versuchte
ab 1980 eine Art Zentralstelle des Fandoms zu sein, Informationsblatt
und Rezensions-Fanzine in einem, vergleichbar mit Blättern wie dem
»Fandom Observer« heutzutage. Das im A5-Format erscheinende Heft hieß
»Orion« und wurde von Uwe Draber herausgegeben. Der Mann war durchaus
geschäftstüchtig: Er vermittelte Druckaufträge für Fanzines – darunter
für mein Heft –, und er verkaufte sie auch weiter, trat also als Händler
auf. In »Orion« wurden Fanzine-Besprechungen veröffentlicht, und als
Uwe Draber mich fragte, ob ich nicht diese Besprechungen übernehmen
wollte, sagte ich freudig zu.
In der Folge bekam ich regelmäßig
neue Hefte zugeschickt und schrieb über diese. Schnell bekam ich einen
Einblick in die sich entwickelnde Szene, las Dutzende von Fanzines,
gewann Dutzende von weiteren Kontakten und wuchs immer weiter in die
Fan-Szene hinein. Die Trennung in »ernsthafte« Fans allgemeiner Science
Fiction und PERRY RHODAN-Fans fand ich albern, die Zersplitterung der
Szene empfand ich als unnötig.
Dummerweise bewahrte ich nur jene
Fanzines auf, die ich selbst gut fand. Was mir nicht gefiel, wanderte
in die Papiertonne und wurde verbrannt. Heute könnte ich mich darüber
richtig ärgern ...
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