Aus der Serie »Der Redakteur erinnert sich«
Entsprechend müde ging ich am Samstagmorgen, 20. Februar 1999, die Arbeit an. Es war der zweite Tag der Autoren-Werkstatt an der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel.
Weil ich wusste, dass ich nicht als einziger im Raum die Morgenschwere überwinden musste, sprachen wir erst einmal erneut über die Texte, die wir erhalten hatten. Die Unterschiede im Stil und in der Qualität waren enorm: Manche Texte hatten schon einen professionellen Charakter, bei anderen waren viele Dinge noch unsauber und unscharf.
Ich schrieb an diesem Vormittag häufig an ein Flipchart. Ich vermerkte den Unterschied zwischen starken und schwachen Formulierungen, zwischen aktiver und passiver Sprache, zwischen einer sauberen und einer unklaren Dialogführung. Robert Feldhoff ergänzte sehr praxisbezogen: Ihm war es immer wichtig, meine manchmal theoretischen Vorträge auf die tägliche Arbeit zurückzuführen. Er nannte konkrete Beispiele in den Texten und wies dort auf die Stärken und Schwächen hin.
Und so näherten wir uns langsam dem Kern des Seminars – Robert stellte seine erste Aufgabe, die eher kurz ausfiel: Die Autorinnen und Autoren sollten sich eine Verschränkung überlegen, sie aber noch nicht schreiben. Wie könnte man eine Szenerie aufbauen, bei der ein Hinweis zu Beginn der Geschichte gelegt wird, der später wichtig wird, wenn es darum geht, die Geschichte zu Ende zu bringen? Wir stellten die unterschiedlichen Konzepte zur Diskussion, es entwickelten sich angeregte Gespräche – und dann konnten wir auch schon in die Pause gehen.
Nach der Pause legten wir gleich mit einer kleinen Übung los: Die Autorinnen und Autoren sollten einen packenden Einstieg in ihre Geschichte schreiben, am besten so angelegt, dass sie einen Hinweis gaben, der später wichtig werden konnte. Wenn beispielsweise ein Roboter eingeführt wird, der dringend repariert werden muss, ist es wichtig, das an einem Detail festzumachen – und dieses Detail später in der Geschichte wieder zu erwähnen.
PERRY RHODAN in der Pause
Der Samstag verlief abwechslungsreich: Robert und ich stellten Aufgaben, die Autorinnen und Autoren schrieben, und später diskutierten wir darüber. Und immer dann, wenn die anderen an ihren Texten feilten, setzten wir beiden uns in den Vorraum, hatten je eine Tasse Kaffee vor uns, und besprachen aktuelle PERRY RHODAN-Ideen.
Ernst Vlcek hatte eine Reihe von Ideen geliefert, die wir diskutierten. Ernst war stets ein intuitiver Autor; seine Stärke waren Ideen, die er nicht unbedingt bis ins Detail ausformulierte. Seine Romane waren dann gut, wenn er eine Idee hatte, die er während der Arbeit weiter entwickelte. So ging er auch oft die Exposés an: Viele Ideen trugen einen Roman oder vielleicht vier oder fünf Romane. Sobald es darum ging, einen ganzen Zyklus auf diese Weise zu konzipieren, wurde es wackelig, und man musste unweigerlich nacharbeiten.
Robert ging anders vor. Er dachte strukturiert, sein Credo war, dass die Ideen von selbst kämen. Dass beide Autoren so lange und so gut zusammenarbeiten konnten, war angesichts dieser Unterschiede verblüffend. Ich hatte oft genug die Rolle eines »Schiedsrichters«, der sich überlegen musste, wie die teilweise widersprüchlichen Ideen unter einen Hut zu bringen waren. In Wolfenbüttel hatten Robert und ich die Chance, konzentriert an einigen Themen zu arbeiten.
Am Ende des Seminars hatten wir beide viele Notizen, die sich auf die laufende Handlung bezogen. Ich war guter Dinge, dass die Konzepte der beiden Autoren zu einem spannenden Abschluss des laufenden Zyklus führen würden. Wie wir nach Band 2000 weitermachen würden, hatten wir auch schon angedacht.
Am Samstagabend war ich reichlich erledigt. Die vielen Gespräche im Verlauf des Tages, das Besprechen der Texte, die vielen Diskussionen – das alles hatte viel Kraft geraubt. Aber wir hatten es tatsächlich geschafft, alle eingeschickten Texte zu diskutieren. In einer letzten Runde wurden die Texte vorgelesen, die von den Autorinnen und Autoren im Verlauf des Tages erarbeitet worden waren. Das Seminar endete so erst deutlich nach 22 Uhr.
Während einige erschöpft ins Bett fielen, blieben Robert und ich noch bei den Teilnehmern, die Lust auf weitere Gespräche hatten. Wir sprachen über PERRY RHODAN, Gott und die Welt – in etwa dieser Reihenfolge. Das war nicht nur sehr lustig und unterhaltsam, sondern ebenso spannend und informativ. Als ich endlich ins Bett kam, hatten wir schon nach drei Uhr morgens.
Am Sonntag folgte eine Reihe von Aufräumarbeiten, wie wir es nannten. Es waren im Verlauf der zwei Tage viele Fragen aufgekommen, die wir im Plenum zu beantworten versuchten. Ich erläuterte, wie Verlage funktionierten und wie viele Schritte zurückzulegen sind, bis aus einem Manuskript ein Buch wird, das im Laden ausliegt. Es schlossen sich weitere Diskussionen, eine allerletzte Übung sowie eine Schlussrunde an.
Als ich am späten Nachmittag im Zug nach Karlsruhe saß, hatte ich eine umfangreiche Lektüre im Gepäck: ein PERRY RHODAN-Manuskript, das ich bislang nicht gelesen hatte, aber auch die zahlreichen Notizen, die ich bei den Gesprächen mit Robert Feldhoff angefertigt hatte.
Viele der Ideen, die zum Zyklus »Die Solare Residenz« – so hieß er in den bisherigen Konzepten – entwickelt worden waren, fand ich spannend; daraus sollten sich viele lesenswerte Science-Fiction-Romane machen lassen. Band 2000 konnte also bald kommen …
(Diesen Text brachten wir im Juni auf unserer Internet-Seite. Hier bringe ich ihn nun aus dokumentarischen Gründen.)
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