03 Dezember 2007

Spannender Herbst 1979

Aus der Reihe »Der Redakteur erinnert sich«

Der Herbst 1979 schritt voran, und mein Leben schien von Woche zu Woche turbulenter zu werden. Während meine schulischen Leistungen beständig schlechter wurden und mich Kumpels aus der Schule dazu überreden wollten, mit ihnen einen Tanzkurs zu besuchen, tauchte ich immer mehr ins Fandom ein - also in die Gemeinschaft der Fans.

Anfangs wirkten einige Dinge in dieser »Szene« auf mich ein bisschen unheimlich und seltsam gewirkt. Doch dann wurde es von Woche zu Woche und von Brief zu Brief immer bunter und spannender; ich wurde ein richtiger Fandom-Fan.

Irgendwie schien sich mein Leben aufzuspalten. Der PERRY RHODAN-Club »Gys Voolbeerah« kam nicht so richtig voran, denn mein Club-Mitgründer Thomas und ich hatten immer weniger miteinander zu tun. Gleichzeitig baute ich meine Kontakte ins Fandom aus – und freundete mich intensiver mit anderen schrägen Vögeln aus der Schule an.

Immerhin besuchte mich der junge Mann aus der Nachbargemeinde, der sich auf die Kontaktanzeige unseres PERRY RHODAN-Clubs gemeldet hatte. Bei einem ersten Gespräch diskutierten wir stundenlang über PERRY RHODAN und »Ren Dhark« und andere Science Fiction, und ich stöberte in seinen Kisten mit doppelten Heftromanen.

Er arbeitete in einem »grafischen Betrieb« und würde gerne an dem geplanten Fanzine mitwirken, von dem ich gleich im ersten Brief erzählt hatte. Es mache ihm nichts aus, dass Thomas und ich so jung seien, und seine Geschichten würde er am liebsten unter dem Pseudonym »J.-B. Clemens« veröffentlichen. Zudem hatte er sich bereits Gedanken über ein Fanzine gemacht, einige Titel hatte er bereits aufgeschrieben.

Trotz aller Übereinstimmung traute ich mich nicht, ihm die Wahrheit zu sagen: Eigentlich gab es den gemeinsamen PERRY RHODAN-Club schon nicht mehr. Und der neue Bekannte würde nicht aktiv werden: Er war durch Beruf und Karate und Freundin so stark eingespannt, dass er nicht die Zeit dafür hatte. Er verkaufte mir zu Spottpreisen einige Dutzend Romanhefte, die er doppelt hatte. Meine Sammlung wuchs somit weiter an, sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Es war klar, dass ich bald ein zweites Regal in meinem Zimmer benötigte.

Der Kontakt zu meinen Schulfreunden Stefan und Gunter wurde intensiver. Stefan, dessen Vater sehr wohlhabend war, reiste im Sommer 1979 nach London und kam mit Singles und Langspielplatten zurück, haufenweise Musik, die wir vorher nur vom Radio her kannten. Die Stranglers begeisterten uns komplett, The Clash und U.K. Subs sowieso, die ersten Joy Division-Aufnahmen hörten wir im dunklen Zimmer, durch das die Töne geheimnisvoll waberten, und Ski Patrol mit »Agent Orange« wurde so lange und so laut gespielt, bis der Nachbar anrief und sich beschwerte.

Und während Stefan mit leuchtenden Augen von einer ganz neuen Musikrichtung berichtete, die man Ska nannte, erzählte ich von meiner immer weiter wachsenden Idee, ein eigenes Science-Fiction-Heft herauszugeben ...

Das fanden die beiden gut, wenngleich sie keinerlei Interesse daran hatten, in den PERRY RHODAN-Club einzutreten. Meine Versuche, Schulkameraden zu PERRY RHODAN-Serie zu bekehren, scheiterten in diesem Herbst 1979 mehrfach. Aber ein Fanzine publizieren ... das klang kreativ, das war wie die Schülerzeitung oder das »Info« des Jugendzentrums, an dem wir gelegentlich mitwirkten.

Immerhin wurde mein Kontakt zu den »Theren«-Leuten immer besser. Nachdem ich bereits mit Peter Börnsen allerlei Briefe tauschte, schaltete sich jetzt der »große Bruder« ein: Gerhard Börnsen, der unter dem Pseudonym Luc Shavelli Geschichten und Gedichten schrieb sowie Zeichnungen und Collagen anfertigte, kannte sich richtig gut in der Szene und ihrem Umfeld aus. Seine Bilder konnte er sogar schon in Galerien ausstellen; mir gefielen sie aber nicht sonderlich. Seine Raumschiff-Zeichnungen empfand ich als zu krakelig, aber ich sagte nichts – selbstverständlich war ich viel zu stolz darauf, eine solche Berühmtheit in meinem Freundeskreis zu haben.

Aufgrund einiger Anzeigen und Berichte in »Theren« bestellte ich andere Fanzines: »Topsid« beispielsweise, ein ganz tolles PERRY RHODAN-Heft aus dem Großraum Nürnberg, dem sogar ein von Fans gestaltetes Kartenspiel beilag. Oder »Carthago« aus Norddeutschland, ein eher »linkes« Blatt, in dem staatskritische Artikel zu finden waren, in dem Fantasy-Literatur als »faschistoid« dargestellt und PERRY RHODAN massiv kritisiert wurde. Mein Weltbild geriet gelegentlich ins Wanken ...

»Carthago« wurde tatsächlich mein richtiger Einstieg: Ich bestellte an einem langem Wochenende alle möglichen Fanzines, mit zittrigen Fingern und gierigem Blick. Nicht einmal vor »Exodus« schreckte ich zurück, und das lud mit Sprüchen wie »Wir wissen, dass die Gesellschaft der Zukunft nicht die heutige sein kann« zu Staats- und Zukunftskritik gleichermaßen ein. Dort schrieben Autoren wie Rainer Zubeil unglaublich kritische Geschichten; es gab einen Text, der von einem Strafgefangenen geschrieben worden war und über Gefängnisse informierte, und man veröffentlichte darüber hinaus politische Texte, die mich verunsicherten und zugleich begeisterten.

Völlig fasziniert und gleichzeitig eingeschüchtert war ich von »Phalanx«, das die Fans Helmut Ehls und Manfred Borchard aus Freiburg publizierten: Das grafische Niveau war unglaublich hoch, die Geschichten waren meist sehr literarisch, und die Gedichte verstand ich teilweise nicht. Aber mein Traum war, entweder selbst einmal so ein tolles Heft zu publizieren oder eben in »Phalanx« veröffentlicht zu werden.

Und natürlich bestellte ich mir auch die verschiedensten Fantasy-Hefte wie »Fantasia« oder »Magira«, trat mit anderen Clubs in Verbindung und forderte überall Informationen an. Der Herbst 1979 wurde immer spannender, ich vernachlässigte die Schule, meldete mich irgendwann zur Tanzschule an, interessierte mich immer stärker für Mädchen – und ich fand vor allem das Fandom viel ideenreicher als das dröge Leben im Schwarzwalddorf und in der Kleinstadt.

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