04 Dezember 2025

Die ersten Schritte zum E-Book

Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich« 

Bekanntlich legten Clark Darlton und Karl-Herbert Scheer den Grundstock für PERRY RHODAN. Beide Autoren hatten viel Phantasie, ihre eigenständigen Romane begeisterten die Science-Fiction-Fans der 50er- und 60er-Jahre, und mit PERRY RHODAN schufen sie einen Welterfolg, der bis heute anhält.

Die Zukunft konnten sie aber nicht vorhersagen – und sie konnten sich nicht vorstellen, dass man einmal ihre Romane auf digitalen Endgeräten lesen würde.

Längst ist es für viele Leserinnen und Leser eine Selbstverständlichkeit: Allwöchentlich gibt's die neueste PERRY RHODAN-Ausgabe als E-Book für die unterschiedlichsten Endgeräte. Bis das digitale Lesen aber in den Fokus der lesenden Öffentlichkeit gelangte, musste ein beschwerlicher Weg auf sich genommen werden ...

Ich erinnere mich noch gut an die Vorläufer. Bereits in den 80er-Jahren konnte man Romane lesen, die auf Diskette angeboten wurden. Diese Disketten musste man per Post bestellen, und wenn man das richtige Programm benutzte, ließen sich die Textdateien darauf lesen. In diesem Fall saß man vor dem heimischen Computer und blickte auf den flimmernden Bildschirm, auf dem die Schrift häufig noch in weiß auf schwarz oder gar grün auf schwarz zu sehen war.

Wann genau der Autor Wilfried A. Hary, der unter anderem für ATLAN schrieb, solche Disketten mit professionellem Ehrgeiz vertrieb, weiß ich leider nicht mehr genau. Waren es noch die 80er- oder waren es bereits die 90er-Jahre?

Hary nannte sein Produkt schlicht »Diskoman«, ein Kofferwort aus »Diskette« und »Roman«. Ich bekam einige dieser Diskomane in die Hände, las sie aber nie, weil mir das zu anstrengend war. Andere Leser fanden das aber schon damals toll.
Das Rocket-eBook

Anfangs wurde das Thema des digitalen Lesens von der Literatur-Szene belächelt und außerhalb dieser überhaupt nicht wahrgenommen. Sein erstes vorsichtiges Ausrufezeichen setzte das E-Book als Alternative zum gedruckten Buch auf der Frankfurter Buchmesse 1999.

Zwei Monate vor der – nicht ganz korrekten – Jahrtausendwende stellte die Firma NuvoMedia in den Frankfurter Messehallen den ersten kommerziellen E-Book-Reader der Welt vor: ein klobiges Plastikgehäuse mit dem futuristisch klingenden Namen »Rocket-eBook«. Dieses Wunder an Technik sollte mit einer unglaublichen Speicherkapazität von 16 Megabyte für beeindruckende 675 Mark die Buchbranche revolutionieren.

Das stellte sich schnell als ein utopisches Ziel heraus. Zwar gelang NuvoMedia in Kooperation mit dem Shop bol.de eine bemerkenswerte Markteinführung mit einem soliden Startsortiment von mehr als 500 deutschsprachigen Titeln, der große Erfolg aber blieb aus.

Eckhard Schwettmann als der Mann, der PERRY RHODAN damals in das Marketing-Zeitalter beförderte, erkannte die Chancen des neuen Mediums. Ich erinnere mich an die Euphorie, die er uns vermittelte, als wir das dicke Gerät in unseren Büros hatten und wir das erste E-Book lesen konnten. Es war recht aufwendig, PERRY RHODAN-Manuskripte für das neue System aufzubereiten – aber Eckhard steckte uns mit seiner Begeisterung an.

Bei PERRY RHODAN erkannte man alo früh die Zeichen der Zeit und das Potenzial der digitalen Medien. Getreu dem Motto »Es kommt nicht auf das Endgerät, sondern den Inhalt an«, warteten wir gar nicht erst darauf, dass die großen Buchverlage mit der ultimativen Lösung kommen, sondern nahmen das E-Book-Geschäft selbst in Angriff. Damit übernahm PERRY RHODAN schon 2000 eine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet.

Zur deutschen Markteinführung des »Rocket-eBooks« waren bereits vier digitale Romane aus dem Perryversum im Download erhältlich: der erste Band der »Kosmos-Chroniken« sowie die in sich abgeschlossene »Arkon«-Trilogie von Rainer Castor. Die Trilogie hielt sich wochenlang auf Platz 1 der Verkaufsliste von bol.de.

Wir waren mit PERRY RHODAN also durchaus erfolgreich und erreichten gute Verkaufszahlen. Aber es reichte nicht aus: Die Kosten überstiegen den Nutzen. Trotzdem hielt Eckhard recht lange an dem Produkt und seiner Vermarktung fest. Es dauerte eine Weile, bis ich die Belieferung des »Rocket-eBook«-Marktes mit weiteren Dateien stoppen konnte.

Wir waren damit nicht die einzigen: Trotz aller aussichtsreicher Prognosen entpuppte sich das »Rocket-eBook« als Ladenhüter, sodass die Produktion im Verlauf des Jahres 2001 eingestellt wurde. In einem Interview räumte eine Pressesprecherin wenig später ein, den Markt »zu positiv eingeschätzt« zu haben. Es sei eben »noch kein Massenmarkt für dieses Medium« vorhanden.

Aber wir wollten nicht aufgeben. Wir wussten, das war die Zukunft für PERRY RHODAN, auch wenn wir im Verlag dafür durchaus belächelt wurden …

(Dieser Text stand bereits im Oktober auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie. Hier habe ich ihn zu dokumentarischen Zwecken noch einmal gebracht.) 

Keine Kommentare: